Das ERGOS-Projekt. Christian Friedrich Schultze

Das ERGOS-Projekt - Christian Friedrich Schultze


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Uhrlau und dem Direktor des Bundesnachrichtendienstes.

      Die Experten der inneren Runde waren ziemlich verwundert gewesen über diesen Anlauf der Russen, denn der russische Präsident stand seit seiner gerade deutlich gewonnenen Wahl neuerdings unter starkem internationalem Beschuss, weil er einen politischen Bürgerkrieg gegen die Oligarchen und eine ganze Reihe Kremlgrößen aus der Ära seines Ziehvaters Jelzin eingeleitet hatte. Der Ausgang dieses Machtkampfes war noch ungewiß.

      Meier schätzte, dass Präsident Putin im Augenblick die Hälfte seiner Kraft für diese innenpolitischen Probleme verbrauchte, vom Krieg gegen die aufständischen Islamisten in Tschetschenien mal ganz abgesehen. Aber es sah so aus, als ob er Erfolg haben würde. Schröder hatte Meier mit der Abklärung der Offerte beauftragt.

      „Der Kanzler schätzt die Hochachtung, die ihm Ihr Präsident entgegenbringt. Er selbst würde gern die Zusammenarbeit vertiefen. Er kann die Amerikaner aber nicht noch mehr vor den Kopf stoßen. Wenn es ein Projekt ist, dass gegen die Interessen der USA läuft, werden wir nicht mitmachen können“, gab er zur Antwort.

      „Wollen wir nicht erst mal in den Schnee gehen?“, forderte Demtschenko den Deutschen auf.

      Seit die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland nach der Glasnost-Periode und Boris Jelzins Tänzchen vor Kohls halbem Kabinett in freundschaftlicherem Geist geregelt wurden, war es Mode geworden, dass man sich zur Besprechung höchst geheimer Fragen auf speziellen Datschen der russischen Regierung zur Sauna traf. Die Aufforderung des Russen, in den Schnee zu gehen, bedeutete, dass sich Putins Petersburger Connection immer noch nicht ganz sicher war, dass die rasant emporgekommenen Finanztycoone des Landes bereits schwach genug waren und sich nicht mehr an die russische Regierung heranwagten. Mit den Auslandsspionagediensten musste zudem immer und überall gerechnet werden.

      Es war kalt an jenem Märztag im Norden Moskaus, der Himmel war verhangen. Meier fror, aufgeheizt von der Hitze der Blockstube, zunächst jedoch nicht.

      „Es geht gegen die Interessen der USA. Oder wenigstens gegen die der gegenwärtigen Administration dort“, bemerkte Demtschenko ungerührt. „Aber Deutschland wird sich in den nächsten Jahren ohnehin entscheiden müssen. Die Franzosen haben hierbei wohl weniger Probleme, aber ihnen fehlen die wirklichen Topleute in der Wissenschaft. Sie dagegen haben ein paar Startypen, die durchaus in der Lage wären, uns zu helfen. Die Deutschen mischen schließlich bei CERN8 ganz schön mit. Wir haben dafür andere Ressourcen. Wir sind das Land mit den größten fossilen und mineralischen Vorräten auf der Welt. Aber auch die werden in nicht allzu ferner Zeit zu Ende gehen.“

      Sie kehrten in die Hitze der Banja zurück.

      „Das allein ist aber nicht unser Motiv“, fuhr Demtschenko fort. „Wir denken, dass das Energieproblem der Kern aller weiteren Probleme der Menschheit ist. Das Diktat der Energiesyndikate zu brechen, ist nach unserer Ansicht Voraussetzung dafür, eine vernünftigere Weltpolitik auch in Umwelt- und Sozialfragen durchzusetzen. Uns geht es nicht um Hegemonie, sondern um Balance. Die Vereinigten Staaten werden ihre weltweite Vormachtstellung wegen ihrer veralteten Prioritäten und ihrer überdehnten Militärpräsenz bald einbüßen. Ihr Vorderasienabenteuer wird sie Ihren Rang kosten. Wir denken jetzt schon an das Danach.“

      „Wen meinen sie mit unseren Topleuten der Wissenschaft?“, fragte Meier überrascht. Er glaubte, sich in der deutschen Forschungsszene gut auszukennen, insbesondere in all jenen Projekten, die derzeit von der Regierung unterstützt wurden.

      „Kennen sie die Studie aus ihrem Fraunhofer Institut für Elektronenstrahl- und Plasmaforschung FEP über die Nutzung Schwarzer Löcher für die Energie- und Informationsgewinnung der Zukunft?“, fragte Demtschenko zurück.

      „Habe wohl mal davon gehört aber niemals dazu recherchiert. Es ist vom wissenschaftlichen Informationsdienst auch nie in eine Priorität gestellt worden“, gab Meier zu. Er war beunruhigt wegen der Erkenntnis, dass die Russen offenbar ziemlich genau wussten, was in deutschen Spitzen-forschungsinstituten vor sich ging. „Ist doch wahrscheinlich ziemliche Utopie, oder?“

      „Na, die haben den jungen Mann dort natürlich nicht ernst genommen. Utopien werden heute aber schneller Wirklichkeit als früher. Wir haben Computer, wir haben einige Erfahrungen in Dubna9 und wir haben Dollarreserven. Was uns fehlt, ist der Wille zur Bündelung der Kräfte“, meinte der Russe trocken.

      „Was ist mit den Chinesen?“

      Die Deutsche Wirtschaft hatte seit Jahren gute Beziehungen und einen umfangreichen Austausch von Studenten und Wissenschaftlern mit dem Land der Mitte. Man wusste in Berlin, dass China auch in den Spitzentechnologien mit einem steilen Aufstieg begann und die Russen traditionsgemäß dabei immer noch eine helfende Rolle spielten.

      „Mit Peking reden wir über alles mögliche“, sagte der Russe. „Die Kernfusion oder die theoretische Physik sind allerdings nicht dabei. Da muss man erst sehen, was sich in der nächsten Zeit entwickelt. Gehen wir nochmal raus?“

      Man hatte vor den Blockhütten auf dem Gelände, das hinunter zum Flüsschen führte, einige größere Schneehaufen aufgeschüttet. Dort konnte man sich, aus dem Dampfbad kommend, nackt hineinlegen. Demtschenko war Sibirier wie Jelzin und entsprechend groß und kompakt gewachsen. Er wirkte durchtrainiert, wenn auch Teile seiner rötlichen Blondheit bereits etwas ergraut waren. Meier erschien gegen diesen Hünen zart und im Gegensatz zu seinem urdeutschen Namen war er ein südländischer Typ mit dunklem Teint.

      Zur Vollkommenheit ihres Saunaerlebnisses fehlte freilich die Sonne. Als Meier das erste Mal zu dieser Übung aufgefordert worden war, hatte er nicht geglaubt, dass man nach einer solchen Prozedur, die allerdings nur ein paar Minuten dauerte, sogar ein wenig süchtig werden könnte. Damals hatten ihm seine Begleiter erzählt, dass ihr neuer Präsident in seiner Grundausbildung zum Geheimdienstmann der damaligen Sowjetunion eine Nacht nackt im Schnee überleben musste. Das konnte er sich freilich heute immer noch nicht vorstellen. Wie trainierte man soetwas?

      „Wie lange würde eine Untersuchung, ob es sich lohnen würde, ein derartiges Projekt anzuschieben, bei Ihnen dauern?“, fragte er den Russen.

      „Wir haben es bereits untersucht. Wir meinen, es lohnt sich, auch wenn es sehr teurer wird. Wir geben ihnen gern den Bericht, wenn sie möchten. Sie können es daheim besprechen. Das Problem sehen wir darin, wie wir solch ein Vorhaben über die Wahlperioden bringen und wie wir es tarnen können. Vielleicht haben Sie ja eine Idee dazu.“ Demtschenko hatte irgendwoher eine Flasche Wodka und zwei Gläser hervorgezaubert. „Na starowje…“

      Meier hatte inzwischen gelernt, wie die Russen „Stogramm“ trinken. Die Russen, die Putin schickte, konnten außerdem ausgezeichnet deutsch sprechen und verstehen…

      Vom neuen russischen Präsidenten allerdings wurde berichtet, dass er im Gegensatz zu seinem Ziehvater Boris Jelzin niemals trank.

      4.

      Sebastian L. Grüner wurde am 18. September 1969 in Zeuthen bei Berlin als einziges Kind seiner Eltern geboren.

      Das L. stand für Ludwig, so hieß sein Urgroßvater, der in Königsberg gestorben war, bevor die Ergebnisse des 2. Weltkrieges diese ostdeutsche Provinz in russischen Besitz trieben. Nach Aussagen seiner Mutter war seine Geburt normal verlaufen, sofern man unter den damaligen Umständen in der Deutschen Demokratischen Republik von normal sprechen konnte.

      Die DDR hatte die Säuglingssterblichkeit auf internationales Niveau gesenkt. Im Kreißsaal lagen die Gebärenden, lediglich durch hohe Paravents aus weißem Leinenstoff getrennt, zu viert bis zu sechst in ihren Kojen. Das hatte den Vorteil, dass sie nicht alleine ihrem Gebärschmerz hingegeben waren. Ein Arzt oder eine Hebamme kam während der Wehen nur hin und wieder vorbei.

      Väter waren beim Kinderkriegen nicht zugelassen. Und irgendwie war es ja auch kulturgeschichtlich berechtigt, den Geburtsvorgang als etwas entmystifiziertes, gesellschaftlich millionenfach Normales zu behandeln. Daher schickte man die Väter nach Hause, ließ die Frauen mit den Geburtshelfern allein und machte ansonsten kein größeres Gewese um das Erscheinen eines neuen Erdenbürgers


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