Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen


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schüttele den Kopf. Um meine Unsicherheit zu überspielen, starre ich ihn aus zusammengekniffenen Augen an, damit er glaubt, ich bin wirklich wütend. Aber antworten kann ich ihm nicht. Meine Stimme ist bestimmt nicht mehr als ein Piepsen.

      „Das denke ich mir. Die ist stocklesbisch! Was meinst du, was die mit dir vorhatte?“, raunt er und lässt seinen Arm sinken, den er immer noch hinter meinem Rücken in Angriffsstellung hielt.

      Also, das über einen Jungen zu hören, das ist für mich völlig okay. Aber dass ein weibliches Wesen einem anderen an die Wäsche gehen würde, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Dass ich ihm das nicht glaube, sieht Erik wohl an meinem Blick. Ich sehe ungläubig dem Bus hinterher, als könnte ich von dort die Antwort erhalten.

      „Das ist unglaublich! Wie kann man nur so naiv sein?“, brummt er, nun selbst wieder völlig selbstsicher. „Weißt du eigentlich irgendwas?“, schnauzt er.

      Nun werde ich wirklich wütend. „Ja, dass ich jetzt zum Bahnhof gehe und nach Hause fahre“, fauche ich und im nächsten Augenblick wird mir klar, wie blöd wir uns hier aufführen. Wir stehen uns wie zwei Kampfhähne gegenüber. Ich, klein und zierlich … er, groß und behäbig. Und doch beide mit funkelnden Augen und zusammengeballten Fäusten, als wollen wir uns einen Kampf liefern.

      Plötzlich verliert er seine überhebliche Haltung. „Ich bringe dich da hin. Man kann dich nicht mal hier alleine laufen lassen“, brummt Erik und hebt meine Tasche auf. Er sieht mich seltsam an und schüttelt den Kopf.

      Nun bin ich verwirrt. Er will mich zum Bahnhof bringen? Wieso?

      Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihm wirklich trauen kann. Mir schwirren die Worte von Ellen im Kopf herum und was sie alles über ihn gesagt hatte. Da war nichts Gutes bei. Aber er hat meine Tasche und sieht mich aus seinen braunen Augen eher resigniert an. Ich kann seinen Blick nicht deuten und mir schon gar nicht vorstellen, was in ihm vorgeht.

      Meine Wut verraucht allmählich. Schließlich ist das Ellens Bruder und ich möchte keinen Krieg mit ihm führen. Dafür ist mir Ellens Freundschaft und Wohlergehen zu wichtig.

      „Okay“, raune ich. „Wenn du willst!“

      „Ich würde das nicht sagen, wenn ich es nicht wollte“, murrt er und mustert mich durchdringend. Dann wirft er einen argwöhnischen Blick auf die Leute um uns herum.

      Ich will ihm meine Tasche abnehmen, aber er lässt das nicht zu. Das irritiert mich noch mehr.

      „Die ist doch viel zu schwer für so eine halbe Portion“, brummt er als Erklärung und sieht mich nicht an. Dafür geht er langsam an den Haltestellen vorbei den Bürgersteig entlang. Ich muss ihm wohl oder übel folgen.

      „Danke!“, raune ich leise und meine Verwirrung nimmt kein Ende. „Eigentlich bringt Ellen mich immer zum Bahnhof“, sage ich, um einfach etwas zu sagen. „Aber die musste weg.“

      Wir überqueren die nur für Busse zulässige Straße und biegen bei einer Kirche in einen engen Durchgang ein. Erik sieht mich seltsam an und ich bin mir plötzlich sicher, er weiß das schon. Hatte er das Ganze inszeniert?

      „Ich erzähle dir nichts Neues, oder?“, wage ich meinen Unmut über meine neue Erkenntnis ihm an den Kopf zu werfen. Irgendetwas an ihm scheint mich immer zu provozieren. Vielleicht, weil ich ständig das Gefühl habe, er fuscht in meinem Leben herum. „Und komischerweise bist du dann plötzlich aufgekreuzt. Was für ein Zufall.“

      Es dauert einige Zeit, bis er antwortet. Vielleicht überlegt er, was er sagen soll. Welche Ausrede er benutzen soll.

      „Nein, das war ein wohl überlegter Plan. Nicht leicht umzusetzen, wenn man nicht weiß, wo ihr steckt und man den Dickkopf meiner Schwester überlisten muss“, meint er dann aber zu meiner Überraschung völlig ruhig.

      Mir fällt die Kinnlade runter. Mit so viel Ehrlichkeit hatte ich nicht gerechnet. Psychoscheiß?

      Ich bin sprachlos und Erik lächelt überheblich. Dabei streicht er schnell eine Locke aus seinem Gesicht.

      Wir gehen weiter nebeneinander her. Dabei sehe ich mich schnell um und bin mir sicher, dass er mit mir auch den richtigen Weg nimmt. Ich erkenne die Straße, die zum Bahnhof führt, wieder. Das beruhigt mich ungemein und ich sehe den jungen Mann neben mir mit anderen Augen an. Zumindest ist er nicht nur entwaffnend ehrlich, sondern hält auch sein Versprechen. Alles nichts, was ich erwartet hatte.

      Sein Blick trifft meinen. Seine Locken liegen heute ungebändigt um seinen Kopf und eine fällt ihm erneut ins Gesicht. Er sieht gut aus, so braungebrannt und heute mal mit etwas freundlichem Gesichtsausdruck.

      Ich sehe schnell vor mir auf den Gehweg.

      „Musst du sofort fahren oder kann ich dich noch auf etwas einladen?“, fragt er mit einem seltsamen Unterton in der Stimme, als wisse er nicht, ob er das wirklich tun will.

      Als wir um die nächste Ecke biegen, sehe ich vor mir den Bahnhof an der nächsten Kreuzung auftauchen.

      „Ich muss nicht unbedingt den nächsten Zug nehmen. Erst den um zehn“, antworte ich zurückhaltend, weil ich mir auch nicht sicher bin, ob ich das wirklich sagen soll. Ich bin etwas überrascht über uns.

      „Gut!“, sagt Erik und wirkt auch überrascht. Mit einem verhaltenen Lächeln in den Mundwinkeln nimmt er meinen Arm und zieht mich auf die andere Straßenseite, ohne auf den Verkehr zu achten. „Ich kenne ein nettes Cafe hier am Bahnhof.“

      Tatsächlich gehen wir in ein Cafe, direkt mit Blick auf das große Bahnhofsgebäude, was mich beruhigt. So kann eigentlich nichts passieren. Ich kann mich zumindest nicht verlaufen und den Zug verpassen.

      Wir setzen uns an einen kleinen Tisch am Fenster. Zu meiner Überraschung stellt Erik meine Tasche ab und rückt mir den Stuhl zurecht, bevor ich mich setze.

      „Danke!“, sage ich etwas verlegen.

      „Bitte!“, sagt er und setzt sich mir gegenüber. „Was darf ich dir bestellen? Die bieten hier auch Essen an? Oder was du möchtest“, sagt er und sieht mich mit einem Blick an, der fast schon nett wirkt.

      Ich bin wieder etwas verwirrt und schüttele den Kopf. „Bitte nichts zu essen. Ein Cappuccino wäre gut!“

      Erik bestellt bei einer superschlanken, dunkelhaarigen Kellnerin zwei Cappuccino und grinst mich plötzlich an. „Wenn Ellen uns sehen würde, dann wäre ich bestimmt ein toter Bruder.“ Er lacht leise und mir wird klar, dass er auch freundlich wirken kann.

      „Ach Quatsch! Sie fand es total nett von dir, dass du dich bei ihr entschuldigt hast“, sage ich und sehe an seinem überraschten Blick, dass er sich das nicht denken kann.

      „Doch wirklich! Sie fand das echt nett von dir. Aber bitte mach das auch nicht wieder“, bitte ich ihn und schenke ihm ein Lächeln.

      Erik sieht mich verwirrt an und sein Blick wird hart. Dieser schnelle Stimmungswechsel verunsichert mich.

      „Was soll ich nicht mehr machen?“, braust er auf.

      Oh Mann! Warum kann ich meine Klappe eigentlich nicht halten?

      Die Kellnerin bringt unsere Cappuccinos und lächelt uns freundlich an.

      „Danke!“, sage ich und lächele zurück. Warum bin ich eigentlich immer die, die nett zu Kellnerinnen ist, statt meine Tischgenossen. Ich muss an Marcel denken, der an dem schrecklichen Sonntag auch nicht nett zu der Bedienung in der Eisdiele gewesen war. Was werde ich froh sein, wenn er mich heute Abend in seine Arme schließt und ich all dem hier entkommen bin.

      „Ellen verletzen, wenn dir etwas nicht passt. Und schon gar nicht wegen mir“, sage ich leise und sehe Erik nicht an.

      Der reißt mit einem mürrischen Gesichtsausdruck seine Zuckertüte auf und der Zucker verteilt sich über den ganzen Tisch.

      Ich reiche ihm meine und er sieht mich aufgebracht an.

      „Naja! Auf dem Tisch nützt er dir nichts“, erkläre ich leise.

      Wird


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