Winterwahn. Wolfe Eldritch

Winterwahn - Wolfe Eldritch


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erkannte der Jarl, dass es sich um Erzdiakon Ormond Torga handelte, der offenbar mit zwei Wachposten gesprochen hatte. Seine beiden menschlichen Schatten, Bruder Lombardo und Bruder Bridges, waren wie üblich an seiner Seite.

      Das Interesse des Geistlichen an der Wehranlage hatte Varg ebenso wenig überrascht wie seine Bereitschaft, die Reise hierher anzutreten. Auch die Tatsache, dass er ohne Weiteres dazu bereit war, eine Weile in der unwirtlichen Umgebung zu verbringen, verwunderte ihn nicht. Er hatte den Aufenthalt der kirchlichen Abordnung in seiner Heimat nun seit einigen Wochen zu erdulden. In dieser Zeit hatte er die Eigenheiten des seltsamen Mannes zur Genüge kennengelernt. Die Präsenz der Priester war nach wie vor eine ständige, latente Bedrohung, aber alles in allem gestaltete sich ihre Anwesenheit sehr viel weniger unangenehm, als Varg befürchtet hatte. Das lag zum größten Teil an Ormond Torga. Er legte mittlerweile eine erstaunliche Ungezwungenheit an den Tag. Dabei sorgte er gleichzeitig dafür, dass seine Untergebenen sich völlig unauffällig verhielten.

      Zwischen dem Geistlichen und Varg herrschten seit ihrer ersten Begegnung eine distanzierte Höflichkeit und ein stiller Respekt. Der Priester war ein gebildeter, aufgeschlossener Mann mit einem offenkundigen Wissensdurst. Dazu kam ein bissiger Humor, der nicht selten vor Ironie und Zynismus troff. Auch mit seinen Untergebenen pflegte er einen eher ungezwungenen Umgangston. Dennoch war dem Jarl nicht verborgen geblieben, dass die anderen Priester ihm mindestens ebenso viel Furcht wie Respekt entgegenbrachten. Die einzigen Ausnahmen bildeten die Brüder Lombardo und Bridges. Was die beiden Männer anging, war Varg inzwischen sicher, dass es sich nicht um echte Geistliche handelte. Ihre Art sich zu bewegen und ihre stoische Gleichgültigkeit machten nur einen Teil der tödlichen Aura aus, die sie umgab. Er erkannte Männer, die es gewohnt waren zu kämpfen und zu töten, ob man sie nun Soldaten, Krieger oder Mörder nennen wollte. Diese beiden gehörten in diese Kategorie.

      Ormond Torga hingegen entzog sich jeder Kategorisierung. Seine humorvolle, ungezwungene Art stand im Gegensatz zu der spürbaren Ehrfurcht seiner Untergebenen. Auch sein niedriger Titel passte nicht zu der Aufgabe, die er hier ausfüllte. Ein Erzdiakon war kaum mehr als der Vorsteher der Glaubensgemeinde einer kleineren Stadt. Die Leiter der kirchlichen Abordnungen in Falksten und Krakebekk waren Bischöfe. Sie trugen vermutlich, anders als Torga, auch keine schlichten braunen Roben wie ein gewöhnlicher Mönch. Selbst die einfachen Priester kleideten sich in weiße Talare, während der Erzdiakon und seine Begleiter überhaupt keinen Wert auf ihr Äußeres zu legen schienen. Unter anderen Umständen wäre der Mann Varg vermutlich sympathisch gewesen.

      Seine resolute und direkte Art gefiel ihm ebenso wie der trockene, oft bittere Humor. Doch er unterschätzte ihn nicht, Torga war zu jeder Zeit hellwach und somit gefährlich. Ihm entging nichts, und was in ihm vorging, blieb jedem Außenstehenden verschlossen. Seine wahren Motive und Zielsetzungen kannte nur er allein. Varg glaube nicht, je einem Mann begegnet zu sein, der undurchsichtiger und weniger berechenbar war als der Erzdiakon. Außer dem alten Zauberer vielleicht, dessen Anwesenheit er nach wie vor vermisste.

      Torga ließ die beiden Wachen und seine Begleiter nun hinter sich und kam dem Jarl entgegen. Es war das erste Mal, dass sie sich heute über den Weg liefen. Sie waren seit ein paar Tagen hier und Varg wusste nicht, womit sich der Mann den größten Teil des Tages über beschäftigte. Er schien damit zufrieden zu sein, in der Wehranlage selbst und der kleinen daran angrenzenden Ortschaft herumzustreunen.

      »Grüße, eure Lordschaft«, sagte Torga nun und schaute unter der gefütterten Kapuze seines Mantels hervor zu dem Jarl auf.

      »Grüße, Erzdiakon«, erwiderte Varg, bei dem ebenfalls nur der Teil der Haut seines Gesichtes ungeschützt war, die nicht von seinem Bart verdeckt wurde. Auch er trug einen dicken, mit Klabauterfell gefütterten Mantel und hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Gegen die Kälte, die derzeit hier herrschte, war selbst der härteste Norselunder nicht gefeit. Im Stillen machte sich Varg eine gedankliche Notiz, nach seiner Rückkehr nach Snaergarde den Minenarbeitern im Norden einen Besuch abzustatten. Auch dort mussten die Lebensumstände mittlerweile noch unerträglicher sein, als es ohnehin schon der Fall war.

      »Ist eure Neugier an diesem Ort inzwischen gestillt, oder können wir noch ein paar Tage bleiben?«, wollte er von dem Erzdiakon wissen.

      Das Lächeln des alten Priesters war freundlich und spöttisch zugleich. »Ihr könnt den Gedanken, mich aus den Augen zu lassen noch immer schlecht ertragen, nicht wahr?«

      »Es wäre gleichermaßen unachtsam wie unhöflich, mich nicht persönlich um das Wohlergehen meines Gastes zu kümmern«, gab Varg ebenfalls lächelnd zurück.

      »Ihr meint, wenn mir etwas passieren würde, könnte das ein schlechtes Licht auf eure Gastfreundschaft werfen? Ich verstehe, ich verstehe«, meinte Torga. »Aber wie dem auch sei, meinetwegen können wir noch zwei oder drei Tage bleiben. Es ist hier in der Tat unvorstellbar kalt, aber es ist ein faszinierender Ort. Vor allem, wenn man so lange so viel davon gehört hat, und im Grunde nie wusste, ob er wirklich existiert.«

      Varg legte den Kopf leicht schräg und zog eine Augenbraue hoch. Er spürte, wie die Haut spannte und die angefrorenen Haare auf seiner Braue nachgaben.

      »Soll das heißen, auf dem Festland bezweifeln die Menschen, dass es den Wall und die Klabauter wirklich gibt? Wir exportieren nicht besonders viel von dem Fell, aber wenn ich richtig informiert bin, ist es innerhalb der Aristokratie ein relativ verbreitetes Luxusgut.«

      »An der Existenz der Bestien selbst zweifelt kaum jemand. Aber im Laufe der Jahre haben sich, wie es üblich ist, viele Geschichten um die geheimnisvolle Verteidigungsanlage gesponnen. Alle paar Jahre bringt irgendein Seehändler Gerüchte in Umlauf, dass euer Jarltum überrannt worden sei und auf der Insel ein offener Krieg mit den Klabautern herrscht. Solche Dinge eben.«

      Der Erzdiakon zuckte mit den Schultern. »Es gibt so gut wie keine zuverlässigen Niederschriften über diesen Ort. So weit in den Norden ist die Kirche selbst in der Zeit, die zwischen dem Krieg und dem Einbruch des Grau lagen, nie gekommen. Und ältere Berichte sind reine Spekulation. Es gibt mehr als ein Dutzend verschiedene Zeichnungen von den Bestien, die zum Teil erheblich voneinander abweichen. Das bringt mich zu meiner nächsten Frage. Und wäre es euch wohl genehm, wenn wir uns für einen Moment in den Eingangsbereich des Turms begeben würden? Ich habe das Gefühl, dass mein Gehirn unter diesem Wind allmählich einfriert. Von meinem Hintern ganz zu schweigen.«

      Varg nickte und deutete stumm auf das Tor zum Turm. Es war aus dickem Eisenholz gezimmert und schwer beschlagen. Über dem Mauersturz befand sich auf der linken Seite ein Loch, aus dem Rauch in die eisige Luft quoll. Es roch nach brennendem Holz und Frost. Der Jarl zog den Flügel der Tür mühelos auf, ließ den Priester eintreten und folgte ihm dann. Er schloss die Tür und spürte sofort, wie die Haut seines Gesichtes zu kribbeln begann. Neben dem Tor stand ein Eisenofen, von dem aus ein schmales Rohr zu der Öffnung über der Tür führte. Der kleine Metallbehälter strahlte eine intensive Hitze aus, die den Innenraum des Turms allerdings nur unwesentlich zu erwärmen vermochte. Trotzdem war der Temperaturunterschied deutlich spürbar, allein weil der Wind hier ausgesperrt war.

      »Ich bin sicherlich nicht sonderlich zimperlich«, seufzte Torga und fügte mit einem Lächeln hinzu: »Für einen Festländer. Aber wie die Männer und Frauen es aushalten, hier dauerhaft zu leben ist mir ein Rätsel. Die Kälte ist einfach unglaublich.«

      »Es ist selten so schlimm wie in diesem Jahr«, sagte Varg. »So ist es sonst nur für wenige Wochen um den Jahreswechsel herum, wenn überhaupt. Aber trotzdem ist es ohne Zweifel selbst für norselunder Verhältnisse ein hartes und entbehrungsreiches Leben. Vergleichbar damit ist nur das der Minenarbeiter im Eisgebrige.«

      »Das ist auch noch ein Ort, den ich gerne besuchen würde«, warf der Erzdiakon sofort ein. »Aber erst, nachdem wir diesen Besuch hier eine Weile hinter uns gebracht haben. Ich hätte nicht gedacht, dass ich es einmal so formulieren würde, aber ich würde mich vorher gerne ein wenig in Snaergarde aufwärmen. So man denn irgendwo in eurem schönen Jarltum von Wärme sprechen kann. Um auf meine Frage zurückzukommen«, er schlug jetzt die Kapuze zurück und streckte den Rücken, bevor er weitersprach. Varg tat es ihm gleich und trat gemeinsam mit dem Geistlichen ein Stück von dem Ofen weg. Es war nicht klug, jetzt in der dicken Kleidung zu schwitzen


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