Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen


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alle so gut drauf sind.

      Tatsächlich verlassen wir ohne Probleme die Kneipe und mir fällt ein, dass ich besser noch zur Toilette hätte gehen soll. Aber mich bringen keine zehn Pferde dazu zurückzugehen.

      Etwas irritiert wird mir klar, dass wir, ohne behelligt zu werden, durch die Altstadt gehen, den Domvorplatz überqueren und beim Theater in die Fußgängerzone einbiegen. An Schaufenstern, an denen die Mädels stehen bleiben, um sich die Auslage anzuschauen, sehe ich mir im Fenster die gespiegelten Gesichter der Leute hinter uns an und bin beruhigt. Erik ist nicht da.

      Die Fußgängerzone ist endlos lang und als wir beim Burger King ankommen, bleiben nur noch Susanne und ich übrig. Ich wage ihr eine Frage zu stellen, die mir die ganze Zeit auf der Seele brennt. „Sag mal, warst du schon mal bei Ellen zu Hause?“

      Susanne schüttelt den Kopf und hält mir die Tür auf.

      „Kennst du ihren Bruder?“

      Susanne lacht seltsam und ich atme auf. Also kennt sie ihn wohl, was mir eine gewisse Sicherheit gibt. Erik wird mich nicht ansprechen, wenn er Gefahr läuft, dass jemand das sofort Ellen steckt. Das hoffe ich zumindest.

      „Setz dich. Ich hole uns etwas. Ich lade dich ein“, sagt Susanne. „Was möchtest du?“

      „Oh, das ist aber nett. Danke! Egal! Was du nimmst.“ Ich schenke ihr ein Lächeln. Susanne ist selten so gut gelaunt und freundlich. „Ich gehe eben für kleine Mädchen.“

      Als ich von der Toilette wiederkomme, nimmt sie das Tablett mit dem Essen von dem Tresen und kommt an unseren Tisch. Statt mir gegenüber, setzt sie sich neben mich und ich bedanke mich noch einmal für das Essen.

      Unser Gespräch erneut aufnehmend, das ich schon fast vergessen habe, sagt sie: „Ich kenne den Bruder von Ellen nicht. Mich interessieren Männer nicht.“

      Hatte sie deshalb so seltsam gelacht, als ich sie nach Erik fragte?

      Ich sehe sie von der Seite her irritiert an. Mir ist nicht schlüssig, was sie damit meint, Frage aber nicht weiter nach. Mich beschäftigt viel mehr, dass ich bei ihr nicht in Sicherheit bin.

      Wir essen und ich lasse den Blick immer wieder zur Tür und der großen Scheibe gleiten. Aber Erik taucht nicht auf und ich bin mir mittlerweile sicher, dass er nicht hinter mir her ist. Außerdem bin ich kaum interessant genug, um ihn mich durch die halbe Stadt verfolgen zu lassen. Er hat bestimmt besseres zu tun und seine Sprüche am Telefon sind nur seine dummen Psychospiele, die er gerne spielt. Und Ellen hatte mir erklärt, dass er ein riesen Problem mit dem weiblichen Geschlecht hat. Eigentlich hasst er Frauen und interessiert sich nur für sie, wenn er sie zum Druckablassen flachlegen kann. So hat sie sich zumindest ausgedrückt … und dass Erik wirklich böse wird, wenn sie hinterher auf mehr aus sind und ihn nicht in Ruhe lassen.

      Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass ein Mensch so sein kann.

      Es ist noch nicht spät genug, um direkt zum Bahnhof zu gehen, als wir den Burger King verlassen und ich weiß nicht, was ich mit meiner Zeit noch anfangen soll. Dass Susanne mir das Essen ausgegeben hat, war wirklich nett. Aber sie ist etwas seltsam drauf. Sie hat mir alle möglichen Geschichten erzählt, die mich nicht interessieren, mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, mal etwas mit Mädels anzufangen, was ich nur verneinen konnte, da ich schließlich fest vergeben bin und gefragt, ob wir mal zusammen ins Kino gehen wollen. Außerdem hat sie irgendwo in einem Randbereich der Stadt eine Wohnung, die sie mir zeigen will und ich könnte auch jederzeit bei ihr penne, wenn ich mal nicht nach Hause will.

      „Was wollen wir jetzt machen?“, fragt sie nun und kommt mir dabei so nahe, dass mein Arm ihre übergroße, ziemlich tiefhängende Oberweite berührt.

      Ich weiche etwas vor ihr zurück und raune: „Ich denke, ich gehe schon zum Bahnhof und fahre mit dem nächsten Zug nach Bramsche.“

      Es ist vielleicht besser, wenn ich in Bramsche noch ein wenig herumlaufe oder bei Marcel im Garten auf ihn warte. Es ist ein lauer Sommerabend und dort erscheint es mir sicherer, als hier in der Stadt zu bleiben. Dass Erik in der Kneipe aufgetaucht war, hat mich ziemlich erschreckt und ohne Ellen fühle ich mich hier einfach nicht wohl.

      „Schade! Ich dachte, wir können noch ein bisschen zu mir fahren“, sagt Susanne und grinst mich an.

      „Ach, ich denke, es reicht für heute. Ich kenne mich hier auch nicht so gut aus, um nachher auch pünktlich wieder zurückfinde“, versuche ich ihr zu erklären, ohne ihr irgendwie das Gefühl einer Abfuhr geben zu wollen. Aber sie möchte nicht allein nach Hause gehen, dass sehe ich ihr an ihrem enttäuschten Gesicht an.

      „Aber ich dachte, du fährst erst mit dem Zug um zehn? Das sind noch fast anderthalb Stunden. Zu mir fährt alle 10 Minuten ein Bus. Wir sind ganz schnell da. Und die Bushaltestelle ist fast direkt vor meiner Tür“, versucht sie mich zu überreden und ihre blauen Augen mustern mich funkelnd, keine Widerrede duldend.

      Susanne hat etwas an sich, das mir nicht nur etwas unsympathisch ist, sondern mich auch verunsichert. Ich will auf gar keinen Fall mit zu ihr fahren.

      Wieder tritt sie nah an mich heran und erneut spüre ich ihre Masse an meinem Arm.

      „Tut mir leid, aber ich habe wirklich für heute genug. Mir reicht es zum Bahnhof zu gehen und fertig“, brumme ich.

      „Okay, dann bringe ich dich da hin“, schwenkt sie plötzlich um und stampft los. Ich folge ihr, etwas irritiert über ihren Sinneswandel und vergesse sogar Ausschau nach Erik zu halten.

      Wir gehen durch die Unterführung, die ich schon kenne und durch die ich schon oft ging, wenn ich zum Bahnhof wollte. Somit muss ich auf dem richtigen Weg sein.

      Auf der anderen Seite kommen wir wieder beim Busbahnhof am Neumarkt heraus und Susanne nimmt meinen Arm und zieht mich mit. Sie redet und redet, als müsse sie mir noch schnell alles erzählen, was sie als für mich Wissenswert erachtet. Wir gehen durch die Straße, an der die Busse stehen und auf ihre Abfahrt warten.

      „Oh, schau! Da ist sogar mein Bus! Komm, den kriegen wir noch“, ruft sie plötzlich und reißt mich mit sich mit.

      Vor der Bustür, die geschlossen ist, bleibt sie stehen und drückt einen Knopf, der die Tür öffnet. „Komm, schnell“, sagt sie fröhlich, als hätten wir eben beschlossen, zu ihr zu fahren, greift nach meinem Arm und zieht mich in den Bus hinein.

      Ich stolpere die Stufe hoch und versuche mich loszureißen. „Ich will aber zum Bahnhof und nicht noch woanders hin“, rufe ich panisch aus. Die Angst packt mich, dass sich die Tür hinter mir schließt und der Bus mich mitnimmt.

      In dem Moment werde ich auch schon aus dem Bus auf den Gehsteig gezogen.

      „Du haust mir nicht ab“, höre ich Erik hinter mir wütend zischen.

      Die Bustür schließt sich und Susanne sieht mich irritiert an.

      Ich bin nicht weniger irritiert als sie und sehe aufgebracht in Eriks braune Augen, die mir unfreundlich entgegenstarren.

      „Aua, du tust mir weh!“, fauche ich, weil ich nicht fassen kann, was mir gerade geschieht. Dass Susanne mich in ihren Bus gezogen hatte, macht mich schon wütend. Aber dass Erik plötzlich auftauchte und mich wieder rauszog, weil er glaubt, ich will vor ihm davonlaufen, das nimmt mir fast die Luft vor Wut. Kann hier jeder mit mir machen, was er will? Und wo kam der jetzt so plötzlich überhaupt her?

      Der Bus fährt los und Susanne sieht mich mit säuerlicher Miene an, winkt dann aber, sich wohl nicht sicher, wer von den Jungen aus meiner Geschichte mich aus dem Bus zerrte. Marcel hatte sie schließlich schon einmal gesehen. Vielleicht denkt sie, dass ist jetzt Tim?

      Ich reiße mich von Eriks festem Griff los und schmeiße ihm meine Tasche vor die Füße, um meine aufsteigende Angst zu kontrollieren. Dabei zische ich aufgebracht: „Sag mal, was soll das?“

      Ich versuche nicht in meinen Kopf dringen zu lassen, warum Erik mich abfing. Er will mich bestimmt wegen meiner großen Klappe langmachen und lässt offensichtlich nichts auf sich sitzen. Ellen hatte mich mehr als einmal vor ihm gewarnt.


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