Land des Geldes. Oliver Bullough

Land des Geldes - Oliver Bullough


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weil die Artikel der Internetausgabe auch in Großbritannien gelesen werden können und damit Gegenstand der strengen britischen Diffamationsgesetze sind. Und wenn Sie Ihr Vermögen in den Vereinigten Staaten anlegen können, werden die Behörden zu Hause nie dahinterkommen (wie das funktioniert, erkläre ich Ihnen später), aber wenn Sie es zu Hause aufs Sparbuch legen, dann wissen die Behörden alles. Wer Geld hat, kann sich seine Gesetze zusammenstellen wie am Nachtischbuffet.

      Der Physiker Richard Feynman soll einmal gesagt haben: »Wer glaubt, die Quantenmechanik verstanden zu haben, hat die Quantenmechanik nicht verstanden.« Genauso geht es mir mit den Offshore-Strukturen und den Verwerfungen, die sie in aller Welt bewirkt haben. Doch selbst wenn mich das Schwindelgefühl weg vom Bildschirm und hinaus auf die Straße treibt, entkomme ich dem nicht. Das Gebäude, in dem ich meinen Kaffee mitnehme, gehört einem Unternehmen auf den Bahamas. Das Haus, in dem mein Friseur seinen Salon hat, gehört einer Firma in Gibraltar. Die Baustelle auf dem Weg zur U-Bahn gehört einer Gesellschaft auf der Isle of Man. Wenn wir herausfinden wollten, was um uns herum vorgeht, kämen wir zu nichts anderem mehr. Kein Wunder, dass sich die meisten vernünftigen Menschen nicht dafür interessieren, was die Superreichen treiben. Wenn man dem weißen Kaninchen ins Loch folgt, dann macht der Tunnel plötzlich einen Knick, und ehe man sichs versieht, stürzt man in einen tiefen Schlund und landet im Wunderland. Für alle, die Geld haben, ist das ein paradiesischer Ort. Die anderen können sich die Nase an der Scheibe platt drücken, weil man sie nicht reinlässt.

      Das hat Folgen, die den Staat im Herzen treffen. Der amerikanische Soziologe Mancur Olson sieht den Ursprung der Zivilisation in dem Moment, in dem prähistorische »umherziehende Räuberbanden« erkannten, dass sie mehr davon hatten, wenn sie nicht mehr umherzogen und andere ausraubten, sondern sich stattdessen niederließen und ihre Opfer dauerhaft ausnahmen. Die Frühmenschen ließen sich darauf ein; sie büßten zwar einen Teil ihrer Freiheit ein, wenn sie sich diesen stationären Banditen unterwarfen, doch im Gegenzug erhielten sie dafür Stabilität und Sicherheit. Die Interessen der Räuberbanden und der Gemeinschaften näherten sich an. Da die Gemeinschaften nicht mehr in Angst vor dauernden Plünderungen leben mussten, konnten sie komplexere Gesellschaften und Wirtschaftssysteme entwickeln und wurden immer wohlhabender; auf diese Weise entstanden schließlich Staaten und Kulturen und alles, was uns heute selbstverständlich erscheint. »Die Untertanen der Tyrannen werden zwar alljährlich dem Steuerdiebstahl unterworfen, doch das ist ihnen lieber, als sporadisch von umherziehenden Banden überfallen zu werden. Streunende Banditen bedeuten Anarchie, und wenn der Staat an die Stelle der Anarchie tritt, dann ermöglicht dies spürbare Produktionssteigerungen«, schrieb Olson in seinem Buch Macht und Wohlstand.

      Ein stabiler Staat ist im Interesse der Starken und der Schwachen, denn beide wünschen sich Wohlstand für alle. Die Schwachen, weil sie gern selbst wohlhabend wären, und die Starken, weil sie wollen, dass die Schwachen wohlhabend sind, um ihnen mehr Abgaben abknöpfen zu können. Olson vergleicht das mit der Schutzgelderpressung durch die Mafia. Wenn die Mafia die Gemeinschaft vollständig im Griff hat, gibt es keine Kriminalität, denn der Pate hat ein Interesse daran, dass die Unternehmen in seinem Territorium so viel wie möglich verdienen, damit er ihnen so viel Geld wie möglich abpressen kann. Kriminalität ist für die Gesellschaft unproduktiv, denn sie zwingt die Menschen, Geld für Wachen, Mauern und Türschlösser auszugeben. Ein stabiler Staat ist daher in unser aller Interesse. Doch Olson macht eine Einschränkung: Das Argument funktioniert nur, wenn alle langfristig denken. Moneyland stellt die Rechnung auf den Kopf. Da die Reichen in der Lage sind, ihr Vermögen aus der Gemeinschaft zu entfernen, die sie bestehlen, ist es ihnen egal, was auf lange Sicht passiert. Je mehr sie heute stehlen, umso mehr Geld haben sie und ihre Kinder. Sie verdienen an der Instabilität: Je mehr Konflikt es gibt, umso besser können sie absahnen.

      In diesen Offshore-Banditen vereinen sich die schlimmsten Eigenschaften der alten umherziehenden Räuberbanden und ihrer sesshaften Nachfolger. Dank der Magie des modernen Finanzwesens und der Anonymität der Offshore-Justiz, denen die Herkunft des Geldes gleichgültig ist, unterdrücken sie ihre Untertanen, ohne zu Sicherheit und Wohlstand beizutragen.

      Die »Revolution der Würde« des Jahres 2014 war bereits die zweite Revolution der Ukraine innerhalb von zehn Jahren. Die erste, die nach den Fahnen der Demonstranten benannte »Orange Revolution«, war eine heitere Angelegenheit, ein Straßenfest mitten im Winter. Als die Regierung schließlich einlenkte und eine von Betrugsvorwürfen überschattete Wahl wiederholte, war das Land im Freudentaumel. Ich war einer von Hunderttausenden, die in Erwartung einer besseren Zukunft tanzten und feierten. Wir freuten uns auf ein ehrliches Land, das von Regeln beherrscht würde und nicht vom Diktat korrupter Politiker. Es war, als würden die Träume, mit denen ich 1999 nach Russland gekommen war, endlich wahr werden.

      Ich hätte es besser wissen sollen. Es gelang der Orangen Revolution nicht, die Korruption zu beenden. Im Gegenteil, es wurde alles noch viel schlimmer. Es ist so einfach, Geld zu stehlen und in Moneyland zu horten, wo es für immer sicher ist, dass schon eine gewaltige Willensanstrengung nötig ist, sich nicht zu beteiligen, vor allem in Ländern ohne starke Institutionen und unabhängige Justiz. Die Lektionen der Ukraine treffen auch auf Nigeria, Malaysia, Afghanistan und viele andere Länder zu. Sosehr sie sich in Sprache, Kultur, Religion und fast allem anderen unterscheiden – aus Sicht des Geldes sind sie alle gleich.

      Egal wo das Geld gestohlen wird, es endet immer an denselben Orten: London, New York, Miami. Und egal wo es landet, es wird auf dieselbe Weise gewaschen, nämlich mithilfe von Briefkastenfirmen und anderen juristischen Konstrukten in einer Handvoll Ländern. In den vergangenen Jahren haben wir uns daran gewöhnt, der Globalisierung vorzuwerfen, dass sie Arbeitsplätze im Westen vernichtet und ohne Rücksicht auf Verluste in andere Länder verlagert. Die Fürsprecher der Globalisierung halten dagegen, dass die Verschiebung des Kapitals an Orte, an denen es am effizientesten ist, in Indien und China mehr Menschen aus der Armut befreit hat als je eine Maßnahme zuvor.

      Aber in Moneyland funktioniert die Globalisierung anders. Es geht nicht darum, Kapital dahin zu verschieben, wo es die größten Erträge bringt, sondern darum, Kapital dahin zu verschieben, wo es den größten Schutz genießt. Das ist die dunkle Seite der Globalisierung, und deren einzige Fürsprecher sind Strauchdiebe und Halunken.

      Gegen Moneyland vorzugehen ist allerdings nicht einfach. Man kann nicht mit Soldaten einrücken, denn es ist auf keiner Landkarte zu finden. Man kann keine Sanktionen dagegen verhängen und keine Diplomaten zu Verhandlungen schicken. Moneyland hat keine Zöllner, die Pässe abstempeln, keine Flagge, vor der man den Hut zieht, und keinen Außenminister, mit dem man telefonieren könnte. Es hat keine Armee, um sich zu verteidigen, aber die braucht es auch nicht. Es existiert überall da, wo jemand sein Geld dem Zugriff seines Staats entzieht und die Anwälte und Banker bezahlen kann, die ihm dabei helfen. Aber wenn wir unsere Demokratie erhalten wollen, müssen wir etwas gegen seine nomadenhaften Bewohner unternehmen und Wege finden, die Offshore-Konstrukte zu zerschlagen, mit denen sie ihr Geld vor der demokratischen Aufsicht verbergen. Von ihnen geht mindestens dieselbe Gefahr für die rechtsstaatliche Ordnung aus wie von den Terroristen und Diktatoren, von denen wir täglich hören.


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