Im Takt des Geldes. Eske Bockelmann

Im Takt des Geldes - Eske Bockelmann


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Synthesis noch nicht sein Ende. Es wird sich zeigen, dass wir auf dieselbe Weise ohne weiteres etwa bis zu einer fünffachen Potenzierung fortfahren können – Zeugnis der außerordentlichen Kraft, mit der jene Synthesis in uns wirkt. Man mache sich nur für einen Moment einmal ihr komplexes Verfahren bewusst: Sie fasst die klangliche Elementefolge nicht bloß jeweils eins plus eins in Häppchen von je zweien zusammen, die sie des weiteren unverbunden eines neben dem anderen stehen ließe; sondern zur gleichen Zeit, da sie zwei Töne oder allgemeiner zwei Zeiteinheiten zu Elementen macht und sie zu einer Gruppe schließt, macht sie diese Gruppe noch einmal zu einem Element, und während die nächsten Einheiten nachfolgen und sie jede von ihnen erneut zu Elementen und zu einer Gruppe zusammenschließt, bezieht sie diese neue Gruppe zurück auf jene erste, und so wiederholt sie an allen weiteren Einheiten, die nachfolgen, nicht nur deren jeweiliges Zusammenfassen und Aufeinanderbeziehen, sondern leistet von ihnen außerdem immer noch einmal den Bezug zurück auf alle bereits hergestellten Verbindungen. Mit Bestimmungen von der denkbar größten Einfachheit, dem h-n des Hervorhebungsverhältnisses, durchwirkt sie so eine gesamte Klangfolge, spannt diese zur Einheit zusammen und macht alles das zu ihrem Zusammenhang, ordnet es zu einem großen Verlauf in sich je wieder gleich durchwirkter Teile und ergibt so die merkwürdige Arithmetik der Zweierpotenzen, nach der wir Klang und leere Zeit zu Elementen und Gruppen schließen. Und mit alledem – auch das – macht sie es uns zugleich rhythmisch.

      Wenn man es so beschreibt, klingt alles nur hoch abstrakt und mathematisch leer – und soll doch unsere so gar nicht abstrakte, so gar nicht leere Rhythmusempfindung begründen. Es klingt kompliziert, rechnerisch und vor allem sehr viel bewusster, als wir es je empfinden. Für unsere Ohren macht sich doch alles von selbst: Wir hören Rhythmus ganz einfach und wüssten nicht, dass wir dabei irgendetwas zu leisten hätten. Was wir hören und empfinden, ist unseren Ohren unmittelbar Klang, Fülle, Inhalt, es sind nicht diese leeren Zeiteinheiten, kein gleichsam technisches Verhältnis, nicht diese Mathematik der potenzierten Zwei. Und doch leisten wir eben sie.

      Wenn wir es nun aber tun, wie kommt es von da zu all dem rhythmischen Reichtum, den wir kennen? Wie von dem kargen betont/unbetont zu den Zehntausenden von Rhythmen nach dem Takt? Wie von dem trockenen tik-tak zur Ekstase eines Tanzes?

      Um das zu klären, bedarf es noch einmal gleichsam technischer Information darüber, wie sich jene synthetische Leistung in uns verhält, und zwar darüber, wie sie auf Klang reagiert. Was ich bisher von ihrer Wirksamkeit beschrieben habe, spielte tatsächlich nur in einem experimentell bereinigten Bereich stur gleichgültiger, gleichsam abstrakter Klänge. Aber das aus dem einfachen Grund, weil sich beim Hören dieser gleichgültig identischen Töne besonders klar unterscheiden lässt, was objektiver Klang und was dagegen Leistung jener Synthesis ist. Das heißt nicht, dass sie allein unter solch klinisch reinen Verhältnissen wirksam würde und sonst unterbliebe. Sie wirkt auch, wenn die Töne und Abstände nicht jeweils die identischen sind.

      Und in diesem Fall vermag sie sehr wohl auch auf die möglichen Unterschiede in den Tönen zu reagieren und lässt sie sich durch eine entsprechende Differenzierung der Töne womöglich gar in ihrer Wirksamkeit bestärken. Die Takt-Synthesis wird ja durchaus nicht bei jedem beliebigen Klang wirksam, es gibt genug Töne und Geräusche auf der Welt, von denen sie nicht auf den Plan gerufen wird und die wir folglich nicht taktrhythmisch hören – und deshalb auch nicht als rhythmisch empfinden. Wenn sie jedoch durch eine Klangfolge hervorgerufen wird, wenn sie also bei einem ihr entsprechenden Klang wirksam wird, und wäre der noch so reich und vielfältig in sich gestaltet, so heftet sie ihre Bestimmungen h und n nach Möglichkeit an die objektiven Unterschiede der Klangelemente und wird dadurch auch in sich, genauer: in unserer Wahrnehmung, reicher und vielfältig.

      Es bereitet mir einige Pein, diese Dinge nicht am Klang selbst vorführen zu können. Aber ein Buch, und wenn es von nichts sonst als von Klängen handeln wollte, bleibt in dieser Hinsicht stumm und kann nur hoffen, mit seinen beschreibenden Worten, wo der Leser den Klang vielleicht selbst in sich trägt, auch genug davon zu evozieren. Ich sage also schlicht: Jeder weiß, auf wieviel tausenderlei Weise allein die uns geläufige TaktMusik in sich gestaltet und unterschieden sein kann. Wie unser Taktreflex auf alle diese unzähligen Möglichkeiten reagiert und von ihnen geleitet wird, diese Frage zu erschöpfen versuche ich erst gar nicht. Aber es gibt ein paar Fälle, die untersucht sind, sich leicht beschreiben lassen und die alles Grundsätzliche über das Verhalten unserer Takt-Synthesis zu erkennen geben.

      Der einfachste Fall: Wir hören Töne, die in gleichmäßigem Abstand aufeinander folgen, aber nun tatsächlich abwechselnd der eine lauter und der andere leiser:

       Wenn zum Beispiel, bei gleichen zeitlichen Abständen und nicht zu hohem Tempo, jeder zweite Ton lauter ist als die anderen, neigen wir dazu, die Tonfolge in Zweier-Gruppen zu hören mit dem lauteren Ton zu Beginn der Gruppe. 25

      Dass wir diese objektiv nach lauter und leiser abwechselnden Töne in Gruppen hören, wird niemanden verwundern, eher wird man fragen, ob es dazu überhaupt der Wirksamkeit unserer Synthesis bedarf. Ja: Denn auch hier machen sich die Gruppen nicht von allein, sondern verbindet sie die Töne. Auch wenn es das objektive Abwechseln der Töne nach lauter und leiser nahelegt, dass wir sie in Gruppen aus lauter und leiser verbinden, die Verbindung selbst ist gleichwohl noch zu leisten, der Klang enthält sie noch immer nicht von sich aus und objektiv, das Zusammenschließen der Elemente zu Gruppen ist auch hier erst Sache und Leistung des Wahrnehmenden. Dass wir sie leisten und nicht einfach im Klang liegend nur vorfinden, hat aber zusätzlich noch seinen deutlichen Beweis: da wir die Gruppen in einer bestimmten Reihenfolge auffassen, und zwar hier in der Reihenfolge h-n statt der ebenfalls möglichen n-h, einer Gruppe in der umgekehrten Abfolge leiser-lauter. Wir belegen also die abwechselnd leiseren und lauteren Töne mit unserem synthetischen betont/unbetont, indem wir sie zu Gruppen dieser Abfolge verbinden.

      Dass die Reihenfolge einer Gruppe auch in diesem Fall durch unsere Wahrnehmung festgelegt und deshalb nicht zufällig ist, beweist auch der zweite einfache Fall: Wenn wir wiederum objektiv nach lauter und leiser abwechselnde Töne hören, aber diesmal in unterschiedlichen Abständen.

       Wenn das Zeitintervall, das auf den schwächeren Ton folgt, verkürzt wird, während dasjenige, das ihm vorangeht, zunimmt, dann wird ein Punkt erreicht, von dem an man den Eindruck hat, die Gruppe würde mit dem schwächeren Ton beginnen und der lautere wäre der zweite. Mit anderen Worten, der Rhythmus schlägt um von trochäisch zu jambisch.

      Noch immer ertönen die Töne objektiv der eine lauter, der andere leiser. Unsere Gruppenbildung jedoch verkehrt die Abfolge h-n in die entgegengesetzte Abfolge n-h. Auch das kann sich nicht einfach objektiv im Klang machen, sondern muss notwendig subjektiv, durch unsere Wahrnehmung geleistet werden. Objektive und subjektive Bestimmungen spielen auf solche Weise also zusammen: indem die Takt-Synthesis ihre Verhältnisbestimmungen, das h und n, an objektive Bestimmungen heftet. Sie heftet – wenig überraschend – die Hervorhebung, also ihre Bestimmung h, an den objektiv lauteren Ton und ihre Bestimmung n an den objektiv leiseren. Von diesem Zusammenspiel bemerken wir und nehmen wir nichts wahr als das einfache betont/unbetont. In unserer Wahrnehmung verschmelzen die zwei Arten von Bestimmungen zu einer: Die objektiv lauteren Töne hören wir ganz einfach als die hervorgehobenen gegenüber den objektiv leiseren als den nicht-hervorgehobenen. Wir hören die Gruppe h-n bestehend aus lautem und leisem Ton.

      Ein dritter Fall. Wir hören nun wieder Töne von identischer Lautstärke, auch der Abstand vom Beginn des einen Tons zum nächsten ist jeweils gleich, aber die Töne selbst sind nun abwechselnd einer länger, einer kürzer. Was hören wir?

       Was die Wirkung der relativen Dauer des Stimulus betrifft, wenn Tonstärke und zeitliche Abstände einheitlich sind, so steht die Wahrscheinlichkeit in dem Fall, dass jeder zweite Ton länger ist, zu Gunsten einer jambischen Gruppenbildung, das heißt, der längere Ton wird zum jeweils zweiten Element der


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