Krakatit. Karel Čapek

Krakatit - Karel Čapek


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sein Herz würde bersten und Blut aus seinem Munde strömen. Als er die Augen wieder öffnete, erblickte er dicht vor sich den Mann mit dem hochgeschlagenen Kragen.

      »Sind Sie nicht der Ingenieur Prokop?« fragte der Mann offenbar schon zum zweiten Male.

      »Ich . . . ich war nicht dort«, versuchte Prokop abzuleugnen.

      »Wo?« fragte der Mann.

       »Dort«, sagte Prokop und wies mit dem Kopf gegen Strahow. »Was wollen Sie von mir?«

      »Kennst du mich denn nicht mehr? Ich bin Tomesch. Tomesch von der Technischen Hochschule, erinnerst du dich nicht?«

      »Tomesch«, wiederholte Prokop; der Name war ihm jetzt völlig gleichgültig. »Ach ja, Tomesch, richtig. Und was – was wollen Sie von mir?«

      Der Mann mit dem aufgestellten Kragen faßte Prokop unter. »Jetzt setzest du dich einmal hin, verstanden?«

      »Gut«, sagte Prokop und ließ sich zu einer Bank führen. »Ich wollte eigentlich . . . mir ist sehr elend.« Er zeigte seine Hand; sie war mit einem schmutzigen Lappen verbunden. »Verletzt, wissen Sie? Verdammte Sache!«

      »Hör mich an, Prokop«, sagte der Mann. »Du hast Fieber, du mußt ins Krankenhaus. Dir ist elend, das merkt man. Aber versuch doch wenigstens, dich an mich zu erinnern. Ich bin Tomesch. Wir haben gemeinsam Chemie studiert. Erinnerst du dich noch?«

      »Ach ja«, sagte Prokop matt, »Tomesch, der Halunke! Was ist mit ihm?«

      »Nichts«, sagte Tomesch. »Er spricht mit dir. Du mußt ins Bett, hörst du? Wo wohnst du?«

      »Dort«, sagte Prokop mühsam und wies mit dem Kopf irgendwohin. Er versuchte, sich aufzurichten. »Ich will nicht! Gehen Sie nicht hin! Dort ist – dort –«

      »Was ist dort?«

      »Krakatit«, flüsterte Prokop geheimnisvoll.

      »Was ist das?«

      »Nichts. Ich sag's nicht. Niemand darf hin, sonst – sonst –«

      »Was sonst?«

      »Fft, päng!« machte Prokop und warf die Hand hoch.

      »Was ist das?«

      »Krakatoe. Kra-ka-tau. Ein Vu-Vulkan. Mir hat's fast . . . den Daumen weggerissen. Ich weiß nicht, was es . . .« Prokop stutzte. »Eine ganz gefährliche Sache«, setzte er langsam hinzu.

      Tomesch blickte aufmerksam, als erwarte er noch etwas. »Du befaßt dich also immer noch mit Sprengstoffen?« fragte er nach einer Weile.

      »Ja.«

      »Mit Erfolg?«

      Prokop gab etwas wie ein Lachen von sich. »Das möchtest du gern wissen! Ist nicht so einfach, mein Freund – nein, nein, nicht so einfach«, wiederholte er und bewegte wie trunken den Kopf. »Stell dir vor, es ist von selbst – ganz von selbst –«

      »Was?«

      »Kra-ka-tit. Krakatit. Krakatit. Ganz von selbst – ich ließ bloß ein Stäubchen davon zurück. Das übrige hab' ich in – in eine Dose getan. Es blieb – blieb bloß ein winziges Stäubchen auf – auf dem Tisch und – plötzlich –«

      ». . . ist es explodiert.«

      »Ja, ein Hauch von einem Pülverchen, das ich verschüttet hatte. Man sah es kaum. Da war eine Glühlampe – ganz weit entfernt. Aber die war's nicht. Und ich – im Lehnstuhl, wie ein Stück Holz. Abgespannt – weißt du. Überarbeitet. Plötzlich . . . bums! Ich flog auf die Erde. Es riß die Fensterstöcke heraus – die Glühbirne war dahin. Detonation wie – wie bei einer Lydditpatrone. Furchtfurchtbare Brisanz. Ich – ich dachte zuerst, die por-ponz-, die porzenale, ponzelare . . . wie heißt das Zeug, Sie wissen doch, das Weiße, Isolator, wie heißt es nur, das Alu-mini-umsilikat?«

      »Porzellan.«

      »Die Dose. Ich dachte, die Dose ist explodiert mit allem, was drin war; aber sie stand noch da, völlig unbeschädigt. Ich starrte darauf – bis mir das Streichholz die Finger verbrannte. Nur fort über die Felder – durch die Finsternis. Irgendwo fiel mir dann das Wort ein: Krakatoe. Krakatit. Kra-ka-tit. Nein, nein, was rede ich denn, so war's ja gar nicht. Als es explodierte, riß es mich zu Boden, und ich schrie: Krakatit, Krakatit! Dann habe ich's wieder vergessen. Wer ist da? Wer sind Sie?«

      »Kollege Tomesch.«

      »Tomesch, aha, der Lausebengel! Hat sich immer die Kolleghefte ausgeborgt. Ein Chemieheft hat er mir nicht mehr zurückgegeben. Tomesch – wie hieß er noch?«

      »Georg.«

      »Richtig, Georg! Du bist Georg, ja. Georg Tomesch. Wo hast du mein Heft? Warte, hör zu! Wenn das übrige auch noch in die Luft fliegt, dann wird's arg. Dann legt's die ganze Stadt in Trümmer, fegt sie weg, bläst sie fort, fft! Wenn die Porzellandose in die Luft geht, verstehst du?«

      »Was für eine Dose?«

      »Du bist Georg Tomesch, ich weiß schon. Geh und sieh zu, wie es explodiert. Lauf, lauf schnell!«

      »Warum denn?«

       »Ich habe einen Zentner davon hergestellt, einen ganzen Zentner Krakatit. Nein, nein – nur fünfzehn Dekagramm – bei mir oben – in der Por-Por-zel-landose. Wenn die explodiert! Aber das ist unmöglich, ist ja Unsinn«, murmelte Prokop und faßte sich an den Kopf.

      »Was ist damit?«

      »Warum – warum ist es nicht auch in der Dose explodiert? Das Stäubchen ist doch – von selbst . . . Aha, auf dem Tisch war Zink – Zinkblech, richtig . . . Aber wieso ist es auf dem Tisch explodiert? War-te – sei – still«, sagte Prokop abgehackt und erhob sich taumelnd.

      »Was ist dir?«

      »Krakatit«, lallte Prokop, drehte sich mit dem ganzen Körper und sackte zusammen.

      2

      Als Prokop zu sich kam, fühlte er, daß sich alles mit ratterndem Gepolter um ihn drehte und jemand ihn fest um die Hüften hielt. Er fürchtete sich davor, die Augen aufzumachen; er glaubte, alles müsse über ihm zusammenstürzen. Da es nicht nachließ, hob er ein wenig die Lider und sah ein mattes Viereck vor sich, durch das nebelhafte Lichtkugeln und -streifen hereinglitten. Er vermochte sich das nicht zu erklären; verwirrt blickte er auf die verschwimmenden und hüpfenden Irrlichter und ergab sich geduldig in alles, was mit ihm noch geschehen würde. Dann begriff er, daß dieser hartnäckige Lärm von Wagenrädern herrührte und daß es Laternenlichter waren, die draußen im Nebel vorüberglitten. Ermüdet von dem vielen Schauen, schloß er die Augen wieder und ließ sich forttragen.

      »Du wirst dich niederlegen«, sagte eine Stimme leise über seinem Kopf, »ein Aspirin nehmen, und dann wird dir besser werden.«

      »Wer spricht da?« fragte Prokop schläfrig.

      »Tomesch. Du legst dich bei mir nieder, Prokop. Du hast Fieber. Wo fühlst du Schmerzen?«

      »Überall. Der Kopf dreht sich mir wie – na, du weißt schon . . .«

      »Bleib nur ruhig. Ich mache dir Tee, und dann wirst du schlafen. Das kommt von der Aufregung, eine Art Nervenfieber. Morgen ist es vorbei.«

      Prokop zog die Stirn kraus vor angestrengtem Nachdenken. »Ich weiß«, sagte er nach einer Weile besorgt, »aber jemand sollte doch die Dose ins Wasser werfen, damit sie nicht explodiert.«

      »Sei unbesorgt. Und sprich jetzt nicht!«

      ». . . Vielleicht könnte ich mich aufsetzen. Bin ich dir nicht zu schwer?«

      »Nein, bleib nur!«

      »– Hast du mein Chemieheft noch?« entsann sich Prokop wieder.

      »Ja, du bekommst es. Aber jetzt Ruhe, verstanden!«

      »Ich habe so einen schweren Kopf . . .«

      Die


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