Genesis VI. Alfred Broi
war wieder Joriks Stimme zu hören. Sie war schwach und zittrig. „Hör mir bitte zu, Marivar, es ist nicht so, wie du denkst. Ich…!“
Nein, ihr alle hört jetzt mir zu, rief Mavis im Stillen, dann drückte er den Rufknopf, holte tief Luft und sagte: „Marivar, hallo Marivar? Bitte kommen! Marivar, bitte kommen!“ In den Augenwinkeln sah er, wie Vilo mit finsterer Miene zum Sprung auf ihn ansetzte und auch andere ganz und gar nicht einverstanden mit dem waren, was er gerade tat, doch er riss sofort mit mahnendem Blick seinen linken Arm in die Höhe, streckte seinen Zeigefinger nach oben und schüttelte den Kopf. Daraufhin erstarrten alle in ihren Bewegungen und blieben stumm. „Bitte kommen Marivar!“ fuhr er fort. „Hörst du uns, Marivar? Bist du da? Hallo Marivar. Bitte kommen! Kommen bitte!“ Dann erst nahm er den Finger vom Rufknopf.
„Was zum…?“ Narrix war bass erstaunt und starrte auf das Funkgerät, als hätte es sich eben in eine vollautomatische Waschmaschine verwandelt. „…Teufel?“
Auch Jorik war sehr überrascht. Das war eindeutig Mavis Stimme, die er da gehört hatte. Er lebte also noch! Freude durchzuckte ihn, einen Augenblick lang. Dann war ihm klar, was gleich passieren würde und Panik stieg in ihm auf, denn er wusste, dass er das nicht zulassen durfte.
„Bist du irre, Mann?“ brüllte Vilo sofort und war einen Wimpernschlag später direkt neben ihm.
„Was zur Hölle tun sie da?“ zischte auch Tibak.
„Ich denke, ich weiß es!“ sagte Melia unvermittelt und alle sahen sie an. Die junge Frau schaute zu Mavis. „Du hoffst, dass der Feind mithört!?“
Mavis konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als er nickte. „Stimmt!“ Er blickte zu Vilo. „Oder glaubst du etwa, dass Jorik und die anderen frei sind?“
Sein Freund schien zu überlegen, dann schüttelte er den Kopf. „Nein, wohl kaum!“ Er verzog die Mundwinkel.
„Eben!“ Mavis schaute auch die anderen an. „Also haltet eure Klappen und lasst mich was versuchen, verdammt!“ Er brummte missmutig und wandte sich wieder dem Kommunikator zu.
Marivar war überrascht und ganz sicher total verwirrt, dass sie im ersten Moment überhaupt nicht wusste, was sie tun sollte.
Da war noch immer die Freude darüber, eine Verbindung zu Jorik zu haben, von dem sie hoffte, dass er und die anderen sich befreit haben konnten, obwohl seine letzten Worte nicht wirklich danach klangen. Und urplötzlich hörte sie Mavis Stimme, der förmlich durch den Äther flötete, als wäre alles easy und in Butter. Zur ersten Überraschung gesellte sich ebenfalls Freude, denn das hieß ja wohl, dass auch er und die, die bei ihm waren, wohlauf waren.
Sollte sich alles einfach so in Wohlgefallen auflösen? Plötzlich wurde sie unsicher. Konnte es denn so viel Glück wohl geben?
„Mavis?“ sprach sie vorsichtig in das Mikro. „Mavis, bist du das?“
„Ja Süße, ich bin es!“ antwortete Mavis.
„Seid…!“ Sie zögerte. „Seid ihr wohlauf? Konntet ihr dem Angriff entgehen?“
Mavis verzog das Gesicht. „Nein, nicht wirklich!“ Er atmete kurz durch. „Aber wir sind mit einem blauen Auge davongekommen. Das Schiff ist hinüber, aber wir alle wohlauf!“
„Oh das ist ja wunderbar!“ Mavis konnte förmlich spüren, wie sie lächelte. „Wirklich!“ Aber er bemerkte auch noch eine gewisse Unsicherheit in ihrer Stimme.
Das musst du ändern! „Wie geht es dir?“
„Gut!“ Es schien, als sollte dies ihr einziger Kommentar sein, doch dann fügte sie hinzu. „Ich bin in Sicherheit!“
„Das ist prima!“ sagte Mavis schnell, bevor er riskierte, das Marivar preisgab, wo sie sich befand. „Und das soll auch so bleiben!“ Er hielt einen Augenblick inne, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Jetzt kommt der schwierige Teil. „Hast du etwas von Jorik und den anderen gehört?“
„Ja!“ rief Marivar sofort. „Ja, habe ich!“ Ihre Erregung war förmlich zu spüren. „Gerade eben! Hast du ihn denn nicht gehört?“
„Nein!“ Mavis verzog wieder die Mundwinkel und schaute die anderen an, in deren Gesichtern er teilweise sehen konnte, dass ihnen sein Plan allmählich dämmerte. „Tut mir leid! Was sagt er denn?“
„Er…!“ Sie stoppte, weil ihr bewusst wurde, dass Jorik eigentlich noch so gut wie nichts gesagt hatte. „Er hat nach mir gerufen! Ich denke deshalb, dass sie entkommen konnten!“
Das war zu viel.
Jorik hielt es nicht mehr auf dem Sitz. Er musste etwas unternehmen. Mit einer schnellen Bewegung zuckte sein Oberkörper nach vorn, seine rechte Hand ergriff das Mikro, während der linke Zeigefinger den Rufknopf drückte. „Da…!“ Weiter kam er nicht, denn dann spürte er einen irrsinnig harten Schlag gegen seinen Kopf und die Welt um ihn herum flammte für einen Lidschlag grell auf, bevor alles in Finsternis versank.
Narrix hatte geahnt, dass Jorik etwas versuchen würde. Dennoch hatte er einen Augenblick zu lang gebraucht, um ihn zu stoppen. Der Schlag mit dem Pistolenknauf gegen seine Schläfe war dafür umso härter ausgefallen. Wie ein gefällter Baum sackte Jorik zur Seite, schlug zu Boden und blieb bewusstlos und mit einer Platzwunde an der Schläfe liegen.
„Jorik?“ Marivar schreckte auf, als sie seine Stimme hörte. Doch warum sprach er nicht weiter? Das hörte sich an wie abgehackt. War etwas passiert? „Jorik, was ist los?“ Doch sie bekam keine Antwort.
„Marivar?“ Das war Mavis. „Bist du noch da?“
„Was?“ Unruhe stieg in ihr auf. „Ja. Ja, ich bin noch dran!“
„Ist etwas passiert?“
„Was? Ja, natürlich! Hast du es denn nicht gehört?“
Achtung! „Gehört, was?“
„Jorik!“
„Jorik?“
„Ja, er wollte etwas sagen, aber…dann war er einfach wieder weg!“ Sorge schwang in ihrer Stimme mit.
„Nein, tut mir leid! Ich kann euch auch nicht gleichzeitig hören! Das geht rein technisch gar nicht!“ Es sei denn, man hat ein defektes Gerät! fügte er im Stillen hinzu. Er hielt wieder inne und Marivars Schweigen sagte ihm, wie hilflos sie sich gerade fühlen musste. „Hör zu, Marivar!“ Jetzt der Big Point! „Ich würde nicht darauf wetten, dass Jorik in Sicherheit ist. Ich denke eher, dass es…!“
„Was? Was denkst du ist es?“
„Eine Finte!“ Mavis Gesichtsausdruck wurde hart und traurig.
„Eine.!?“ Wieder war zu spüren, wie Verzweiflung allmählich von ihr Besitz ergriff. „Oh mein Gott!“ Sie schluchzte. „Jorik!“
„Marivar?“ Keine Antwort. „Marivar?“
Wieder ein Schluchzen. „Ja?“
„Hör mir zu, Marivar!“ Keine Reaktion. „Hörst du mir zu?“ Er musste fordernder sprechen, als er es eigentlich wollte. Die Vorstellung, in welch schlimmer Situation sich Jorik und die anderen befanden, hatte ihm längst einen Kloss in den Hals getrieben.
„Ja!“ Sie schniefte durch die Nase. „Ich höre!“
„Wir kommen zu dir! Hörst du? Ich, Vilo, Kaleena, Captain Cosco und all die anderen kommen zu dir. Wir haben zwar kein Flugboot mehr, aber wir werden das schon irgendwie schaffen. Wir werden den Mioli-Fluss nutzen und seinem Lauf bis an die Küste folgen. Von dort werden wir einen Weg finden, nach Kimuri überzusetzen. Und dann werden wir dich holen und Jorik und all unsere Freunde aus den Fängen dieses…!“ Du hörst mit! Ich weiß, dass du mithörst! „…Psychopathen befreien!“
Einen Moment war Ruhe im Äther.