Wüste als Mahal. Ute-Maria Graupner

Wüste als Mahal - Ute-Maria Graupner


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sich nicht verändert, grinst immer noch so breitmündig hinter seinem Tshesh hervor. Die blonde Frau sitzt wie in alten Zeiten neben Omar, während die Frauen hinten auf der Ladefläche kichern.

      Im sandigen Hof der Hütten von Omars Familie stehen fünf Dromedare zum Bepacken für die Wüstentour bereit. Esthes plaudert mit den Chameliers, die offizielle Berufsbezeichnung für die Guides, die die Touristen in die Wüste hinein begleiten werden. Kochtöpfe, Tomaten, unzählige Wasserflaschen, die europäischen Rucksäcke werden in riesige Packtaschen verstaut und seitlich an die Dromedarbäuche gehängt. Die Tiere brummen. Man hört das dumpfe Geräusch, wenn sie sich in den Sand niederlassen, um noch mehr Gepäck aufzunehmen und das Zischen der Chameliers, wenn sie ihre Tiere kommandieren.

      Iamna erscheint freundlich, herzlich und natürlich im Nachthemd. Die vermeintliche Distanz scheint es nicht gegeben zu haben. Nein, sie möchte nicht mit in die Wüste, sie hat schon in den Hütten mit so viel Sand zu tun. Sie sei eine moderne Frau. Gewiss. Das ist sie. Immerhin hat sie Betriebswirtschaft studiert, was man ihr in dem Nachthemd nicht ansieht.

      Endlich geht es los. Der Gang in die Wüste beginnt wieder. Esthes geht voran. Sie kennt den üblichen Weg raus aus dem Dorf. Es ist derselbe Weg, den Omar und sie nahmen, als sie das erste Mal allein in die Wüste zogen. Seinerzeit hatte sie Angst, sehr viel Angst vor ihrer eigenen Courage.

      Mit nur einem Dromedar schritten der Beduinenfreund und sie in ihrem langen, ockerfarbigen Kleid durch den Sand. Nein, kein Nachthemd, ein schönes Kleid. Sie war aufgeregt. Es war Sommer und für sie sehr heiß. Würde sie die Hitze aushalten? Die Wüste war damals die einzige Möglichkeit für Omar und Esthes, über mehrere Tage mit einander allein zu sein, ohne sich den kontrollierende Blicken der Beduinen auszusetzen, dass sie sich auch ja nicht berühren.

      Esthes wusste noch genau, wie sie sich fühlte, als sie diesen mit Palmen begrenzten Weg durch die Gärten mit Melonen und Tomaten entlang zogen. Jeder der ihnen damals begegnete, konnte die Erregung und Liebe der beiden spüren und traute der geforderten Einhaltung eines Abstandes nicht. Ihr kam es auch einer Vermählung gleich, sich auf diese Fremde und diesen Mann mit einer so anderen Mentalität einzulassen. Sie wagte es, sich mit einer ganz neuen Welt zu verbinden, mit einem Nomaden, dem einfachen Dasein in der Wildnis, der Weite des Sandes und der trockenen Hitze eines Wüstensommers. Sie wusste, dass sich das Wort „Vermählung“ einst auf den Prozess einer Einigung bezog. Sie musste für Brautleute von ihren Angehörigen gefunden werden, damit die unterschiedlichen Voraussetzungen eine Einheit bilden konnten. Esthes und Omar hatten bis dahin noch nicht miteinander geschlafen. Da draußen in der Weite des Sandes und der Stille sollte es das erste Mal sein. Das war unausgesprochen klar gewesen. Auch darin musste eine neue Einheit gefunden werden. Immer wieder hatte einer der Dorfbewohner sich von seiner Feldarbeit aufgerichtet und den beiden Verliebten zugewinkt. Manch einer stand an den Palmenwedeln, die zu einem Zaun ineinander verflochten waren, um sie zu begrüßen oder hatte der kleinen Karawane nachgeschaut. In dieser religiösen Luft des Beduinendorfes flimmerte es von Tradition, dass das erste Mal einer Eheschließung gleich käme. Esthes spürte dieses Flimmern und hatte Sorge, dass sie die Konsequenzen ihrer Entscheidung, mit Omar allein in die Wüste zu gehen, falsch einschätzen könnte, wenn sie denn überhaupt einzuschätzen war.

      Es war ebenso unausgesprochen klar gewesen, dass sie sich auf diese Art und Weise mit der Natur vereinen und einen Friedenspakt zwischen Orient und Okzident schließen würden, ein Bündnis wie einst die Sippen beim Mahal, dem Platz auf dem eine Vermählung ausgehandelt wurde. Damals hatte die weiße Frau keine Touristen dabei, die sie als Vorwand für die Angst vor zu viel fremder Intimität benutzen konnte. Auch Omar war nicht der Chef einer Gruppe gewesen und konnte sich nicht in die Unnahbarkeit einer geschäftigen Wichtigkeit begeben. Die weiße Frau hatte sich vertrauensvoll, nackt und bloß in ihrem ockerfarbigen Kleid in die Hände eines Menschen begeben, mit dem sie nur über eine fremde Sprache kommunizieren konnte, die auch nicht seine Muttersprache war. Ihre Beine waren so wackelig gewesen, dass sie meinte, nie eine lange Strecke zu Fuß aushalten zu können.

      Die Karawane der Frauen passiert den Wassergraben, der zur Bewässerung der Oasengärten dient. Genau an dieser Stelle sagte Esthes damals: „Ich habe Angst.“

      „Ich weiß!“ erwiderte Omar, „ich auch.“ Als das Paar bei seinem ersten Gang allein in die Wüste die Gärten und ihre Beobachter hinter sich gelassen hatten, nahm Omar Esthes Hand. So viel Hand und so viel Erregung war sie nicht mehr gewohnt. Omar hatte geschwiegen. Die Europäerin starrte auf die unterschiedlichen Farbtöne des Sandbodens unter ihren Füssen. Sie lauschte auf die Schritte und das Summen der Insekten. Sie spürte die verschiedenen Temperaturen in ihrem Gesicht, die der Wind heran trug. Verzweifelt rang sie nach Worten, um den heftigen Empfindungen in ihrem Inneren zu entgehen. Völlig sinnlos, denn sie war auf dem Weg hinein in die Wüste, die Weite, die Kargheit und die Stille, wo es kein Ausweichen gab. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie jemals in ihrem Leben diesen Gang vergessen würde.

      ES WAR EINMAL, und es ist noch

      Die Frauen plaudern munter, schreiten leichtfüßig durch den Sand. Es scheint keine Schwierigkeiten zu geben mit dieser Gruppe. Esthes und Omar würden viel Zeit für einander haben.

      Esthes hört die Kommentare, das man einiges ändern könnte hier. Dass sich die Frauen auch ein kulturelles Dorfleben erarbeiten müssten, die von Männern besetzen Cafés erobern oder sich gleichermaßen Kommunikationsorte schaffen könnten. Sie kennt diese Ideen von anderen Mitreisenden. Die meisten arabischen Frauen, mit denen sie hier darüber gesprochen hatte, wollen gar nicht in Cafés gehen. Sie sagen, dass ihnen die Gespräche der Männer nicht wichtig seien, und dass es ganz normal sei, dass Männer und Frauen unterschiedliche Interessen haben. Auch Esthes glaubte zu Beginn ihrer Aufenthalte am Wüstensaum, dass es wichtig für die Frauen sei, es den Männern gleich zu tun. Mittlerweile weiß sie, dass hier im Nachahmen der Männer nicht die Befriedigung der Bedürfnisse der Frauen hier liegt. Vielleicht wäre es interessant zu beobachten, was passieren würde, wenn die Frauen ihr Selbstbewusstsein mehr nach außen zeigen würden. Esthes hat beobachtet, dass in dieser Region eine andere Art der Emanzipation stattfindet. Ganz heimlich und leise stürmen die Frauen die Universitäten und machen den größeren Part der Akademiker aus. Im Grunde vertun sie nicht ihre Zeit mit lauten Kämpfen gegen die Welt der Männern, sondern diejenigen, die erkannt haben, dass sie ihr Leben verändern wollen, tun es im Stillen und behalten sich damit einem großem Teil ihrer Kraft, für das, was sie wollen. Ob es das ist, was die Männer tun, spielt dabei keine entscheidende Rolle. Esthes erscheint dieser Weg sehr klug. Sie hofft, dass dadurch die Frauen ihre Ziele erreichen, ohne sich von der Anerkennung der Männer abhängig zu machen.

      Nach zwei Stunden kommt die kleine Karawane in Gefilde, die Esthes sehr vertraut sind. Sie erkennt die Silhouette des ersten gemeinsamen Lagerplatzes, den sie Mahal getauft hatte.

      Als sie endlich ankommen, ist es bereits Mittag und sehr heiß. Viel zu heiß für diese Jahreszeit. Dabei hatte Esthes den Zeitpunkt der Reise doch sorgsam gewählt. Mit Touristen fährt sie nur im Winterhalbjahr in die Wüste, weil ihr die Verantwortung im Sommer mit seinen Gefahren zu groß ist.

      Die Europäerinnen lassen sich auf die ausgebreiteten Decken in den Schatten fallen. Man beklagt sich über die Fliegen, bis allmählich alle Frauen in für die Region übliche Weise ihr Kopftuch über das Gesicht legen. Die Gespräche verstummen nach und nach. Man schläft. Die Stille umrahmt das Gemurmel der Guides, die emsigen Gespräche der Insekten und das Knacken des Holzes im Feuer, welches für die Zubereitung des Mittagessens benötigt wird.

      Esthes träumt von damals. Sie und Omar kamen in der Sommerhitze hier an. Die Hitze machte sie müde, und die Stille ließ sie zur Ruhe kommen. Omar hatte seinen Burnus zwischen die Büsche gehängt, so dass sie darunter im Schatten schlafen konnten. Dicht umschlungen ruhten ihre erschöpften Körper. Während des Schlafes verrutschte das ockerfarbige Kleid. Esthes nackte Beine waren von Sommerwärme umgeben. Als sei es erst gestern gewesen, wie sie die langsamen Bewegungen von Omars Händen genossen hatte. Vorsichtig wanderten sie unter den kühlen Stoff zu ihren Brüsten. Jede kleine Berührung des weiblichen Leibs war eine Erregung für sich gewesen. Sie hatten viel Zeit für


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