Land des Geldes. Oliver Bullough

Land des Geldes - Oliver Bullough


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London, Monaco, Genf.

      Es gab eine Zeit, da hätte ein Beamter oder Politiker nicht viel mit dem Geld anfangen können, das er in seinem Heimatland gestohlen hatte. Er hätte sich ein neues Auto kaufen oder das Geld unter Freunde und Verwandte verteilen können, aber das war es auch schon. Zu Hause konnte er keine unbegrenzten Summen ausgeben. Irgendwann hätten sich die Geldscheinbündel einfach bei ihm zu Hause gestapelt, bis sie zu den Fenstern hinausquollen.

      Mit Offshore-Banken ändert sich das. Briefkastenfirmen werden gelegentlich als Fluchtautos für Schwarzgeld bezeichnet, doch im modernen Finanzwesen sind sie eher so etwas wie magische Teleporter. Wer Geld stiehlt, muss es nicht mehr im Safe verstecken, wo es die Mäuse auffressen. Mithilfe des Teleporters kann er es per Knopfdruck außer Landes schaffen und an jedem beliebigen Ort deponieren. Das ist so, als könnte man so viel in sich hineinfressen wie man will, ohne sich jemals satt zu fühlen. Kein Wunder, dass Politiker unersättlich geworden sind: Sie können Geld unbegrenzt stehlen und ausgeben. Wenn sie eine Jacht wollen, dann überweisen sie das Geld nach Monaco und kaufen sich dort eine auf der jährlichen Messe. Wenn sie eine Villa wollen, dann überweisen sie das Geld nach London oder New York und suchen einen Makler, der keine Fragen stellt. Wenn sie Kunstwerke wollen, dann überweisen sie das Geld an ein Auktionshaus. Offshore heißt, dass man nie genug haben muss.

      Aber das ist längst nicht alles. Wenn der wahre Eigentümer eines Vermögenswerts (zum Beispiel einer Villa, eines Flugzeugs, einer Jacht oder eines Unternehmens) geschickt hinter zahlreichen verschachtelten Konstruktionen und in verschiedenen Ländern versteckt wird, lässt er sich kaum noch ausfindig machen. Selbst wenn, wie in der Ukraine, die korrupte Regierung gestürzt wird, ist es schwierig bis unmöglich, die gestohlenen Summen zu finden, zu konfiszieren und zurückzuholen. Vielleicht haben Sie gelesen, dass Abermillionen nach Nigeria, Indonesien, Angola oder Kasachstan zurücküberwiesen wurden, doch in jedem dieser Fälle kommt auf jeden gestohlenen Euro bestenfalls ein zurückgezahlter Cent. Die korrupten Herrscher verstecken ihr Vermögen inzwischen derart geschickt, dass einmal gestohlenes Geld für immer verloren ist. Selbst wenn sie ihre Ämter verlieren, behalten sie ihre luxuriösen Anwesen im Westen von London, ihre Superjachten in der Karibik und ihre Villen in Südfrankreich.

      Der Schaden für die betroffenen Länder ist enorm. Die Regierung von Nigeria hat die Kontrolle über den Norden des Landes verloren und Millionen Menschen sind auf der Flucht. Libyen ist als Staat kaum noch zu erkennen, bewaffnete Banden kämpfen um die Vorherrschaft und lassen den Menschenschleppern freie Bahn. Die Korruption der afghanischen Politiker verhindert den Kampf gegen den Opiumanbau, die Schmuggler können das billige Heroin nach Belieben ins Ausland verfrachten. In Russland, einem der Hauptabnehmer des Heroins, sind mehr als eine Million Menschen mit dem HI-Virus infiziert, doch das Gesundheitswesen hat kein Geld, und die Regierung interessiert sich mehr für kurzfristige Propagandaerfolge als dafür, ihren Bürgern zu helfen.

      Und die Ukraine ist eine Ruine. Die Landstraßen zwischen den größeren Städten befinden sich in miserablem Zustand, während die zwischen den Dörfern kaum noch instand gehalten werden. Eine Fahrt durch das Land ist eine Qual, die noch unerträglicher wird, weil man ständig von Verkehrspolizisten angehalten wird, die nach kleinsten Verstößen gegen die komplizierte Straßenverkehrsordnung Ausschau halten oder sie wenn nötig auch erfinden.

      Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit im Jahr 1991 waren die Einwohner der Ukraine mehr oder weniger gleich arm oder reich, da die Sowjetunion ihre Misswirtschaft gerecht auf alle verteilt hatte. Innerhalb von nur zwei Jahrzehnten hat sich die Situation vollkommen verändert. Am Vorabend der Revolution des Jahres 2013 befand sich die Hälfte der Volkswirtschaft in der Hand von nur 45 Personen. Auch dies hat die Ukraine mit zahlreichen von der Korruption zerfressenen Entwicklungsländern gemeinsam. Die Tochter des langjährigen Präsidenten Angolas ist die reichste Frau Afrikas und stöckelt durch den Westen wie ein Filmstar, während der Rest der Bevölkerung in einem gescheiterten Staat ums Überleben kämpft. Die Tochter des Präsidenten von Aserbaidschan produziert Filme und verlegt Hochglanzmagazine, und die Söhne des Notstandsministers unterhielten bis vor Kurzem ein Lobbyunternehmen in der Londoner City. Es ist kaum vorstellbar, wie Länder mit einer derart zerrütteten Wirtschaft ein gesundes Gemeinwesen und eine funktionierende Demokratie auf die Beine stellen sollen, von der Landesverteidigung ganz zu schweigen.

      Was das heißt, wurde kurz nach der ukrainischen Revolution auf der Krim deutlich. Die Krim gehört zur Ukraine, doch als russische Truppen – in nicht gekennzeichneten Uniformen, aber in Fahrzeugen mit russischen Militärkennzeichen – in die Städte der Halbinsel einfuhren und Militärstützpunkte blockierten, waren die Verantwortlichen derart demoralisiert, dass sie keine ernsthafte Gegenwehr leisteten. Ein Admiral ergab sich den Russen nicht nur, sondern händigte ihnen auch gleich die ukrainische Flotte aus, obwohl er angeblich seinem Land den Treueeid geschworen hatte. Im Flughafen stempelten die Grenzbeamten den ukrainischen Dreizack in meinen Pass, doch das Land, dem sie dienten, war verschwunden. Im Osten der Ukraine wiederholte sich das Spiel: Kaum jemand war bereit, die Ukraine gegen die von Russland unterstützten, gut bewaffneten und gut ausgebildeten Separatisten zu verteidigen. Die Korruption hatte den Staat derart ausgehöhlt, dass er zu einem Apparat der kriminellen Selbstbereicherung der Politiker verkommen war. Warum sollte jemand etwas verteidigen, das nur dazu da war, ihm das Leben schwer zu machen? Die Korruption hatte dem Staat jegliche Legitimität genommen.

      Der Zorn darüber zerfrisst nicht nur die Ukraine, sondern auch viele andere Länder. In Afghanistan, Nigeria und dem Nahen Osten treibt er die Menschen in die offenen Arme der Terrorbanden. »Die große Gefahr für die Zukunft Afghanistans sind nicht die Taliban, nicht ihre Verstecke in Pakistan und auch nicht die aufkeimende Feindseligkeit Pakistans. Wirklich existenzbedrohend ist die Korruption«, sagte der amerikanische General John Allen, ehemaliger Befehlshaber der internationalen Mission in Afghanistan, im April 2014 in einer Anhörung vor einem Ausschuss des amerikanischen Senats. »Religiöse Aufständische, kriminelle Netzwerke und Drogenhandel sind ein gefährliches Bündnis eingegangen, das auf die Übernahme staatlicher Funktionen auf allen Ebenen zielt. Zu lange haben wir die Taliban als alleinige Existenzbedrohung Afghanistans gesehen. Aber im Vergleich mit dem Umfang der Korruption, mit der wir zu kämpfen haben, sind sie nicht mehr als ein lästiges Ärgernis.«

      Ich verspüre das Bedürfnis, allen dieselbe Frage zu stellen, die ich Anton gestellt habe: Wie kann es sein, dass sie nicht wussten, was da los war? Es ist doch offensichtlich, oder? Aber nein. Anton hat recht. Es ist nicht offensichtlich. Das Geld ist nur dann leicht zu finden, wenn man schon weiß, wo es ist. Und das Problem ist nur dann offensichtlich, wenn man schon weiß, dass es existiert.

      •

      Am Morgen nach Halloween 2017 lag auf den Stufen eines hübschen Backsteingebäudes in der Union Street 377 im Süden des New Yorker Stadtteils Brooklyn Heights ein kunstvoll geschnitzter Kürbis. Bei genauerem Hinsehen hatte der Kürbis gewisse Ähnlichkeit mit Robert Mueller, dem ehemaligen FBI-Direktor und nun Sonderermittler, der herausfinden sollte, ob Russland in illegaler Weise in den Präsidentschaftswahlkampf der Vereinigten Staaten eingegriffen und die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten unterstützt hatte. Der Kürbis stammte von der Fotografin Amy Finkel, die an der Fassade eine Gedenktafel angebracht hatte, auf der stand: »Dieses Haus brachte einen Präsidenten zu Fall.« Die Anwohner, die bei der Präsidentschaftswahl 2016 überwiegend für Hillary Clinton gestimmt hatten, freuten sich.

      Zwei Tage zuvor hatte Mueller Anklage gegen Trumps ehemaligen Wahlkampfmanager Paul Manafort erhoben, und aus der Anklageschrift ging hervor, dass dieses Haus Teil einer weit gespannten Geldwäscheoperation war. Manafort hatte das Haus 2012 für 3 Millionen Dollar gekauft, die von einem zypriotischen Konto stammten, dann hatte er es mit einer Hypothek von 5 Millionen belastet und schließlich mit diesem Geld weitere Immobilien erworben und Schulden getilgt – ein kompliziertes Manöver zur Steuerhinterziehung.

      Bevor Manafort für Trump tätig wurde, hatte er Janukowytsch beraten und für beide Politiker ähnliche Wahlkampfstrategien entwickelt. Unter Manaforts Anleitung verkaufte sich Janukowytsch als Mann der Praxis, der Klartext redete und für die Vergessenen und Benachteiligten eintrat. Muellers Anklage bezog sich auch auf seine Arbeit in der Ukraine und darauf, was er mit seinem Honorar angefangen hatte. »Seine Lobbyarbeit richtete sich an Abgeordnete des amerikanischen Kongresses und zielte auf eine Aufhebung


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