Scheinwelt. Andreas Reinhardt

Scheinwelt - Andreas Reinhardt


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und mit ordentlichen Punktzahlen in den Prüfungen. Anders als früher im Physik- oder Chemieunterricht, bei mathematischen Formeln oder verstaubten Novellen irgendwelcher toten Literaten, war ich während des Studiums interessiert und motiviert, weil mich die behandelten Themen nachvollziehbar weiterbringen konnten. Man stelle sich nur mal vor, als Dozenten für das Fach Ernährungslehre hatte ich Clive Salz, den ehemaligen Mister Universum, der als Ernährungsberater schon mit Sportlern wie den Profiboxern Manuel Charr oder Felix Sturm zusammengearbeitet hatte. Mich holte er gerne als positives Anschauungsobjekt für das optimale Zusammenspiel von Ernährung und Muskelaufbau zu sich nach vorne – ein unbezahlbarer Motivationsschub.

      Ganz sicher bin ich meinem Bruder und anderen besonders in der letzten Phase des Studiums gewaltig auf den Sack gegangen. Andauernd spielte ich provokant mit meinen Muckis, wollte partout beim Bankdrücken auftrumpfen. Alex' „Intellekt-Keule“ ließ meist nicht lange auf sich warten, wenigstens auf dem Feld durfte er sich noch immer unschlagbar fühlen. Was für ein amüsantes Kasperle-Theater zwischen uns, das nach wie vor stattfindet, wenn auch ohne Muskelspiel und mit mehr Augenzwinkern.

      In der Praxis war ich zu keinem Zeitpunkt mehr darauf aus, vorwiegend oder ausschließlich die Schönen und Erfolgreichen des Showbusiness fit zu machen und mich in deren Erfolg zu sonnen. Vielmehr ging es mir darum, mit spezialisierter Kompetenz – Abnehmen, gesteigerte Fitness, für die Damen Bauch, Beine, Po und für die Herren Brust, Bizeps, Waschbrettbauch – sowie Empathie und Geselligkeit jeden weiterzubringen, der sich an mich wandte. Was mich dabei besonders motivierte waren Menschen gleich welchen Berufes, Geschlechtes oder sozialen Ranges, die das von mir individuell erstellte Trainingsprogramm ehrgeizig und diszipliniert umsetzen wollten. Denn nur denen konnte ich wirklich helfen, ihre gesteckten Ziele zu erreichen. Und mal ehrlich: Es ging ja auch um meine Zeit, mein Engagement. Nicht ohne Grund führte ich eingangs immer kostenlose Beratungsgespräche. Natürlich um festzustellen, wer den nötigen Biss mitbrachte. Als mit zunehmenden Buchungen ein kostendeckendes Einkommen erreicht war, ging ich sogar dazu über, den einen oder anderen potenziellen oder tatsächlichen Klienten an andere talentierte Personal Trainer zu verweisen. Dabei spielte der Aspekt Selbstvermarktung eine gewichtige Rolle. Meinen Erfolg verdankte ich ganz entscheidend der Mundpropaganda. Ein zufriedener Kunde mit sichtbaren Ergebnissen war ein nicht zu übersehendes Plus, die beste Visitenkarte überhaupt. Kunden, die sich nicht voll einbrachten, sich also nicht wirklich von mir helfen lassen wollten und deshalb scheiterten, warfen hingegen auch auf mich ein schlechtes Licht. Nein, ich wollte für diejenigen zur Verfügung stehen und Termine vorhalten, die meine Trainingsphilosophie teilten und ihr folgten. Ich wollte sehen, wie sich ein zahlender Klient weiterentwickelte, engagiert an sich arbeitete und dabei glücklich war.

      Wo ich meine letzten Gedanken jetzt geschrieben vor mir sehe wird mir klar, dass ich ähnlich klinge und als Personal Trainer denselben Ansatz verfolge wie mein einstiger Fitnesstrainer und Mentor Patrick Moritz. Auch er hat Spaß daran gehabt, wenn seine Tipps umgesetzt worden sind und Ratschläge gefruchtet haben. In meinem persönlichen Erfolg hat er seinen Erfolg gesehen. Mein Mentor vergangener Tage ist auch in dieser Hinsicht nach wir vor ein wichtiges Vorbild. Ich denke, es wird Patrick sehr freuen, dass ich seinen Staffelstab im Bereich Personal Training übernommen habe. – Mittlerweile lebt er als erfolgreicher Geschäftsmann in Dubai und jettet außerdem als Model durch die Weltgeschichte. Er hat es sich wirklich verdient – Respekt!

      Der Vollständigkeit halber möchte ich ergänzen, dass ich noch bis zum Studienabschluss nebenbei in einem Drogeriemarkt gearbeitet habe – dieser wurde von mir bereits erwähnt. Angefangen hatte es mit einem Praktikum in der neunten Klasse, empfohlen durch meinen Bruder. Und während mich die Kundinnen mit meinen pummeligen 16 Jahren beim Einsortieren der Ware noch nicht wirklich zur Kenntnis genommen haben, wendete sich das Blatt zwei Jahre später grundlegend. Jetzt – mit 18 Jahren – waren die Schlangen an meiner Kasse spürbar die längsten, garniert mit dem Lächeln attraktiver Damen verschiedener Altersgruppen. Drei Jahre hielt ich die Stellung an der Kasse. Als mein Kreuz der Filialleitung breit genug erschien und Bedarf bestand, wurde ich noch ein Jahr als Ladendetektiv eingesetzt. Damit folgte ich einmal mehr meinem Bruder, der während seines Studiums dort auch schon den einen oder anderen Ladendieb in die Auslagen befördert hatte. Ich behaupte jetzt einfach mal, an der Stelle weniger rabiat gewesen zu sein. Na jedenfalls hatte ich bei Kollegen und Chefs ein Stein im Brett, weil ich über die Jahre immer lustig, hilfsbereit und fleißig gewesen bin.

      Genau genommen habe ich schon als Junge gearbeitet, was so möglich gewesen ist: Prospekte verteilt, irgendwelche Flyer in die Briefkästen geworfen.

      Ein guter Kumpel brachte mich im Herbst 2013 zum Lachen als er vorschlug, doch gemeinsam an der Wahl zum „Mister Remscheid“ teilzunehmen. Alleine würde er da nicht mitmachen wollen.

      »Ey, Alter, was soll ich denn mit „Mister Remscheid“? Das klingt ja schon so merkwürdig. Wer ist denn so bescheuert und macht bei einer Mister-Wahl mit?«, tönte ich spöttisch.

      Natürlich ließ ich mich breitschlagen, was denn sonst. Immerhin bat mich ein verdienter Kumpel um einen Gefallen – einer für alle, alle für einen, Sie verstehen. Das hielt mich aber nicht davon ab, während der Anmeldung über mich selbst zu lachen. Mann, was konnte ich für ein Depp sein, würde mit freiem Oberkörper vor Publikum in einer Einkaufspassage posen und dabei dümmlich vor mich hin grinsen. Da fehlte ja nur noch die Narrenkappe. Ich will aber nicht verheimlichen, dass ich in dieser Sache ausnahmsweise ziemlich doppelzüngig daherkam. Das Wieso ist schnell erklärt. Mir fehlte mal wieder eine persönliche Herausforderung. Der Blick in den Spiegel war nach wie vor kein Grund zur Schande, ließ mich aber auch nicht gerade vor Verzückung »Jawoll« schreien, wie noch im Jahr zuvor. Schon sah ich die Couch-Potatoes aus meiner früheren Realschulklasse wie ein Damoklesschwert vor dem geistigen Auge dahinwelken. Die Botschaft war nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, denn die Zweisamkeit auf der heimischen Couch mit Freundin und bei einer üppig belegten Pizza zu genießen, ja, das war mittlerweile zu einem meiner gängigen Klassiker geworden. Da kam ein Wettkampf wie der anstehende genau richtig, um mich selber wieder zu pushen und die allzu bequem gewordene Komfortzone zu verlassen. Der Personal Trainer Oliver Sanne machte quasi sich selbst zum Optimierungsfall und gab ordentlich Gas. Bevor ich mich den kritischen Blicken einer Jury und des öffentlichen Publikums zu stellen hatte, blieben noch etwa vier Wochen Zeit, die ich mit strengem Training und einer Diät füllte. Schließlich galt es sowohl im Anzug als auch in Badehose und Jeans mit freiem Oberkörper eine beeindruckende Figur zu machen.

      Mein Kumpel Alexander errang mit dem 3. Platz einen respektablen Achtungserfolg – Narrenkappe ab ... quatsch, will sagen Hut ab. Den 1. Platz sicherte sich doch tatsächlich ein gewisser Oliver Sanne. Lustig was? Überrascht war ich schon ein wenig, geschmeichelt allemal, das gebe ich offen zu. Andererseits bestand die ganze Konkurrenz aus übersichtlichen acht Teilnehmern. Und Remscheid war ja auch nicht gerade eine Metropole. Aber es war nun mal die von meinem Wohnort nächstgelegene Stadt, in welcher ein „Mister“ gekürt wurde – eine „Miss Remscheid“ übrigens auch. Das Beste an der Veranstaltung und meinem Sieg sah ich zu diesem Zeitpunkt vor allem darin, im Bühneninterview mein früheres Übergewicht zur Sprache bringen zu können, um dem einen oder anderen Zuschauer damit vielleicht Mut zu machen.

      Durch meinen Sieg war ich vertraglich verpflichtet, auch an der Wahl zum „Mister Westdeutschland“ teilzunehmen. Alles wurde von der Miss Germany Corporation bestens organisiert, und ich für meinen Teil hatte längst Blut geleckt. Der Titel des Mister Westdeutschland klang doch schon deutlich vielversprechender als der des Mister Remscheid. Ich bekam es mit deutlich mehr Teilnehmern zu tun und gewann erneut. Kaum zu glauben, damit war ich qualifiziert, an der Endausscheidung teilzunehmen, was nichts anderes bedeutete als die Wahl zum „Mister Germany“ 2014.

      Im Dezember 2013 war es so weit. Zunächst setzte ich mich gegen 13 der 17 Mitwettbewerber vor beeindruckender Saalkulisse mit Hunderten von Gästen durch. Es bedeutete harte Arbeit, zugleich aber auch enormen Spaß aufgrund eines sehr kollegialen Umgangs untereinander. Die Konkurrenten waren tolle Typen, mit ihnen gemeinsam die Choreografien einzustudieren ein Vergnügen. Wenn ich vorhin noch spöttisch von der gedanklichen Narrenkappe gesprochen habe, so trug ich bei dieser entscheidenden Mister-Wahl


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