Krakatit. Karel Čapek

Krakatit - Karel Čapek


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und zähneklappernd. Tomesch stand zu Häupten des Bettes und legte ihm einen frischen, kühlenden Umschlag auf die heiße Stirn.

      »Das tut gut, das tut gut«, murmelte Prokop, »ich werde nicht mehr schlafen.« Er lag still und blickte auf Tomesch, der dort im Schein der Tischlampe saß. Georg Tomesch, sagte er zu sich, und alle andern, unser ganzer Jahrgang in Chemie. Wer war denn noch dabei? Da hörte er plötzlich eine Stimme: »Herr Prokop wird referieren.«

       Prokop erschrak zutiefst.

      Auf dem Katheder saß Professor Wald und zupfte mit Spinnenfingern an seinem Bart. »Erzählen Sie«, sagte Professor Wald, »was Sie über Sprengstoffe wissen.«

      »Sprengstoffe, Sprengstoffe«, beginnt Prokop nervös, »ihre Sprengkraft beruht darauf, daß – daß – daß sich auf einmal ein großes Gasvolumen aus einem . . . aus einem viel kleineren Volumen Sprengmasse entwickelt . . . Bitte, das stimmt nicht!«

      »Wieso nicht?« fragt Wald streng.

      »Ich – ich – ich habe die Alpha-Explosion entdeckt. Die Explosion erfolgt durch den Zerfall des Atoms. Die Atomteilchen sprengen – sprengen auseinander . . .«

      »Unsinn!« unterbricht ihn der Professor. »Es gibt keine Atome.«

      »Doch, doch, doch, es gibt«, ereifert sich Prokop. »Bitte, ich – ich – ich werde es beweisen –«

      »Überwundene Theorie«, brummt der Professor. »Es gibt überhaupt keine Atome, nur Gumetalle. Wissen Sie, was ein Gumetall ist?«

      Prokop schwitzt vor Aufregung. Dieses Wort hat er noch nie gehört. Gumetall? »Das kenne ich nicht«, gesteht er kleinlaut.

      »Sehen Sie«, sagt Wald trocken. »Und da wagen Sie es, zum Kolloquium zu kommen. Was wissen Sie von Krakatit?«

      Prokop stutzt ängstlich. »Krakatit«, flüstert er, »ist . . . ist ein völlig neuer Sprengstoff, der . . . der bisher . . .«

      »Wodurch gelangt er zur Entzündung? Wodurch? Wodurch explodiert er?«

      »Durch Hertzsche Wellen«, stößt Prokop erleichtert hervor.

      »Woraus schließen Sie das?«

      »Weil es so plötzlich explodiert ist, weil – weil kein anderer Impuls da war und weil . . .«

      »Nun?«

      ». . . weil mir seine Synthese . . . mittels . . . hochfrequenter Oszillationsströme gelungen ist. Es ist bisher noch nicht – nicht – nicht – aufgeklärt, aber ich glaube, es – es sind elektromagnetische Wellen.«

      »Stimmt. Ich weiß es. Schreiben Sie uns die chemische Formel für Krakatit an die Tafel.«

      Prokop nimmt ein Stück Kreide und kritzelt seine Formel an die Tafel.

       »Lesen Sie!«

      Prokop liest laut die Formel ab.

      Da steht Professor Wald auf und sagt unvermittelt mit fremder Stimme: »Wie? Wie ist das?«

      Prokop wiederholt die Formel.

      »Tetrargon?« fragt der Professor rasch. »Wieviel – Pb?«

      »Zwei.«

      »Wie wird es hergestellt?« fragt die Stimme merkwürdig nahe. »Der Vorgang! Wie wird es hergestellt? Wie? . . . Wie stellt man Krakatit her?«

      Prokop öffnete die Augen. Tomesch stand über ihn gebeugt, hielt Bleistift und Notizbuch in den Händen und starrte atemlos auf seine Lippen.

      »Was?« murmelte Prokop beunruhigt. »Was willst du? Wie . . . wie man es herstellt?«

      »Du hast geträumt«, sagte Tomesch und verbarg das Notizbuch hinterm Rücken. »Schlaf, Prokop, schlaf!«

      4

      Jetzt habe ich etwas ausgeplaudert, besann sich Prokop im klareren Teil seines Gehirns; aber sonst war es ihm höchst gleichgültig. Er wollte nur schlafen, endlos schlafen. Ihm war, als sehe er einen türkischen Teppich, dessen Muster sich immer wieder verschoben, ineinanderliefen und veränderten. Es war eigentlich nichts, trotzdem regte es ihn auf. Auch im Schlaf wünschte er Plinius wiederzusehen. Er versuchte, sich seine Gestalt in Erinnerung zu rufen. Statt dessen sah er eine widerlich grinsende Fratze vor sich, die mit gelben, fauligen Zähnen knirschte, bis sie splitterten, und die sie dann stückweise ausspie. Aus irgendeinem Grund kam ihm das furchtbar lächerlich vor, so daß er in lautes, krampfhaftes Gelächter ausbrach, wodurch er erwachte.

      Er war vollkommen in Schweiß gebadet und abgedeckt. Mit fiebrigen Augen blickte er auf Tomesch, der sich im Zimmer eifrig zu schaffen machte und verschiedene Sachen in einen Koffer warf. Aber Prokop erkannte ihn nicht. »Hören Sie, hören Sie doch«, rief er, »ist das nicht komisch? Hören Sie, so warten Sie doch, Sie müssen sich das anhören . . .« Er wollte ihm das Erlebnis mit der Fratze als einen Witz erzählen und lachte darüber; aber er konnte und konnte sich nicht entsinnen, wie es eigentlich war. Das verdroß ihn derart, daß er verstummte.

      Tomesch zog den Überrock an und nahm die Mütze. Er wollte schon nach dem Koffer greifen, da besann er sich und setzte sich zu Prokop auf den Bettrand. »Hör mich an, alter Knabe«, sagte er besorgt. »Ich muß hinausfahren – zum Vater nach Teinitz. Wenn er mir kein Geld gibt, dann – dann kehre ich nicht mehr zurück. Aber mach dir nichts draus. Morgen früh kommt die Hausmeisterin mit einem Arzt, ja?«

      »Wie spät ist es?« fragte Prokop unbeteiligt.

      »Vier . . . fünf nach vier. Es fehlt dir doch hier nichts?«

      Prokop schloß die Augen; er wollte sich um nichts mehr auf der Welt kümmern. Tomesch deckte ihn noch sorgsam zu. Dann war es still.

      Er schlug die Augen weit auf. Die Zimmerdecke, die er über sich erblickte, hatte an den Rändern ein fremdes Ornament. Er tastete zur Seite nach dem Nachttisch und griff ins Leere. Da wandte er sich erschrocken um und sah statt seines breiten Laboratoriumpultes einen fremden Tisch mit einer Lampe darauf. Wo das Fenster sein sollte, stand ein Schrank, anstelle des Waschtisches war eine Tür. Das verwirrte ihn maßlos; er begriff nicht, was mit ihm geschehen war und wo er sich befand. Einen Schwindelanfall überwindend, setzte er sich im Bett auf. Allmählich dämmerte ihm, daß er hier nicht zu Hause war, konnte sich aber nicht entsinnen, wie er hierher geraten war. »Wer ist da?« fragte er laut aufs Geratewohl; er vermochte kaum die Zunge zu bewegen. »Trinken«, sagte er nach einer Weile, »trinken!« Es herrschte eine qualvolle Stille. Er stand auf und suchte, etwas taumelig, nach Wasser. Auf dem Waschtisch fand er eine Karaffe und trank gierig daraus; als er zum Bett zurückkehrte, versagten ihm die Beine; er mußte sich auf einen Stuhl setzen. Er mochte ziemlich lange so gesessen haben; nun schüttelte ihn die Kälte, da er sich beim Trinken mit Wasser begossen hatte. Er begann Mitleid mit sich selber zu empfinden, weil er nicht wußte, wo er sich befand, und nicht einmal bis zum Bett gelangen konnte und so ratlos und ohnmächtig allein war; da brach er in kindliches Schluchzen aus.

      Als es vorbei war, wurde sein Kopf etwas klarer. Er vermochte sogar, bis zum Bett zu gehen und sich niederzulegen. Kaum hatte er sich erwärmt, so versank er in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

      Als er erwachte, war der Vorhang hochgezogen, das Tageslicht drang grau durchs Fenster, und im Zimmer war ein wenig aufgeräumt. Er wußte nicht, wer das gemacht haben konnte, aber sonst erinnerte er sich genau an die gestrige Explosion, an Tomesch und dessen Abreise. Er hatte rasende Kopfschmerzen, fühlte einen Druck auf der Brust und wurde von einem stechenden Husten gequält. Das ist böse, sagte er zu sich, das ist ganz böse; ich sollte nach Hause gehen und mich niederlegen! Er stand auf und begann langsam sich anzukleiden, immer wieder ein wenig ausruhend. Eine Zentnerlast schien ihm auf die Brust zu drücken. Dann setzte er sich geistesabwesend nieder und atmete schwer.

      Da ertönte kurz und dünn die Klingel. Er erhob sich mühsam und ging öffnen. Auf der Schwelle stand ein junges Mädchen, das Gesicht verschleiert.

      »Wohnt hier . . . Herr Tomesch?« fragte sie eilig und bedrückt.

      »Bitte«,


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