Im Takt des Geldes. Eske Bockelmann

Im Takt des Geldes - Eske Bockelmann


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der taktrhythmischen Synthesis noch lange nicht erschöpft. Sie verbindet nicht allein Elemente zu Gruppen, sondern nimmt diese Gruppen wiederum zu Elementen, zu den Elementen fortgesetzter Gruppenbildung: Sie verbindet sie weiter zu potenzierten Gruppen.

      Auch das hat Dietze wider sein Erwarten in seinen Experimenten erkennen müssen. Er hatte lediglich die Frage untersuchen wollen, bis zu welcher maximalen Anzahl wir Töne als Einheit behalten können. Zu erwarten stand: Je größer die Anzahl, umso schwerer müsse es fallen. Eine Folge von 15 würden wir nicht mehr so leicht behalten wie eine von 14, eine von 16 wiederum schlechter als die mit 15, und so weiter fort, bis möglicherweise mit 20 der Punkt erreicht wäre, wo wir uns eine Folge gar nicht mehr als Einheit würden merken können. Die Experimente ergaben jedoch etwas ganz anderes. Eine Folge von 16 Tönen fassen wir zum Beispiel sehr gut auf, während uns eine Folge von 11 oder 13 schier gar nicht eingehen will.

      Dietze wurde also darauf gestoßen, dass wir eine Tonfolge nicht nur unwillkürlich zu zweien und dreien, sondern zu noch größeren Gruppen verbinden, wenn sie jeweils eine bestimmte Anzahl von Tönen aufweisen: nämlich eine solche, die durch dieselbe Art der Gruppenbildung vorgegeben wird. Dietze hatte zunächst festgestellt, »dass relativ am leichtesten eine gerade Anzahl von Eindrücken zusammengefasst werden kann«: jede Abfolge von mehreren Zweier-Gruppen, das kann nicht überraschen. Weiter jedoch, so zeigte sich, besitzen »einen besonderen Vorzug die Zahlen 4, 6, 8, 16«.23 Wie das? Die Zahlen 4, 6 und 8 überraschen noch immer nicht, sofern sie lediglich die Reihe der geraden Zahlen über die Zwei hinaus fortzusetzen scheinen. Ginge es jedoch nur um die fortgesetzte Zweier-Reihe, um zwei und zwei und zwei und entsprechend weiter, so müssten nach 4, 6 und 8 einfach die nächsten geraden Zahlen 10, 12 und 14 folgen. Die aber bereiten unserer Wahrnehmung durchaus Schwierigkeiten, größere jedenfalls als die uns leicht eingängige 16. Also liegt die Sache etwas komplizierter, als dass nur die Geradzahligkeit herrschen würde.

      Der Sprung von der 8 zur 16 zeigt, dass keine arithmetische, sondern die geometrische Reihe vorliegt, also nicht die Aneinanderreihung und damit die Addition von Zweier-Gruppen, sondern deren Potenzierung. Schon eine Gruppe aus vier Tönen nämlich schließen wir nicht dadurch zusammen, dass wir bloß zwei elementare Zweier-Gruppen bilden würden, erst 1-2 und dann noch einmal 3-4, sondern dadurch, dass wir diese beiden Gruppen noch einmal zu Elementen einer höheren, einer potenzierten Zweier-Gruppe machen, sie also beide noch zu einer höheren Gruppe aus 1-2 und 3-4 verbinden. Deren erstes Element wird das 1-2, ihr zweites das 3-4. Aber es geht noch weiter: Eine solche Gruppe aus nunmehr zwei Untergruppen und insgesamt vier Elementen verbinden wir wiederum mit einer entsprechenden nächsten, sofern eine solche folgt, und es ergibt sich eine Gruppe aus zweimal zwei Zweier-Gruppen, also von acht Elementen; und eine weitere solche Gruppe, mit der vorangegangenen verbunden, ergibt eine Gruppe von sechzehn – insgesamt also die Reihe: 2, 4, 8, 16.

      Darin fehlt nun aber die Zahl 6 aus Dietzes Vorzugsreihe – wie kommt es zu ihr? Sie ergibt sich, indem wir nicht Zweier-, sondern Dreier-Gruppen potenzieren, also entweder zwei Dreier-Gruppen als Elemente zu einer potenzierten Zweier-Gruppe verbinden – (1-2 3)-(4-5 6) – oder drei Zweier-Gruppen zu einer potenzierten Dreier-Gruppe – (1-2)-(3-4) (5-6). So kommt es jeweils zur synthetischen Verbindung von sechs Elementen.

      Dieser Dreier-Potenzierung sind des weiteren allerdings sehr enge Grenzen gezogen. Eine Gruppe aus neun zu bilden, also aus dreimal drei Elementen, gelingt uns zwar, wie die Taktmusik zeigen wird, ist jedoch gegenüber den Gruppen nach Zweier-Potenzen schon deutlich erschwert. Der Grund dafür liegt ja inzwischen auf der Hand: Da sich die Bildung einer Dreier-Gruppe aus der Zweier-Gruppe als Sonderfall ableitet und bestimmten, notwendig erschwerenden Bedingungen unterliegt, muss sich auch diese Erschwernis potenzieren, sobald wir die Gruppenbildung potenziert vornehmen. Deshalb fällt es uns zwar verhältnismäßig leicht, die elementare Dreier-Gruppe zu bilden, verliert sich diese Fähigkeit jedoch in der Potenzierung sehr rasch. Die Dominanz der Zweier-Gruppe schon auf elementarer Ebene vergrößert sich bei der potenzierten Gruppenbildung alsbald bis zur ausschließlichen Herrschaft der Zwei. Von einer ungeraden Anzahl von Elementen wird deshalb lediglich die Drei, keine andere mehr, die darüber liegt, vergleichbar gut zusammen-, und das heißt ja zugleich: aufgefasst.

      Unser Reflex vermag also jede Gruppe, die er geschlossen hat, wiederum derselben elementaren Gruppenbildung zu unterwerfen, sie zu einer Gruppe aus Gruppen zu verbinden. Das heißt, er agiert nicht nur auf einer Ebene von Elementen, sondern gleichzeitig auf mehreren übereinander – potenziert. Und das nicht in bloß leerer Rechnerei, sondern so, dass es konkret den Inhalt unserer Wahrnehmung formt. Auch die Verbindung von je zwei Gruppen zu einer potenzierten müssen wir ja dadurch herstellen, dass wir beide nach dem Hervorhebungsverhältnis aufeinander beziehen, also sie auch danach unterscheiden. Mit folgender Wirkung:

       In einer subjektiven Gruppenbildung von vier Elementen, mit einem Akzent auf dem ersten Element, neigt das dritte Element dazu, einen schwächeren, sekundären Akzent zu erhalten.

      Beide Akzente, den Akzent auf dem ersten und auf dem dritten Element: 1-2 3-4, hören wir »subjektiv«, geleistet durch unseren Wahrnehmungsreflex. Warum aber den ersten stärker als den zweiten? Aus eben dem Grund, dass wir tatsächlich die erste der zwei Gruppen aus h und n wiederum – potenzierend – nach dem Hervorhebungsverhältnis auf die zweite beziehen, und also die eine gegen die andere hervorheben. Und das heißt, wir hören den Akzent der einen stärker als den der anderen. Die Hervorhebung wird von unserer Synthesis nicht bloß innerhalb der Gruppen zwischen den Elementen vorgenommen, sondern zugleich zwischen den Gruppen als Elementen. Die Hervorhebung ergibt sich nicht nur auf einer Ebene von Elementen, sondern ebenfalls potenziert auf mehreren zur gleichen Zeit; hier auf zweien:

      Aber tatsächlich auch auf mehreren Ebenen, unsere Synthesis macht nicht bei zweien halt. Ich zitiere noch einmal Dietze – und erinnere, dass er unter »Vorstellungen« die Klangelemente versteht, sofern sie in die Wahrnehmung eingegangen und dort präsent sind.

       Complicirter ist der Verlauf einer längeren Reihe von Vorstellungen, deren Auffassung durch die Vereinigung der Vorstellungen zu umfangreicheren Gruppen ermöglicht wird. Die erste Vorstellung einer jeden Gruppe wird mit größerer Energie appercipirt als die übrigen zu der Gruppe verbundenen Vorstellungen. Aber auch innerhalb der letzteren ist die Energie der Apperception eine verschiedene und abhängig von der Art der beobachteten Gruppeneintheilung. Werden z. B. in einer Reihe gegebener Eindrücke je 8 zu einer Gruppe verbunden, so wird in der Regel innerhalb einer jeden derselben am stärksten der erste Eindruck, mit geringerer Energie der fünfte, noch schwächer der dritte und siebente Eindruck, am schwächsten werden die übrigen Eindrücke appercipirt, was in der verschiedenen Hebung und Senkung der einzelnen Taktschläge bei der rhythmischen Gliederung der Reihe unmittelbar subjektiv wahrzunehmen ist. 24

      Ich skizziere das Beschriebene, indem ich die Gruppenbildung nach dem Hervorhebungsverhältnis andeute:

      Die Gruppen aus den Elementen 1 bis 4 und diejenigen aus den Elementen 5 bis 8 verhalten sich jeweils wie die schon beschriebene Vierer-Gruppe mit ihrem sekundären Akzent, also erstens wird jeweils die 1 hervorgehoben gegenüber der 2, die 3 gegenüber der 4 und so weiter – Ebene I –, und zweitens die 1 hervorgehoben gegenüber der 3 und die 5 gegenüber der 7 – Ebene II. Bis hierher also sind 1 und 5 stärker hervorgehoben, 3 und 7 schwächer, alle übrigen gar nicht. Aber auch diese beiden Vierer-Gruppen werden noch aufeinander bezogen und entsprechend also deren hervorgehobene Elemente, Element 1 und 5, noch einmal gegeneinander abgesetzt – Ebene III. Und auf diese Weise bewirkt die Synthesis nach dem Hervorhebungsverhältnis genau diejenige Staffelung der »Eindrucksstärke«, die Dietze festgestellt hatte: Am stärksten hören wir Element 1, weniger stark Element 5, schwächer noch 3 und 7, und die übrigen Elemente ganz einfach nicht-hervorgehoben.


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