Wie ich meinem Großvater die Angst vor dem Sterben nahm. Johannes Mario Ballweg

Wie ich meinem Großvater die Angst vor dem Sterben nahm - Johannes Mario Ballweg


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gibt sechs Wasserfälle, doch nur die wenigsten Menschen kennen den kleinsten, den wundervollsten. In allen Karten gibt es nur fünf offiziell eingetragene Wasserfälle.“, sagte er ganz aufgeregt und mit hastiger Stimme. Er zog eine Kiste hervor, auf der der Name meiner verstorbenen Grandma „Beth“ stand. Alph durchwühlte diverse Sachen, schmiss alte Kleider, wie zum Beispiel das schöne Blümchenkleid mit blauem Hintergrund, von ihr quer durch den Raum, bis er den Boden der Kiste erreichte. Grandpa griff nach einem Fetzen Papier, etwas verkohlt und angerissen. Es war eine Karte vom Acer Falls County von 1967. Auf der Rückseite stand etwas in schlecht lesbarer Schrift geschrieben. Diese entfaltete er in Windeseile und zeigte ganz nervös auf einen Fleck auf der Karte, relativ außerhalb gelegen, den er mit einem Herzen versehen hatte. „Der schönste Platz, den du dir auf der Welt nur denken kannst.“, sagte er mit sanfter Stimme. „Na dann nichts wie hin“, erwiderte ich ganz aufgeregt. Alph nahm das Memories-Buch in seine Hände, drückte es ganz fest gegen seine Brust und sagte: „In fünf Minuten geht’s los, unten vor dem Haus im Yard, mach dich fertig, zieh dir eine Jacke an, wir treffen uns dann unten.“ Schnell rannte er die Stufen herunter, ich habe meinen Grandpa noch nie so schnell rennen sehen, auch dachte ich nicht, dass er mit 73 Jahren noch so schnell auf den Beinen unterwegs ist. Ich horchte gespannt, bis er unten war, um sicher zu gehen, dass es ihn nicht in seiner Eile noch übers Kreuz gelegt hat und dann suchte ich nach meinen Krücken. Der Dachboden war dunkel, die letzten Sonnenstrahlen spiegelten sich im Red-Lake vor unserem Haus, die Vögel wurden immer leiser und mein Atem immer schneller. Ich war aufgeregt, in fünf Minuten ginge es los. Die Gehhilfen fand ich relativ schnell und so machte ich mich mühsam auf den Weg nach unten. Die Treppe in den zweiten Stock knirschte beängstigend, aber ich beeilte mich, um schnell mit Grandpa zum Acer Creek zu fahren. Ich war im Erdgeschoss angekommen und hörte Geräusche aus der Garage, Alph versuchte seinen langen blauen Mercedes in Gange zu bringen. Ich schnappte mir meine Jacke, denn ich war nur sehr leicht mit einem roten Polohemd begleitet, es könnte ja etwas frischer werden. Auch Grandpas rote Lieblingsjacke klemmte ich mir unter den Arm. Ich zog mir meine Jacke über und lief durch die Galerie des Hauses vor zur seitlichen Eingangstür, welche direkt in den Yard führte. Ich entdeckte das alte, mit einem weißen Tuch bedeckte, Klavier von Grandpa, seine sogenannte „Orgel“ und dachte mir dabei, dass ich es auch mal wieder aufdecken könnte und darauf ein paar Lieder und Melodien schreiben könnte, Songwriting, meine Leidenschaft. Aber da! Es klapperte und rumpelte immer mehr, es hörte sich an, als wolle Grandpas Wagen einfach nicht anspringen. Ich ging durch die Seitentür des Gangs in die Garage, um nachzusehen, ob alles in Ordnung sei und um Alph zu helfen. Er suchte und suchte nach irgendwelchen Fehlern, die den Start des Oldtimers verhindern, doch er fand nichts. Es war neues Benzin darin enthalten, das Öl wurde auch gewechselt und sonst pflegte Grandpa das Automobil sehr. Ich zögerte nicht lange und ging zur Fahrertüre, öffnete diese und entsicherte die Verriegelung für die Motorhaube. Gesagt, getan. Daraufhin schaute ich intuitiv nach der Zündkerze des Wagens. Diese war total verschmoren und ich berichtete Alph davon. „Bubi, da wäre ich in hundert kalten Wintern nicht drauf gekommen, die Zündkerze, natürlich die Zündkerze.“, seufzte er. „Hier habe ich eine neue, für die Versicherung, wie du immer als Kind gesagt hast.“ „Oh ja, das stimmt, ich verwechselte immer Sicherheit mit Versicherung.“, antwortete ich humorvoll. „Ach das war doch total goldig, Bubi.“, erwiderte Alph. Wir zogen die neue Zündkerze auf, ließen etwas Benzin in den Motor laufen und nach zwei, drei Zündungen sprang der blaue Mercedes an. Ich erfreute mich sehr: „Jupidu, jetzt kann’s ja losgehen!“ und lief aus der Garage heraus. Grandpa stieg in den tiefergelegten Flitzer ein, fuhr mit seinem Rentnerschlitten aus der Garage aus, hielte an, zog die Handbremse ganz fest und machte den Neutralgang rein. Auf seinem Nummernschild stand AFC-AB-26. Acer Falls County – Alphonsus Barts – geboren 1926. „Warte mal, mein Junge.“, sagte er und stieg aus dem Auto aus. Ich dachte mir, wie aufrichtig es von ihm sei, mir beim Einsteigen zu helfen, jedoch hatte Alph anderes im Sinn. Er ging schnurstracks in die Garage an seinen Kühlschrank, auf dem Bilder seiner jungen Jahre mit Magneten befestigt sind. Man erkennt die AFC-Trailblazers, welche die Lacrosse Gruppe im Acer Falls County sind und Bilder aus der Armeezeit. Er öffnete den mit Erinnerungsfotos verzierten Kühlschrank rasch und es klirrte ein wenig. „Sechs Flaschen Autumn 4.9 dürften für den kleinen Ausflug als Lunchpaket ausreichen oder?“, fragte er mich lachend. Ich erwiderte: „Logo das dürfte reichen, drei für dich drei für mich!“ In der Zwischenzeit stieg ich ganz allein in den tiefergelegten blauen Mercedes ein, es ging nur sehr mühsam, da ich mein Knie nur in etwa 60° beugen konnte, jedoch schaffte ich es dann letztendlich doch. Ich schnallte mich an, schaltete das Radio an und im Acer Falls Rock Radio lief einer meiner Lieblingssongs, „The Freshmen“ von „The Verve Pipe“, welcher während meiner High-School Jahre in den amerikanischen Charts ganz vorne dabei war. Grandpa öffnete die Türe und setzte sich ans Steuer. Er legte ein kleines Päckchen Tabletten mit der Aufschrift „Avastin 25mg“ und ein Foto mit Kameraden aus Kriegszeiten auf das Armaturenbrett und wirkte dabei etwas angespannt. Irgendwo her kannte ich diese Tabletten, doch mir fehlte der Zusammenhang und ich wollte auch nicht unhöflich sein und fragen, für was diese Dinger gut sind. „Wofür das Foto, Grandpa?“, fragte ich ganz neugierig. „Das will ich mitnehmen, ich will dir dazu was erzählen.“, antwortete Alph ganz nüchtern. Klingt spannend, dachte ich mir. Mit der Zeit schwand aber dann das Interesse an den Avastin-Tabletten und ich konzentrierte mich auf Alph. „Bereit?“, fragte er und ich sagte in unserem Akzent: „Hoooalrright, let’s give it a go!“ Er machte den ersten Gang rein und wir fuhren aus dem Yard heraus, am Red-Lake vorbei, sahen noch Ernie Jefferson beim Schwarzbrennen seines Schnaps in seinem Hinterhof und wir bogen links auf den 81. Highway in Richtung Palemo Forest ab.

      Chapter №2 ∞ Die Fahrt zum Acer Creek

      „Ach wie ich es liebe, mit meiner alten Mercedes-Maschine zu fahren. Was glaubst du Bubi, wie alt mein Flitzer wohl sein mag?“ Ich wusste nicht so recht, konnte schlecht das Alter des Wagens abschätzen, also antwortete ich: „So wie der Motor röhrt, könnte es schon 20 Jahre alt sein oder?“ Grandpa lachte. „Er ist so alt wie du, ich habe mir es ein paar Tage nach deiner Geburt gekauft.“ „Mal schauen, wer länger lebt, das Auto oder ich.“ erwiderte ich mit einem zwinkernden Auge. Im Affekt dachte ich mir, dass Autos aber nur materielle Dinge seien, welche ja nicht mit einem Leben eines Menschen gleichzusetzen sind und entschuldigte mich bei Alph für meine Aussage. Dieser schaute mich verwundert an und sagte, er habe den Spaß schon verstanden. Beths Vater, also mein Urgroßvater, der Richard hieß, sagte ihm immer, dass das wichtigste im Leben der Spaß und der Humor sei. „Glücklich ist, wer nie verlor, im Kampf des Lebens, den Humor.“ Grandpa zitierte Richards Worte und fragte mich: „Bubi, verstehst du das? Verstehst du, was im Leben wichtig ist?“ Ich wollte antworten, doch er sprach weiter: „Alles Geld der Welt, große Macht oder hohes Ansehen bringt dir auf lange Sicht nichts. Die ganzen schlauen Politiker, Weltstars oder Millionäre werden genauso einmal von hier gehen müssen, wie wir zwei auch und wie es deine Grandma schon tat.“ Es herrschte kurze Stille. Er setzte seine Assoziationen fort: „Du musst Spaß haben, wann immer sich die Möglichkeit erübrigt. Die schweren Momente im Leben gehen genauso vorüber, wie die leichten auch. Genieße sie alle.“

      Ich lachte gerade heraus, nicht verspottend oder böse gemeint, sondern vor Freude und Zustimmung. Ich ergänzte Alphs Argumente: „Und weißt du, was das aller allerwichtigste ist, bei der ganzen Geschichte? Jeder Mensch kommt mit nichts auf diese Welt und jeder Mensch geht mit nichts von dieser Welt. Vor Gott sind wir alle gleich, habe ich Recht Grandpa?“ Grandpa nickte, tätschelte mir auf die Schulter und sagte: „Ja wahrhaftig, du hast Recht, du bist ein ganz besonderer, wundervoller Junge, ich habe dich lieb.“ Ich klopfte Alph auf den Schenkel, und sagte ihm, dass ich ihn auch liebhabe. Wir fuhren schon etwa zehn Minuten auf dem Highway, es begann ein wenig zu nieseln und man konnte parallel zum Verlauf der Road die fünf Acer Falls beobachten. Wie sie ins Wasser schlugen, mit einer Gewalt und einem Aufprall, aber sich dann im weiteren Verlauf des Flusses beruhigten, eine wahre Naturschönheit. Überall waren Menschen zu sehen, junge und alte, die sich zum Barbecue versammelten oder eine Party feierten, Familien mit Kindern, die zelteten oder Park Ranger, die sich um das Naturschutzgebiet der Acer Falls kümmerten. Vor allem nachts zog es viele Menschen an die Wasserfälle, denn diese hatten etwas Idyllisches, etwas ganz einzigartiges. Die Wasserfälle waren wenig beleuchtet,


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