Wie ich meinem Großvater die Angst vor dem Sterben nahm. Johannes Mario Ballweg
Nenner, mal abgesehen davon, dass wir beide nicht die Matheprofis sind, sondern eher sprachlich begabt sind.“ Ich musste ein wenig lachen und fand es doch ganz schön anzusehen, wie viele Dinge Mom und ich gemeinsam haben. Sie ist Englisch- und Deutschlehrerin und ich möchte auch Englischlehrer werden, als Zweitfach werde ich mich für Geschichte entscheiden. Englisch, weil ich, wie Mom, ein leidenschaftlicher Sprachexperte bin, Geschichte, weil die Vergangenheit unsere Gegenwart und Zukunft immer prägen wird. Ich finde, dass man die Vergangenheit kennen, die Geschehnisse von damals, von vergangenen Zeiten reflektiert im Hinterkopf behalten muss, um eben die Gegenwart zu verstehen. Wie wir unseren heutigen Wohlstand hart erkämpft hatten und wie wir, die Vereinigten Staaten von Amerika, immer wieder versuchen, weltweit, soweit es möglich ist, für Frieden zu sorgen. Man muss das alles wissen und mir ist es wichtig, in den Schülern, den Heranwachsenden ein Geschichtsbewusstsein zu bilden, dass sie Interesse an der Geschichte unseres Landes, unseres Kontinents und unserer Welt zeigen und dadurch die Gegenwart richtig deuten können, um in der Zukunft nicht erneute Fehler zu machen, die in der Vergangenheit passierten und aus denen man lernen sollte. Grandpa stupste mich an: „Bubi, bist du noch da?“ Ich war gedanklich etwas abgeschweift, aber ich schüttelte kurz meinen Kopf und nickte. Grandpa fuhr fort: „Siehst du mein Freund, du und deine Mom, ihr habt doch sehr viel gemeinsam. Man soll nicht immer die schlechten Dinge in einem sehen, sondern sich, in dem was einander verbindet, verbünden.“ „Da hast du so was von Recht, Alph. Es ist oft so, dass ich mit einer Verteidigungshaltung mit ihr in Kontakt trete. Ich rede etwas schwammig mit Mom, schenke ihr wenig Aufmerksamkeit, was mir im Nachhinein eigentlich immer leidtut und so kommen wir kommunikativ nie auf den Punkt. Oft streiten wir uns, doch es bringt doch eigentlich nichts, dann den Schuldigen zu suchen. Jeder setzt den Punkt und die Ursache für den Streit an einer anderen Stelle, die Interpunktion der Ereignisse. Mom motzt, weil ich mich immer in mein Zimmer verkrieche und ihr somit keine Aufmerksamkeit schenke. Ich flüchte mich aber wieder rum ins Zimmer, weil Mom motzt. Ein Teufelskreis.“ Grandpa lächelte mich an. „Bubi, du hast es erfasst, du hast genau das ausgesprochen, was ich dir eigentlich noch erklären wollte, natürlich nicht mit den Fachwörtern wie diese Interpunktion, die du da nanntest, aber ja so ist es. Und jetzt spiele ich dir wieder den Ball zu. Was muss man tun, um die Situation zu klären?“ Ich überlegte geschwind, doch für mich kam nur eine Lösung in Frage: „Also ich habe das zwar nie versucht, aber man sollte eigentlich einen Strich machen, man sollte seine Verteidigungshaltung aufgeben und auch mal die Sicht des anderen berücksichtigen. Das würde die Situation schon mal etwas besänftigen und beruhigen.“ Alph machte eine Faust, doch dann hob er die Hand in eine Position für einen High-Five. „Wie macht ihr jungen Leute das heute nochmal?“, fragte er etwas beschämt. Ich musste so was von lachen. „Ach Alphi, das ist ja goldig, wir können uns auf einen High-Five einigen.“, antwortete ich. Grandpas Backen wurden rot und ich steckte ihn mit dem Lachen an. Daraufhin schlugen wir gemeinsam ein. „Was ich dir eigentlich sagen wollte, Bubi.“, fuhr Alph fort. „Du hast es kapiert, du hast verstanden, worum es geht. Vergeben, verzeihen, vielleicht auch mal einsehen, dass man nicht immer Recht hat und vor allem dem anderen eine Chance geben, seine Meinung frei darlegen zu dürfen. Vielleicht kannst du ja beim nächsten Gespräch mit Mom mehr auf sie eingehen. Aber sie ist ja noch bis morgen mit deinem Dad in Urlaub, somit hast du heute noch mal deine Ruhe vor ihr.“, sagte Grandpa mit einem zwinkernden Auge. „Haha, ja das stimmt. Aber gut, ich muss dir wirklich Recht geben, es stimmt, ich sollte ihr eine Chance geben und ich glaube, das werde ich auch tun. Denn dadurch gebe auch ich mir eine Chance, eine Chance, mich selbst mit Mom in Einklang zu bringen, so dass es uns beiden im Endeffekt gut dabei geht. Ich verbünde mich mit ihr, ich mache uns beide stark durch die Dinge, die uns verbinden. Auch die Verteidigungshaltung werde ich versuchen, aufzugeben, ich hoffe ich schaff das, es würde uns beiden wirklich guttun.“ Grandpa nickte ernst mit dem Kopf und antwortete darauf: „Ich verstehe dich mein Freund. Es wird anfangs bestimmt schwierig und komisch für dich sein, nicht gerade darauf zu warten oder davon auszugehen, dass Alexa dich wieder anmotzt, du gibst eben deine Verteidigungshaltung auf. Man beeinflusst sich im Reden und im Verhalten gegenseitig. Gehe ich davon aus, dass Streit bevorsteht, so gehe ich auf die Person anders zu, als wenn sie sehr freundlich wäre und ich niemals an Streit mit dieser Person denken würde. Es ist eine Art selbst prophezeiende Botschaft, so wie ich mich nach außen zu jemanden verhalte, so wird das auch die Beziehung beeinflussen.“ Mir wurde immer mehr klar, was bei mir und Mom bis heute an der Kommunikation falsch lief und mir tat es mit jeder weiteren Sekunde immer mehr leid. Ich nickte ein paar Male, war mir sicher, dass sich was ändern muss und beschloss mit Grandpa zusammen, dass ich mich, sobald morgen Mom und Dad aus dem Urlaub wieder zurück seien, mal mit ihr zusammensetzen werde und mit ihr reden werde.
Wir beide freuten uns über das Resümee, welches ich aus diesem Bild ziehen konnte. So verändert eben auch mal wieder die Vergangenheit das heutige Erleben. Es ist wahrhaftig, ich muss eben auch meine eigene Vergangenheit kennen, um die heutige Gegenwart, die Beziehung zu meiner Mom verstehen zu können und, um diese zukünftig zu ändern, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und eine angenehme Beziehung für mich und Mom zu schaffen. Als angehender Lehramtsstudent für Geschichte habe ich nun wieder einen dunklen Teil meiner Vergangenheit, welcher mir vorher nicht bewusst war, erleuchtet. Dadurch kann ich diesen bewusst wahrnehmen und positiv beeinflussen. Es war wundervoll. Wieder was gelernt! Grandpa begann zu erzählen: „Also dieses Bild hat nun wirklich seinen Dienst getan, seinen Zweck erfüllt. Ich glaube, es hat in dir aber auch in mir etwas ganz Wichtiges bewirkt.“ „Auja, das finde ich aber auch. Blättern wir diese Seite um und schauen, was uns auf der nächsten Seite so erwarten wird?“, fragte ich meine Alphi gespannt. Er lächelte mich an und nickte, daraufhin schlug ich die dritte Seite des Memories-Buches auf.
- SEITE 3 – Casper
Es waren insgesamt vier Bilder auf dieser Seite zu sehen, alle immer aus der gleichen Position geschossen. Geburtstagsbilder, auf denen ich entweder vor meinen Geschenken und den Kuchen stand oder gerade dabei war, den Kuchen auszublasen. Mein siebter, achter, neunter und mein zehnter Geburtstag wurden darauf festgehalten. Ich trug immer mein feines, blauweiß kariertes Hemdchen und lächelte gezwungenermaßen in die Kamera. Auf drei der vier Bilder war ich alleine, ich hatte damals keine Freunde, doch dann trat eine Veränderung in meinem Leben ein. Das letzte Bild der Bilderfolge von Seite zwei zeigte mich an meinem 10. Geburtstag. Ich war darauf mit einem Freund zu sehen und wir standen vor meinem Kuchen und meinen Geschenken. Unter dem Bild stand: ~ 08.01.1990 - Schon der 10. Geburtstag und Casper ist auch dabei. ~ Wenn bei uns im Hause jemand Geburtstag hatte, so reisten immer viele Verwandte an. Es gibt wie immer Kaffee und Kuchen und gegen Abend wird bei gutem Wetter ein Barbecue veranstaltet, bei schlechtem Wetter zaubern dann Grandma und Mom zusammen immer etwas Delikates. Bei uns geht also niemals jemand hungrig oder durstig nach Hause. Freunde wurden bei uns in der Gegend eigentlich klischeehaft immer zum Kindergeburtstag eingeladen, jedoch feierte ich so gut wie nie einen. Ich hatte nämlich während meiner Kindheit keine richtigen langfristigen Freundschaften, bis auf eine. Wir wohnten damals noch in einer anderen Vorstadt, ca. 15 Meilen entfernt von Acer Falls County, in der Nähe von Chicago, unserer Hauptstadt des Bundesstaates Michigan. Die Kinder aus dem damaligen Ort konnten mich nicht ausstehen, daran war aber eigentlich nicht ich schuld, sondern deren Eltern, die ihnen schlimme Dinge über mich einredeten, die nicht stimmten. Auch mein äußerliches Erscheinungsbild war nicht perfekt, ich war sehr dick und die anderen hänselten mich deswegen. Natürlich war ich auch ein Lausebengel und lebte immer voller Energie, jedoch wollte ich nie jemandem anders wehtun oder zu Schaden kommen lassen. Oft durfte ich nicht mit ihnen spielen gehen und war somit sehr oft zu Hause. Ab und zu spielte ich mit den Nachbarskindern, woraus sich aber auch keine Freundschaften entwickelten. Ich feierte also nie Kindergeburtstage, bis zu meinem 10. Geburtstag. An einem sonnigen Sommernachmittag änderten die Dinge sich und ich hatte für eine Weile, etwa zwei bis drei Jahre einen besten Freund. Daran kann ich mich noch sehr gut erinnern, denn es war eine so tolle Erinnerung, sie bedeutet mir sehr viel, aus einem ganz bestimmten Grund heute umso mehr. Ich zeigte auf Casper und erzählte Grandpa von ihm: „Ich lernte ihn durch Zufall auf der Straße kennen. Ihm war es egal, dass ich dick war. Ich fuhr damals mit meinem Skateboard bei einem gegenüberliegenden Autohaus und er kam auch vorbei, auch mit seinem Skateboard. Wir lächelten einander an und er sagte: „Du bist doch der Neffe von Marius oder? Mein Dad ist ein Freund von ihn und finde es cool, dass er bei den Special Forces ist.“ Ich antwortete erfreut