FANTASTISCHE WIRKLICHKEITEN. Группа авторов
und Sandteilchen und plusterte sie wie zu einer Windhose auf. Diese Phänomene sahen fast lustig aus, wie spielerische und örtlich begrenzte Wetterphänomene.
Kein Grund zur Besorgnis, hieß es von unseren Physikern. Bis sich plötzlich das neue Phänomen in seiner Größe und seiner Aktivität änderte.
Eine unserer zufällig am Ufer des Sees befindlichen Patrouillen beobachtete, wie aus dem See sich eine gewaltige elektrische Ladung erhob, unzählige Wassertropfen mit sich führte und zu einer Gestalt in der Größe eines der Kondensatoren anwuchs. Die Gestalt hatte nicht nur eine ähnliche Körperlichkeit, sondern am Kopf auch eine Kugel und sah damit wie ein gigantisches lebendes Wesen aus. Da es völlig aus Wassertropfen bestand, hatte es eine silbrige Farbe und war durchscheinend. Es bewegte sich zunächst auf der Wasseroberfläche etwas hin und her wie ein schwankender oder unentschlossener Tänzer, waberte in der Luft, ließ die Wassertropfen um sich tosen und steuerte dann zielstrebig auf den nächstplatzierten, am Ufer stehenden Kondensator zu. Schon als die Gestalt dem Kondensator nahe kam, überlud der sich kräftig und schoss zwei Dichtstrahlen ungezielt in die Luft, die sich an ihren Enden auch zu zwei davondriftenden Energiekugeln manifestierten. Dann umhüllte die Gestalt den Kondensator, drang von allen Seiten in ihn ein, und in einer gewaltigen Energieentladung zerbarsten beide gemeinsam, das Metall wurde in große Einzelstücke zerlegt, die zu Boden fielen, und die Wassertropfen stoben explosionsartig auseinander und verdampften. Zurück blieben eine Kondensatorruine als schwarzverbrannter Torso sowie glimmende Metallbrocken auf dem Boden in einem begrenzten Umkreis.
Danach war wieder alles ruhig. Und es blieb ruhig auf Dauer.
Was geschehen war, darüber konnten wir nur spekulieren. Allerdings waren wir uns einig darin, dass – da es ein singuläres Ereignis blieb – wir es nicht mit einem natürlichen Phänomen zu tun gehabt hatten. Wir hatten erkennbar die Aktion eines intelligenten Wesens beobachtet.
Zunächst hatten kleinere Wesen, die aus reiner Energie bestanden, Kontakt mit einem unserer Kondensatoren aufzunehmen versucht. Sie hatten sich als Energiewirbel manifestiert und waren in unsere Kondensatoren eingedrungen – ob das neugierige Kommunikationsversuche oder Attacken gewesen waren, konnten wir natürlich nicht klassifizieren.
Dann war ein größeres Wesen – so groß wie einer der Kondensatoren und damit auf Augenhöhe, also etwa gleichmächtig – auf den Plan getreten. Es hatte die Kondensatoren als neue Gäste auf seinem Planeten identifiziert und nicht uns Menschen als die Intelligenz dahinter. Deshalb richtete sich seine Kommunikation oder sein Angriff – oder seine liebende Vereinigung, wie eine unserer Sozialwissenschaftlerinnen kühn und romantisch behauptete – auch nur auf die Kondensatoren. Da diese jedoch keine Intelligenz in sich hatten, musste der Kontakt natürlich scheitern.
Die Energiewesen zogen sich nun – enttäuscht? – zurück und tauchten fortan nicht wieder auf.
Wir hatten nur die Hoffnung, dass wir in späteren Jahren einmal einen Weg zur Kontaktaufnahme finden würden. Um sie über ihren Irrtum aufzuklären.
Gamet
Hans Jürgen Kugler: Poseidons Tränen
Der Morgennebel zerrann. Im Frührotschein blau schimmernde Sphären über dem Ozean - Wasser, das sich im Wasser träumt, geronnen zu einem Kondensat aus Licht und Energie.
Fluide Fantasien – grenzenlos, unbegreifbar, ALLüberwindend und Grund allen Lebens. Resultat negativer Entropie.
Poseidon wandte sich ab. Sein Werk war getan, die Transformation abgeschlossen, der Prozess angestoßen. Die Quantenmatrix beendete den Programmablauf und ging auf Stand-by. Die Sphären schwebten regungslos über der Bucht. Eine weitere Generation war geboren, blau schillernde Tränen, zum Aufbruch bereit. Wieder ein Planet erfolgreich infiziert. In Bruchteilen von Äonen werden abionische Verbindungen zu immer komplexeren organischen Molekülen verschmelzen; unwiderruflich bilden sich variierende, autoreplizierende chemische Informationssysteme, Molekülketten verhaken sich zu verschlungenen Strukturen, stabilisieren neu gewonnene Substanzialität, Atmungsketten pulsieren im Elektronenfluss – kurz: Leben entsteht. Und Leben, einmal entstanden, will leben, will immer mehr Leben, will überleben. Also tötet es – für das eigene Leben, für seine gesteigerte Intensität. Das Leben ist unausrottbar, hat es erst einmal gezündet. Nicht der Tod ist sein Todfeind, sondern das Nichts. Und das findet sich nirgends – vielleicht einmal in einer unendlichen Zukunft, einer unvorstellbaren Spanne Zeit, gemessen in Jahrmilliarden, wenn der Himmel zurückfällt in Finsternis, die Sterne umflutend in seinem Verdikt. Wenn kein sichtbares Auge mehr wacht in der Tiefe der endgültigen Nacht; auch Sterne verblühen, wenn ihre Zeit gekommen ist.
Doch jetzt noch nicht. Noch wachen die Tränen Poseidons regungslos über den Wassern, gebären Leben, Zukunft und Hoffnung auf bessere Zeiten.
Poseidon erschien das alles sinnlos. Wozu Leben erschaffen, das sich selbst zerstört, immer und immer wieder und jedes Mal aufs Neue. Ein zum Scheitern verurteiltes Projekt, das sich unaufhörlich perpetuierend ständig weiter fortpflanzt. Alles Leben ist fortwährendes Leiden, eine Kettenreaktion des Schmerzes. Ein unauslöschliches Feuer, das sich selber nährt. Da wäre es doch sinnvoller, es gleich sein zu lassen. Besser nicht zu sein, als falsch zu sein.
Jetzt kann nur noch Humor helfen, dachte Poseidon und ließ dröhnend ein wahrhaft homerisches Lachen ertönen - und es regnete Feuer und Asche auf den Planeten.
Der Höllenmond
Jörg Weigand: Die andere Welt
»Meister, ich habe eine Frage!«
Abrupt wurde Li T’ai-p’o aus seiner morgendlichen Meditation am Ufer des T’ung-t’ing-Sees gerissen.
»Was ist?« Er war verärgert, denn diese Stunde allein mit der Natur war ihm heilig. Normalerweise reagierte Li T'ai-p'o nicht so heftig auf eine Frage seiner Schüler; doch jeder unter ihnen wusste, wie wichtig ihm gerade diese kurze Zeit der Besinnung war. Nun hatte Kuang Ling-ling dagegen verstoßen; er verdiente eigentlich nicht, dass ihn der Meister so barsch anfuhr, denn er war zwar erst seit Kurzem hier am See, dennoch gehörte er bereits zu den Gelehrigsten und Wissbegierigsten.
T’ai-p’o bereute bereits seine harte Replik, daher deutete er neben sich: »Setz dich und sage mir, was du auf dem Herzen hast!«
Kuang Ling-ling stammte aus einer alten Beamtenfamilie, die in der südlichen Hauptstadt einen guten Namen und viel Einfluss besaß. Die Mitglieder dieses Clans waren absolut kaisertreu; jeder zweite männliche Spross machte innerhalb des Militärs Karriere, der Rest mehrte als Kaufleute die Besitztümer der Familie.
Nur Ling-ling war aus der Art geschlagen, wie sein Vater mit Bedauern feststellen musste, als sein Erstgeborener sich an den T’ung-t’ing-See verabschiedete, um sich einem seltsamen Eigenbrötler anzuschließen, über den man die absonderlichsten Dinge hörte. Der Sohn freilich fand Meister Li durchaus nicht seltsam oder sonderbar. Er hatte sich innerhalb kürzester Zeit eingelebt und war sehr zufrieden, dass Li auf alle Fragen intensiv einging, die ihm seine Schüler stellten.
Nachdem er seinen Lehrer derart aus seiner Gedankenwelt gerissen hatte, wagte der junge Mann nicht, die Frage zu stellen, die ihn gerade besonders bewegte. Meister Li spürte die Befangenheit und verstand, dass er die Initiative ergreifen musste.
»Nun, sag schon, was du für ein Anliegen hast!«
Trotz des Entgegenkommens seines Mentors zögerte Ling-ling, wagte aber schließlich dennoch, das Problem vorzutragen, mit dem er sich seit Tagen beschäftigte:
»Im ›Klassiker der geheimnisvollen Orte‹, das Ihr, Meister, uns zur Lektüre empfohlen habt, sind seltsame Örtlichkeiten erwähnt, die sich nicht auf dieser Welt befinden sollen, sondern im Jenseits, außerhalb unserer Wahrnehmung. Was hat es damit auf sich?«
Li