Gender - Sprache - Stereotype. Hilke Elsen

Gender - Sprache - Stereotype - Hilke Elsen


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grenzt in den Grammatiken das Weibliche mehr und mehr aus, in dieser Zeit beginnt die Entwicklung des neutralenNeutralform Gebrauchs männlicher Endungen. Anfang des 19. Jahrhunderts hatte sich die Bezeichnung des Wortbildungselements -er für Männer (zu lat. -ārius ‚männliche Person, die etwas tut‘) auch auf Personen allgemein verschoben. Dies entspricht dem heutigen System: Wenn eine maskuline Form für beide Geschlechter verwendet werden kann, heißt sie generisches Maskulinumgenerisches Maskulinum.

      Das generische Maskulinum war im deutschen Sprachsystem historisch nicht gegeben, -er ist eine ursprünglich maskuline (nicht neutrale) Endung.

      5.2 Markierung

      Sprachen kennzeichnen das Geschlecht auf unterschiedliche Weise. Bußmann/Hellinger (2003) und Hellinger/Pauwels (2007) beispielsweise unterscheiden zwischen erstens dem grammatischen Geschlecht, morphosyntaktischen Eigenschaften von Nomen, zweitens dem lexikalischen, also den semantischenSemantik, -isch Eigenschaften von Nomen für belebte Referent/innen, und drittens dem sozialen Geschlecht, das über Stereotype wirkt und sich indirekt zeigt (z.B. Pronomina)Pronomen.

      Das Deutsche teilt auf der Ebene des Sprachsystems die Substantive in die drei Gruppen Maskulinum, Femininum und Neutrum. Genus istGenus eine rein grammatische Kategorie und hat zunächst nichts zu tun mit Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus, dem natürlichen Geschlecht. Das grammatische Geschlecht hat also keine außersprachliche Entsprechung und ist nicht motiviert. Es gehört zu jedem Nomen dazu, wird aber meist nicht markiert, indem es eine eigene Endung erhält. Wir wissen, dass Tisch Maskulinum, Sofa Neutrum und Lampe Femininum ist. Zweit- und Fremdsprachler/innen müssen dies mit jedem Nomen lernen. Abhängige Wörter wie Artikel, PronominaPronomen und Adjektive haben mit dem Bezugsnomen grammatisch übereinzustimmen (bezogen auf Genus, Kasus, Numerus) und werden entsprechend flektiert. Dann wird Genus sichtbar, vgl. ein schöner Tisch, er gefällt mir!, ein weiches Sofa, es gefällt mir!, eine süße Lampe, sie gefällt mir! Viele Ableitungen bestimmen ebenfalls Genus, vgl. der Leserdie Leserschaft, die Luftdas Lüftchen, die Witweder Witwer, der Arztdie Ärztin. Da es sich um formale Eigenschaften von Wörtern und Morphemen handelt, richten sie sich nach grammatischen Regeln. Das Deutsche unterscheidet Genus nur bei der dritten Person Singular, anders z.B. das Französische elles/ils, ‚sie‘ (f. pl.)/‚sie‘ (m. pl.) oder das Arabische, vgl. anti/anta ‚du‘ (f.)/‚du‘ (m.), antunna/antum ‚ihr‘ (f.)/‚ihr‘ (m.). Im Deutschen sind du und ihr daher geschlechtsindifferent, das Geschlecht spielt keine Rolle.

      GenusGenus entspricht heute in einigen Wortschatzbereichen tatsächlich dem Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus, dem natürlichen Geschlecht, z.B. bei Personen wie Hexe, Tante, Frau oder Zauberer, Opa, Vater und bei vielen TierenTier, vgl. Erpel, Bulle, Färse, Henne. Aber es gibt auch Ausnahmen, vgl. Vamp, Mädchen, Weib, Memme oder Tunte. Hier stehen Genus und Sexus zueinander im Widerspruch. In der Regel ist das Genus fest. Ein Nomen, das über Konversion entsteht, kann jedoch maskulin oder feminin sein, vgl. tot, der/die Tote, angestellt, die/der Angestellte (DifferenzialgenusDifferenzialgenus).

      5.3 Probleme

      5.3.1 AsymmetrienAsymmetrie

      Das Deutsche weist AsymmetrienAsymmetrie auf mehreren Ebenen auf, was Benennung von und Bezug auf Frauen anbelangt, z.B. bei PersonenbezeichnungenPersonenbezeichnung, Ableitungen, Reihenfolgen und Häufigkeiten, Sprachwandel, PhraseologismenPhraseologismus und Metaphern.

      Bei der Referenz einer sprachlichen Form gibt es mehrere Untertypen. Unter anderem kann zwischen Klassen und Individuen getrennt werden. In dem Satz Dozenten an der Fakultät verdienen zu wenig Geld bezieht sich der Begriff Dozent auf eine ganze Klasse, nicht auf spezielle Individuen, daher generische (‚verallgemeinernd, generalisierend, nicht-spezifisch‘) bzw. klassenbezogene Referenz. Genauso könnte es heißen Alle Dozenten an der Fakultät verdienen zu wenig Geld. Wenn ein bestimmtes Individuum gemeint ist, handelt es sich um spezifische Referenz, vgl. der Dozent (gemeint ist Herr X.Y. Müller) verdient zu wenig Geld. Dieser Satz kann auch klassenbezogen gemeint sein, wenn er darauf hinweist, dass generell alle Dozenten nicht viel Geld verdienen (vgl. der Dozent an sich verdient zu wenig Geld). Hier muss der Zusammenhang entscheiden oder die Formulierung bleibt mehrdeutig. Die verschiedenen Referenztypen sind unterschiedlich wichtig für die Versprachlichung von Geschlecht (Diewald/Steinhauer 2017).

      Dazu tritt die Trennung in die Geschlechtergruppen. Das generische Maskulinum ist eine maskuline Form, die sich auf beide Geschlechter beziehen kann, etwa, wenn in dem Satz Dozenten an der Fakultät verdienen zu wenig Geld sowohl Frauen als auch Männer gemeint sind. Die gängige Behauptung ist, dass Frauen selbstverständlich mitgedacht werden. Diese Interpretation ist, wie bereits erwähnt, historisch entstanden und hat sich im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt.

      Allerdings entspricht der allgemeine Sprachgebrauch nicht immer den grammatischen Vorgaben. Sprecher/innen grenzen klassenbezogene und spezifische Referenzweisen nicht genau voneinander ab, sie verwenden sie nicht präzis. Rein grammatisch gesehen kann nur in verallgemeinernden Verwendungsweisen das generische Maskulinum stehen. Der allgemeine Sprachgebrauch trennte jedoch oft nicht zwischen dieser klassenbezogenen und der spezifischen Referenz. So kommt es zu Sätzen wie Frau Dr. Müller, unser Arzt hier am Klinikum, wird Ihnen weiterhelfen mit einem falsch verwendeten generischen Maskulinum. Auch im Falle der Prädikative scheiden sich die Meinungen. Für Diewald/Steinhauer (2017: 82f.) sind Sätze wie sie ist Tischler möglich, aber veraltet, für Kotthoff et al. (2018: 94) grammatisch fraglich, für Motschenbacher (2016) spezifisch. Sie subsumieren Frauen unter der männlichen Norm. Wir finden sie regelmäßig (vgl. auch Schröter et al. 2012). Bei Geschichten wie

      Ein Vater fährt mit seinem Sohn im Auto. Sie verunglücken. Der Vater stirbt, der Sohn wird schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert und muss operiert werden. Der Arzt kommt, aber sagt: „Ich kann nicht operieren. Dies ist mein Sohn.“

      wird Arzt männlich ausgelegt, und die Geschichte verwirrt daher, weil es sich um die MutterMutter des Sohnes handelt. Im allgemeinen Sprachgebrauch kann die mit dem bestimmten Artikel eingeführte Berufsbezeichnung geschlechtsindifferent interpretiert werden, wenn der individuelle Sprachgebrauch keine Femininformen zulässt, was für eine Vielzahl der Sprecher/innen noch der Fall ist (vgl. auch Irmen/Köhncke 1996). Dann klingt Arzt aufgrund der Stereotype nach einem Mann. Oft genug wird noch immer nicht zwischen generischen und spezifischen Gebrauchsweisen unterschieden. Klare Trennungen bei PersonenbezeichnungenPersonenbezeichnung im allgemeinen Sprachgebrauch zwischen klassen- und individuenbezogener Referenz sind ein Zeichen für Sprachwandel, der mit der verbreiteten Verwendung femininer Ableitungen zu erwarten ist.

      Ein anderes Beispiel für das generische Maskulinum sind PronominaPronomen wie man, niemand oder jemand, zu denen es keine feminine Entsprechung gibt. Sie gelten daher für Männer und Frauen. Der grammatische Bezug ist Maskulinum, was zu irritierenden Formulierungen führen kann, vgl. wer seine Tage hat, der ist oft müde.

      Unschärfe und Unklarheit sind ein Kritikpunkt am generischen Maskulinum, was mit weiteren Bedenken eng zusammenhängt, nämlich, dass Frauen sprachlich nicht sichtbar sind (vgl. Kap. 6) und sie darum weniger Identifizierungsmöglichkeiten haben. Eine AsymmetrieAsymmetrie ergibt sich, weil einerseits eine maskuline Form wie der Dozent für weibliche Inhalte ohne formale Markierung stehen kann, während sich eine Femininform immer nur auf Frauen bezieht, und weil andererseits die Selbstverständlichkeit des Mitgemeintseins nicht immer gilt. Mit anderen Worten, Feminina haben eine Verwendungsweise, Maskulina jedoch zwei. Welche gerade erwünscht ist, ist nicht immer klar.

      Das generische Maskulinum fasst Frauen unter Männern zusammen. Es ist nicht geschlechtsneutralgeschlechtsneutral, denn es macht Frauen sprachlich und kognitivKognition, kognitiv unsichtbar.

      Es gibt eine Vielzahl von Begriffen für Frauen, die in der Regel schlechtere Bedeutungen, auch Konnotationen und Assoziationen aufweisen, vgl. Beißzange, Heulsuse, Giftnudel, Klatschbase, alte Jungfer. Das wird bei verwandten


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