Gender - Sprache - Stereotype. Hilke Elsen

Gender - Sprache - Stereotype - Hilke Elsen


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Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich. […]

      (2) Bund, Länder und Gemeinden bekennen sich zur tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau. Maßnahmen zur Förderung der faktischen Gleichstellung von Frauen und Männern insbesondere durch Beseitigung tatsächlich bestehender Ungleichheiten sind zulässig.

       Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft

      Artikel 8 Rechtsgleichheit

      (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

      (2) Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.

      (3) Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.

       Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

      Artikel 3

      (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

      (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

      (3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

       Charta der Grundrechte der Europäischen Union

      Titel III: Gleichheit, Artikel 21 Nichtdiskriminierung

      (1) Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der ReligionReligion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung sind verboten.

      Haben alle Frauen und Männer in Deutschland – und Österreich und der Schweiz etc. – wirklich die gleichen Chancen und sind sie damit gleichberechtigt in Berufswahl und Lebensgestaltung? Trotz Mindeststandards für die EU erzielen einer Studie der Universität Duisburg-Essen zufolge „die ‚vorbildlichen‘ deutschen Maßnahmen aber nicht die intendierten gleichstellungspolitischen Effekte, da sich bezüglich der Rollenverteilung auf Seiten der Männer durch die familienpolitischen Programme kaum etwas getan habe“ (Dalhoff 2019: 1). Nach wie vor verdienen deutsche Männer deutlich mehr als Frauen. Seit Jahren ist der Gender Pay Gap, also der Unterschied im Einkommen, in kaum einem anderen Land in Europa so hoch wie in Deutschland (vgl. Abb. 1). Und er erklärt sich sicher nicht aus der Ausbildung.

      2009 veröffentlichte die Zeitschrift Grundschule, dass 5,3 % der deutschen Mädchen und 8,7 % der deutschen Jungen keinen Hauptschulabschluss bekommen. 28 % der Jungen und 36,3 % der Mädchen erhalten die allgemeine Hochschulreife (vgl. Ohne Autorenangabe, Grundschule 2009/9). Laut Bildungsbericht (Maaz et al. 2018) erhielten 2016 18749 Mädchen und 30444 Jungen keinen Hauptschulabschluss. In diesem Jahr hatten 46,6 % der jungen Männer und 58,2 % der jungen Frauen eine Studienberechtigung. Mit Diplom (U) schlossen 9,0 % Männer und 11,0 % Frauen ab, das Lehramtsstudium absolvierten 5,2 % Männer und 12,6 % Frauen. Es promovierten aber 16053 Männer gegenüber 13248 Frauen. So gibt es also auf jeder Ebene mehr gut ausgebildete Frauen als Männer, mit Ausnahme der Promotion.

      Abb. 1: Gender Pay GapGender (pay) gap in den 28 EU-Ländern, 2016 (WSI GenderDatenPortal, Hans-Böckler-Stiftung, https://www.boeckler.de/62518.htm)1

      Wenn es um die Berufssituation geht, befinden sich in den besser bezahlten Branchen die Männer in der Überzahl, obwohl während der Ausbildung und bei den Abschlüssen noch die Frauen in der Mehrheit waren. Laut Grundschule 2009 sind 93,3 % des Personals in Kitas und in der Tagespflege sowie 85 % der Lehrkräfte an Grundschulen weiblich. In Baden-Württemberg sind jedoch 76 % der Grund- und Hauptschulleitungen männlich, in Bayern 79 % (vgl. Ohne Autorenangabe, Grundschule 2009/9). 2016 war 95 % des Bildungspersonals in Kindertageseinrichtungen und der Tagespflege weiblich, das an den Hochschulen jedoch nur zu 38,5 % (Maaz et al. 2018).

      Unternehmen mit Quotenregelung nähern sich bei Neueinstellungen zwar dem geforderten Mindestwert von 30 % in Aufsichtsräten an, Frauen kommen aber kaum in Ausschüsse mit Entscheidungsfunktion (CEWS 2018: 14f.). Wenn Unternehmen die Quote für die Aufsichtsräte erfüllt haben, nehmen sie ihre Anstrengungen wieder zurück (CEWS 2019a: 14). EU-weit waren in großen börsennotierten Unternehmen 6,3 % aller Führungspositionen von Frauen besetzt (CEWS 2019b: 11). 2017 bildeten Frauen mit 62 % den Großteil der Personen, die ausschließlich geringfügig beschäftigt waren (WSI). 2013 lag das Bruttoeinkommen von Frauen im Schnitt um 22 % niedriger als das der Männer, natürlich auch, weil 45,5 % der erwerbstätigen Frauen in Teilzeit arbeiten gegenüber 9,7 % der Männer (2011, vgl. Focks 2016: 30). Der Gender Pay Gap beträgt 21 % und ist für Akademikerinnen besonders gravierend (CEWS 2018: 18f.). Frauen in der Besoldungsgruppe W32 erhielten im Monat Juli 2017 im Schnitt 650 Euro brutto weniger als die Kollegen (Detmer 2018: 1064). Der Gender Pension Gap für das Jahr 2015 lag in Deutschland bei 53 % (CEWS 2018: 22). Das bedeutet, dass Frauen im Alter mit weniger als der Hälfte von dem Geld auskommen müssen, das Männern zur Verfügung steht. In jeder Beziehung befinden sich Frauen finanziell im Nachteil. Andererseits ergab eine deutschlandweite Umfrage aus dem Jahr 2003, dass lediglich 5,2 % der befragten VäterVater alleiniger Ernährer der Familie sein wollten (Westheuser 2015). Realität und Bedarf decken sich hier also nicht.

      1.2 Verhalten von Frauen und Männern

      Aus einer Filmszene: Fünf Personen sind vom Rest der Menschheit zeitweise getrennt. Alle haben sich mit einer tödlichen Krankheit angesteckt. Sie finden vier Ampullen mit dem Gegenmittel. Es gibt dazu zwei Kommentare: „Einer bekommt keine, wir losen.“ – „Wir teilen das Serum auf, dann bekommt jeder etwas.“ Welcher Satz stammt von einer Frau, welcher von einem Mann?

      Oft wird betont, dass die Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten zwischen den Geschlechtern größer sind als die Unterschiede und dass die Unterschiede innerhalb der weiblichen bzw. männlichen Gruppen größer sind als die zwischen ihnen. Trotz allem aber überstrahlen die Geschlechtsunterschiede alle anderen wie EthnieEthnie, Hautfarbe, ReligionReligion usw. Sie prägen unser Leben gleich von Geburt an oder bereits vorher, wenn in einigen Kulturen die weiblichen Föten abgetrieben werden, die männlichen aber leben dürfen. Der Unterschied ist in allen Kulturen und zu allen Zeiten grundlegend gewesen und führte und führt für einzelne Männer, mehr aber für die Frauen, zu Ungerechtigkeit und Diskriminierung: In den allermeisten Kulturen gilt das Wirken der Männer als prestigeträchtiger, die Arbeit der Frauen wird weniger geschätzt und weniger gut bezahlt. Abweichungen vom erwarteten geschlechtsspezifischen Verhalten werden mehr oder weniger offen missbilligt oder bestraft. Der Mann ist noch immer die Norm, an der die Frau gemessen wird. Und auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für Frauen nach wie vor schwierig oder hält sie gar von ertragreicheren Karrieren ab als denen sie nachgehen.

      Obwohl in vielen Ländern die Leistungen von Mädchen und Jungen z.B. in MathematikMathematik, Mathe, <i>math</i> mittlerweile gleich gut sind (vgl. Kap. 7.4.2), mögen viele Mädchen dieses Fach nicht, sind weniger motiviert und selbstsicher und bleiben im Ingenieurwesen und in mathematisch-naturwissenschaftlichen Berufen, also den besser bezahlten Arbeitsbereichen, nach wie vor deutlich unterrepräsentiert. Nosek et al. (2009) finden im internationalen Vergleich einen klaren Zusammenhang zwischen impliziten Stereotypen und geschlechtsbedingten Unterschieden, die sich gegenseitig verstärken, und zeigen, dass sie soziokulturell bedingt sind. Else-Quest et al. (2010) machen


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