Wüste als Mahal. Ute-Maria Graupner

Wüste als Mahal - Ute-Maria Graupner


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langen Zöpfen hin und her, während sie Hilde die Hand reicht. Esthes umarmt Monjis Mutter und seine Tante, die trotz ihrer vielen Arbeit eine der schönsten Frauen ist, die Esthes je gesehen hat. Die Taschen mit der Kleidung werden überreicht. Monji übersetzt die Bitte, auch den wirklich armen Nachbarn etwas davon abzugeben. Monjis Familie ist für die Verhältnisse des Dorfes der Halbnomaden reich. Es ist selbstverständlich, dass die Armen an Geschenken teilhaben dürfen.

      „Wer lebt denn hier alles?" fragt Ria. Sie macht mit der Hand einen Bogen durch die Luft, der die vielen Hütten- Eingänge umreißt. Nur zögerlich berichtet Esthes, weshalb so viel Menschen hier leben. Monji war erst 13 Jahre alt, als sein Vater starb. Man fand den Leichnam in der Wüste erst eine Woche nach seinem Tod. Er war bereits von Vögeln zerfressen, so dass keiner mehr feststellen konnte, woran er so früh gestorben war. Seitdem leben Monji, seine Geschwister und seine Mutter hier bei seinem Onkel. Unter den Beduinen ist es selbstverständlich, dass der Bruder des Verstorbenen Witwe und Kinder bei sich aufnimmt. Monji ist die rechte Hand des Onkels geworden und trägt mehr und mehr die Verantwortung für die Großfamilie.

      Esthes möchte sehen, ob die Küche, an der Monji seinerzeit gebaut hatte, fertig gestellt ist. Stolz führt der junge Mann Esthes in den Raum. Es gibt richtig glatte Wände, die sogar weiß gestrichen sind. Das Küchenzubehör steht auf dem Boden. Ein Fetzen eines Webstoffs dient als Sitzgelegenheit. Das hat sich also nicht geändert. Auch die neue Küche bietet die übliche Bodennähe eines traditionellen Beduinenlebens.

      Der Stall von Monjis Familie ist idyllisch an einer Sanddüne angelegt. Er besteht aus Palmenwedeln und knorpeligen Ästen, die miteinander verwoben und verhakt sind. Oberhalb des Verschlags wachsen drei Palmen, die den Tieren Schatten spenden. Esthes ist sich sicher, dass das Nest den Frauen gefallen könnte. Sie gehen zusammen zu den Tieren, dem Stolz jeder Großfamilie. Der Sand der hohen Düne ist sehr weich. Dagegen ist der Platz, auf dem Ziegen, Schafe und Hühner mit einander leben durch die Tiere fest getrampelt worden. Würde man auf eine der drei Palmen sitzen und hinunter schauen, könnte man verstehen, weshalb Esthes von einem Nest spricht.

      Trotz der Idylle, die von der einfachen Viehhaltung ausgeht, ertönen Worte der Skepsis. Das sei ja nicht gerade hygienisch. Der erste Kontakt mit Monjis drei Dromedaren, die neben dem Nest an einer langen Kordel im Sand stehen und neugierig glotzen, ist noch verhalten. Die Frauen waren diesen großen Tieren noch nie so nahe gekommen. Sie erschrecken als ein großer Kopf mit großem Maul durch die geschwungene Halsrundung wie ein Schwenkarm auf sich zukommt. Man fühlt sich konfrontiert mit unberechenbarer Fremdheit. Aber diese Vegetarier sind harmlos. Die Mädels werden sich schon an sie gewöhnen.

      Als die Gruppe vom Stallbesuch in den Hof zurückkehrt, sitzen die beiden Großmütter immer noch im Sand zwischen den Hütten. Eigentlich saßen sie immer da, wenn Esthes zu Besuch kam. Das ist im Alter die Tagesbeschäftigung der Beduinen. Durch das Auf und Ab der Familienmitglieder finden sie Abwechselung und Unterhaltung. Esthes Reisebegleiterinnen haben Durst. Sie bittet um Wasser. Monji verschwindet hinter dem Rücken seiner Großtante mit einer Wasserflasche in der Webstuhlhütte. Die Durstigen werden einzeln herein gerufen, um die beiden alten Damen nicht zu brüskieren. Ja, es ist Ramadan, und Monjis Familie ist sehr religiös. Die europäischen Frauen kichern über dieses Abenteuer.

      Die Verabschiedung ist herzlich. Alle dürfen jederzeit wieder kommen.

      Langsam trotten die Touristen auf trockenen Sandwegen Richtung Hotel. Es staubt. Die Sonne brennt.

      „Ich finde, die Menschen hier haben einen sehr warmen Gesichtsausdruck. Aber die schlechten Zähne, Stummel und Zahnlücken sind gewöhnungsbedürftig", meint Gudrun. Esthes hatte schon häufig erlebt, dass die Zähne, die zwischen dunklen Lücken gelb-bräunlich hervortreten als schockierend empfunden werden.

      „Ich gehe mal davon aus, dass es hier keine Zahnarztbesuche gibt", erwägt Karla.

      „Nein, der ist zu teuer. Und hier im Dorf gibt es auch keinen", bestätigt Esthes.

      „Man kann auch ohne Zahnarzt auf seine Zähne achten", murmelt Karla.

      „Kein Wunder, dass die Zähne so schlecht sind bei den Zuckermengen im Tee", äußert Hilde. Bereits auf dem Campingplatz beobachteten Karla und Hilde ein üppiges Ramadanessen einer Familie, die neben dem Campingplatz wohnt. Nach den Essensgeflogenheiten während des Ramadans gefragt, berichtete Esthes, dass so bald die Sonne unterging, sich alle Familienmitglieder zu einem ausführlichen Mahl versammeln. Meist gibt es dazu mehrere bescheidene Gänge, für die die Frauen im Laufe des Nachmittags mit Gelassenheit gesorgt haben. Der Abschluss eines jeden Essens ist die Zeremonie, zu dem jenes „Tee-Konzentrat“ eingenommen wird, das Esthes als ungenießbar bezeichnet, weil es so stark und süß ist.

      „Ist das üblich bei allen Beduinen, dass der Tee so konzentriert und mit so viel Zucker zu sich genommen wird?“ erkundigt sich Karla.

      „Ja, das ist hier Gewohnheit", erklärt Esthes. Sie weist darauf hin, dass diese Menschen hier, wenn sie arbeiten, körperlich sehr gefordert sind und einen hohen Energieverbrauch haben, den sie sich auf diese Art und Weise ausgleichen.

      „Wieso laufen die Frauen der Familie in Nachthemden herum?“ fragt Anne. „Wieso tragen sie nicht Selbstgewebtes?“ Esthes muss lachen.

      „Das ist ja diskriminierend so etwas anziehen zu müssen.“ Anne schüttelt den Kopf. „Die Männer tragen ja häufig auch europäische Kleidung, und diejenigen mit ihrer Beduinentracht sehen sehr stattlich aus.“

      Esthes versucht zu beruhigen.

      „Mittlerweile vermischen sich auch am Wüstenrand die kulturellen Einflüsse des Modernen mit der Tradition. Meist tragen nur noch die älteren Männer ihre Kedwarrhat.“

      „Sind das die gewebten, langen, cremefarbigen Kittel?“ will Sylvia wissen.

      „Ja, die sind aus ganz fein gesponnener Schafwolle. Die jüngeren Männer tragen lieber Jeans oder Safarihosen mit klassischer Beduinenstickerei. Ich finde auch, dass die sonderbaren Kleider der Beduininnen unserem gut bürgerlichen Nachthemd sehr ähneln. Aber sie sind eben für die armen Menschen hier erschwinglich und bieten dieselbe Weite wie ein traditionelles, luftiges Gewand, dem handgewebten Baschnug. Außerdem dauert eine Webarbeit für ein Beduinenkleid auch zwei Wochen. Selbst dann, wenn zwei Frauen gleichzeitig daran arbeiten. Der Stoff ist sehr dünn, wisst, ihr.“ Esthes nickt mit dem Kopf. „Außerdem haben die Frauen meist eine Garnitur Kleidung für Zwecke, wenn sie das Haus verlassen. Diese wird allerdings geschont. Die Menschen hier haben selten Geld für schnelle Neueinkäufe. Wenn es ein Fest gibt, kann man die Frauen wirklich in ganz tollen Kleidern sehen mit Goldspangen und goldenem Schmuck. Völlig verwandelt sehen die dann aus. Die schminken sich dann auch mit Kajal und manchmal sogar Lippenstift. Echt schön.“

      „Es tut mir leid", sagt die Gruppenleiterin zu Omar, als alle wieder den kühlen Palmenhain passieren. „Ich habe euch irgendwie verraten, indem ich den Europäern, die ich mitbringe, so direkte Einblicke in eure Lebensweise verschaffe. Ich will immer das Gute, was ich hier vorgefunden habe, weitergeben. Aber ich habe das westliche Bedürfnis, alles zu beurteilen, nicht bedacht. Es ist wie ein Besuch im Zoo, wo man anderen Wesen beim Befriedigen ihrer Lebensbedürfnisse zuschaut.“

      „Ja, so ist es", Omar nickt und lächelt.

      „Ich bin allmählich auf eurer Seite angelangt und fühle mich schon lange nicht mehr als Touristin. Ich frage mich, wie du diese Besuche aushältst?“

      „Ich beurteile es nicht. Lass es einfach fallen!“ Das sagte Omar schon oft zu der weißen Frau, wenn sie sich über ihr Tun in Selbstzweifeln verstrickt hatte.

      Am nächsten Morgen, als die Frauen munter beim Frühstück plaudern, steht Omar neben dem Kaffeetisch, wie immer ohne dass jemand sein Kommen bemerkt hatte.

      „Ich habe ein Auto organisiert, dass euch zu den Dromedaren fährt. Ihr könnt Euer Gepäck auf den Pickup von Ali laden.“ Die Frauen brechen auf. Unruhiges Gelächter und beständiges Schwätzen lässt auf die Aufregung schließen, die sich vor jedem ersten Gang in die Wildnis der Wüste breitmacht.

      Die Rucksäcke werden auf die Ladefläche


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