Das ERGOS-Projekt. Christian Friedrich Schultze
wird alles anders werden.“ Sie blickte ihm ernst ins Gesicht.
Er war über diese Aussage nicht überrascht. Er sah auch sie voll an und entdeckte Schatten unter ihren dunklen Augen. Das war das Faszinierende an ihr, dass sie die Dinge intuitiv ganz schnell in ihrer ganzen Komplexität erfassen konnte, ohne dass er ihr etwas erklären musste. Leider konnte er deshalb auch kaum etwas vor ihr verbergen. Aber das würde er bei diesem Projekt weiterhin müssen. Sie spürte das und daher hatte sie die Sache mit diesem einfachen Satz auf den Punkt gebracht. Dass sich etwas Grundlegendes ändern würde, war beiden schon lange klar, wenn sie es auch nur ungern in ihr Bewusstsein dringen ließen.
„Nicht alles Liebling“, sagte er deshalb, strich eine dunkle Haarsträhne aus ihrem Gesicht und berührte mit seinen Lippen ihren Mund. „Aber wohl manches. Also sehen wir uns gleich und gehen dann essen.“
„OK, ich fahre dich,“ und drehte sich um, um zu ihrer Tochter zu gleiten. „Fragst du nach dem Rover?“
Er ging und verhandelte mit dem Manager wegen des Fahrzeuges, fuhr dann mit dem Lift nach oben und begann zu packen. Es war nicht viel, was er in seine Reisetasche zu schichten hatte und er war bereits fertig, als seine beiden Damen eintrafen.
2.
Jeremia Alban Redcliff hatte gerade seinen 45. Geburtstag hinter sich gebracht, als er endlich in das Büro des Energieministers eingeladen wurde. Man schrieb den 1. September 2004. Es war ein sonniger, warmer Mittwochnachmittag in Washington.
Am Vorabend jenes Datums war auf einem Parteitag der Republikaner gerade George W. Bush junior mit einer Politshow, wie sie bisher ohne Beispiel in der gesamten amerikanischen Geschichte gewesen war, zum neuerlichen Präsidentschaftskandidaten der Republikaner ausgerufen worden. Das Desaster seiner Wahl vom Sommer 2001 war scheinbar längst vergessen. Die Macher wetteten auf die Macht der Bilder. Und nach 9/111 und dem Einmarsch der von den USA geführten Alliierten in Afghanistan und in den Irak war sowieso nichts mehr wie vordem. Nation in war!2
George John Tenet3 hatte das erwartet. Er hatte nur kurze Zeit benötigt, bis ihm dämmerte, was mit dem WTC-Desaster bezweckt worden war. Meist hatte der CIA in den entscheidenden Missionen eine Aufgabe gehabt. Bei 9/11 hatten sie ihn außen vor gelassen.
Jedenfalls hatten jetzt die evangelikalen Fundamentalisten in Washington das Sagen und die Pragmatiker waren in die Minderheit geraten. In Redcliffs Kopf setzte sich der Verdacht fest, dass die neuen Jungs im Pentagon um Verteidigungsminister Donald Henry Rumsfeld gerade dabei waren, die Dienste umfassend für ihre Konzerne zu instrumentalisieren und im Pentagon eine eigene Geheimtruppe zu etablieren. Weiter vorausschauende Projekte standen offenbar weniger im Blickpunkt des Oval Office.
Der Admiral kannte E. Spencer Abraham von seinem kurzen Gastspiel in Harvard 1996. Er hatte an der Universität als Gast Vorlesungen über Welt-Energiewirtschaft angehört, bevor er dann zum Massachusetts Institute of Technology gewechselt war. Der Sohn libanesischer Einwanderer hatte Redcliffs Aufmerksamkeit geweckt, weil er als Tutor in den dortigen Seminaren über die wirklichen Zukunftsfragen des Erdballs, wie Energie und Trinkwasser, referiert hatte. Während Redcliff nach seinem weiteren Studium an der Columbia University, der folgenden Ausbildung in Westpoint und seinem steilen Weg hinein in den Auslandsgeheimdienst, entsprechende Vorlesungen der nordamerikanischen und ausländischen Koryphäen an den Universitäten Amerikas vor allem aus dienstlichen Gründen, die sich in wunderbarer Weise mit seinen persönlichen Intentionen deckten, anhörte, war Abraham zu jener Zeit gerade kurz davor, an Harvard eine Professur zu bekommen und glaubte, mit sorgfältig recherchierten Abhandlungen über die zukünftigen Probleme der Menschheit Bewegung in die Gehirne der Mächtigen pflanzen zu können.
Hieraus hatten sich für die beiden Männer vielfältige Anknüpfungspunkte ergeben und Redcliff hatte in zahlreichen abendlichen Gesprächen manches von Abraham lernen können, da dieser die Probleme in Mittelost tiefgründig kannte. Insbesondere des Libanons mit seinen Anrainern Israel, Palästina und Syrien, wo schon längst massiv um Energie und Wasser für die zukünftigen Generationen gerungen wurde. Zwar konnte er damals Abraham nicht näher erläutern, in wessen Auftrag und unter welchen Umständen er als frischgebackener Ressortleiter für Energie- und Trinkwasserressourcen im CIA an dessen Universität weilte. Aber dennoch hatte sich zwischen den beiden Männern in jener Zeit, wenn auch keine Freundschaft, so doch respektvolle Zuneigung entwickelt.
Inzwischen waren einige Jahre vergangen. Abraham hatte es in verhältnismäßig kurzer Zeit und aus Gründen, die Redcliff noch nicht ganz klar waren, bis zum Energieminister der Vereinigten Staaten gebracht. Und der jetzige Chef des Energieministeriums hatte sich Redcliffs erinnert, als dieser ihn telefonisch um eine inoffizielle Unterredung gebeten hatte. Es hatte nicht lange gedauert, bis er aus dessen Büro angerufen wurde. Nun, etwas mehr als fünf Jahre nach ihren gemeinsamen Tagen in Harvard, war er an diesem Nachmittag über die sonnenüberflutete Independence Ave auf dem Weg in den Amtssitz des bei der Bush-Administration nicht mehr ganz unumstrittenen DOE4-Bosses.
Der Wagen wurde nach Nennung des Codeworts durch Redcliffs Fahrer und kurzem Check in die Schleuse zur Tiefgarage eingelassen. Ein Bediensteter wartete schon am Lift, um den CIA-Mann nach oben zu geleiten. Nachdem der Begleiter die Tür des schmucklosen Besprechungsraumes, aus dessen mannshohen Fenstern man allerdings einen sehr schönen Ausblick auf Arlington hatte, lautlos von außen geschlossen hatte, erschien durch eine andere kaum sichtbare Türe fast augenblicklich der Minister, schoss einen kurzen Blick durch seine randlose Brille auf Redcliff, eilte auf ihn zu und drückte ihm herzlich die Hand.
„Schwierige Zeiten, was, Jeremia. Seien sie gegrüßt!“, rief er in herzlichem Ton. Spencer war etwas fülliger und etwas grauer geworden. Aber seine dunklen libanesischen Augen hatten ihren Glanz nicht verloren. „Man nennt sie jetzt den Admiral?!“, fügte er fragend hinzu.
„Na ja, es hat mit der Navy nichts zu tun“, erwiderte Redcliff. „Es ist wegen des Wassers, ein Spitzname.“
„Und sie arbeiten für John McLaughlin?“
„Nun ja, eigentlich arbeitete ich für George Tenet, aber der hatte gerade seine Probleme mit G.W. auszufechten. Wird wohl bald ein anderer kommen für John. Aber das halte ich eher für nebensächlich.“
„Wer hat keine Probleme mit G.W.?“, erwiderte Abraham mit einem mokanten Lächeln. „Waren sie seinerzeit schon dabei?“
„Ich war damals gerade frisch ´reingekommen und beauftragt, das neue Ressort aufzumachen, weil George es für wichtig hielt für die Zukunft und mich für den richtigen Mann dafür. Deshalb haben wir alle Vorlesungen der Starleute in den führenden Universitäten angehört und uns ein Bild über die möglichen eigenen Ressourcen machen wollen.“
„Aha, deswegen also! Und, was ist ´rausgekommen?“
„Unsere eigenen Besatzungen reichen wahrscheinlich nicht, weil andere womöglich weiter sind als wir“, raunte der Admiral. „Ist es hier abhörsicher?“, flüsterte er schließlich.
„Worüber wollen sie mit mir reden?“, fragte Abraham erstaunt.
„Es geht um Wichtigeres als um Öl, es geht um unsere Zukunft“, flüsterte Redcliff immer noch.
„Ist das nicht dasselbe? Und weshalb wollen sie darüber gerade mit mir reden? Hat sie Tenet beauftragt?“, äußerte der Minister in ganz normalem Ton und machte eine Handbewegung, die dem Admiral verdeutlichen sollte, dass hier in Washington jedes Departement seine eigene Abhörabwehr beschäftigte.
„Nein, wirklich nicht“, erwiderte Redcliff. „Wenn er noch dran wäre, hätte er wohl selber mit ihnen gesprochen. Wir waren uns aber einig, dass wir an sie herangehen müssen, für die Zeit nach G.W. Nur, McLaughlin interessiert nach 9/11 gänzlich anderes als die wirklich entscheidenden Fragen. Er ist – wie soll ich sagen – bisschen einfach gestrickt. Und ob er länger bleibt, ist ja auch ungewiss. Was uns interessiert ist, dass die Bonesman5 aus dem Weißen Haus verdrängt werden müssen, damit wir uns mit dem wirklichen Notwendigen beschäftigen