Always Differently. Kat v. Letters

Always Differently - Kat v. Letters


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genervt von diesem Geräusch, nicht Katarina. Der Dampf und das Pfeifen weckten in ihr Bilder von einem Bahnhof. Der Zug rollte heran und der Bahnsteig wimmelte plötzlich von hektischen Menschen. Wie die Ameisen wuselten sie durcheinander. Plötzlich sah sie hinter einem der Zugfenster ein Kind. Es winkte und schaute zu ihr herüber. Winkte es etwa ihr, kannte sie es? Sie hob die Hand und schirmte ihre Augen vor der Sonne ab, um das Kind besser zu erkennen. Im selben Moment schubste sie ein verbissener alter Herr auf dem Bahnsteig zur Seite. Doch das trübte in keiner Weise ihre Vorfreude, da zwischen all den Reisenden jemand ganz Besonderes aussteigen würde, auf den sie wartete. Doch wer? Vielleicht dieses Kind. Sie war aufgeregt. Endlich gingen die Türen auf und …

      Klick. Sie nahm die Kanne und goss gedankenverloren das kochende Wasser über den Teebeutel, der sich dabei wie wild in dem Strudel drehte. Sie starrte weiter in die Tasse und sah zu, wie sie voller und voller wurde.

      Katarina war in Gedanken versunken, mal wieder, und träumte vor sich hin. Wie immer, wenn sie völlig fertig war. Sie wusste, sie war ein Träumer. Aber sie fand das nicht weiter schlimm. Im Gegenteil, sie war sogar stolz darauf. All die Nichtträumer besaßen doch gar keine Fantasie. Deren Leben war nur schwarz-weiß, hatte bestenfalls etwas Grau dazwischen. Katarina dagegen mochte es so richtig bunt und lebendig. Wenn sie träumte, war aller Ärger samt Sorgen vergessen, da spielte die Musik. Ein ganzes Orchester aus tausenden Grillen, Vögel zwitscherten ganze Arien, pummelige Hummeln und zarte Schmetterlinge nahmen auf den oberen Rängen blühender Blumen Platz. Ihre Träume waren ein Leben voller Sonnenschein und sie mittendrin.

      Sie kannte den Spruch, Träume sind Schäume, wusste auch, dass da was dran war, nur nicht, was sie dagegen tun sollte. Wollte sie daran überhaupt etwas ändern? Um ehrlich zu sein, nein. An diesem Ort gingen ihre Wünsche in Erfüllung, besonders einer. Und das war nicht irgendein Wunsch, sondern der Wunsch. Es war nichts Großes, was sie wollte. Es sollte nur ganz winzig sein. Zappelnde Beinchen, winzige Zehen und kleine Fingerchen. Genau das war ihr immer wiederkehrender Traum – ein Baby.

      Schon in frühester Kindheit war für Katarina klar, irgendwann in ihrem Leben wollte sie ein Kind. Dieses Verlangen hatte sich in den letzten Jahren nach und nach an sie herangeschlichen. Und mit einem Mal stand es vor ihr und war immens präsent. Wann es begonnen hatte dieses Verlangen, ja, wann war das eigentlich?

      »Huch!«, rief sie erschrocken und war augenblicklich hellwach. »Da hast du ja noch mal Glück gehabt, Schlafmütze«, schimpfte sie mit sich selbst. »Das hätte eine Überflutung mit bösen Verbrennungen werden können.«

      Sie stellte den Wasserkessel beiseite und schöpfte anschließend mit einem Löffel etwas Flüssigkeit ab, um die Tasse gleich danach mit der Milch wieder randvoll zu machen. Langsam balancierte sie damit an den Küchentisch und setzte sich.

      Sie dachte an ihren sehnlichsten Wunsch und versuchte sich zu erinnern, seit wann diese Sehnsucht die erste Geige in ihrem Leben übernommen hatte.

      Vor Kurzem noch war sie für ein Kind gar nicht bereit. Da sah alles etwas anders aus. Spontan verreisen, Kino, Freunde treffen, feiern oder nur eben mal ausschlafen. All das hätte sie für eine lange Zeit nicht mehr tun können. Das war für sie genauso unvorstellbar wie eine Reise zum Mond. Doch das hatte sich inzwischen geändert. Nicht die Reise zum Mond, die eh nicht infrage kam, dafür aber ihr Bedürfnis nach einer richtigen und vollständigen Familie, denn im Grunde genommen war sie ein sehr harmoniesüchtiger Familienmensch.

      Katarina schlang einen Finger um den Henkel ihrer Tasse. Der Riesennapf war bis zum Überlaufen voll und schwer. Der Tee darin dampfte noch regelrecht. Mithilfe von Daumen und Zeigefinger der anderen Hand hob sie ihn vorsichtig an die Lippen und nippte daran.

      »Autsch!«, rief sie entsetzt.

      Sie hatte sich die Zunge verbrannt. Hastig stellte sie die Tasse auf den Tisch, die dabei überschwappte, und presste ihre Hand an den Mund.

      »Verdammt noch mal«, wetterte sie. »Das Zeug ist aber auch heiß.«

      Heiß. Bei diesem Wort dachte sie unweigerlich an Felix. Immer wenn sie sich an irgendetwas die Zunge verbrannte, was nicht selten vorkam, feixte er darüber und fragte, ob sie es denn mal wieder nicht abwarten konnte.

      Sie kannte ihn nun schon beinah eine Ewigkeit. Vor gut fünf Jahren hatte er ihr dann endlich einen Antrag gemacht. Sie sagte spontan ja und hatte es nie bereut.

      Der Tag lag eine Weile zurück, an dem sich Felix und Katarina kennengelernt hatten, ein paar Jahre kamen da schon zusammen. Die Zeit war unbemerkt durch ihre Finger gerutscht. Dummerweise machte sie vor niemandem halt. Doch wer wünschte sich das nicht, zumindest ab einem bestimmten Alter. Vielleicht war das auch ganz gut so. Denn Katarina kam dabei sofort die Überbevölkerung in den Sinn und sie dachte an einige, die sie nicht sonderlich leiden konnte. Beate zum Beispiel, eine Kollegin ihrer Freundin Meike. Die nervte total und war noch dazu ein Schnorrer.

      »Okay, das ist gehässig, ich geb’s zu«, erklärte sie dem Panda auf ihrer Tasse. »Aber der Prozess läuft, kann ich sowieso nicht ändern.«

      Auch Katarina wurde aus diesem Grund immer älter. Und je älter sie wurde, umso mehr quälte sie sich. Es waren keine Schmerzen, die sie plagten, jedenfalls nicht direkt. Aber sie spürte etwas in ihrem Bauch, immerzu. Da war ein seltsames Kribbeln, wie vor einer Prüfung. Es fühlte sich beinah an wie Liebeskummer. Doch das konnte nicht sein, in ihrer Beziehung mit Felix war alles in Ordnung.

      Sie grübelte nach. Manchmal waren derartige Gefühle ein Hinweis darauf, etwas Wichtiges übersehen zu haben, darüber hatte sie gelesen. Nur was sollte das sein. Ein Termin vielleicht? Nein, der stünde definitiv in ihrem Kalender. Aber was war es dann? Permanent horchte sie in sich hinein. Woher konnte das kommen, fragte sie sich. Sie fühlte sich innerlich leer und irgendwie traurig.

      Ein paar Wochen später ging Katarina im Stadtpark spazieren. Plötzlich blieb sie einem Impuls folgend stehen. Auf einer Parkbank sah sie eine junge Mutter mit ihrem Baby auf dem Arm.

      »Was für ein schönes Bild«, seufzte sie.

      Es war eine Art Magie. Katarina ging auf die beiden zu, sie konnte nicht anders, und setzte sich daneben auf die Bank.

      Das Baby war noch sehr klein, nicht älter als ein halbes Jahr. Es sah zu Katarina, und zwar nicht nur in ihre Richtung. Nein. Es blickte ihr klar und direkt in die Augen, lächelte und streckte seine kleinen Händchen nach ihr aus. Sie lächelte unsicher zurück, hob zaghaft ihre Hand und winkte dem Baby zu.

      Da war es wieder, dieses Kribbeln in ihrem Bauch. Dieses Mal sehr heftig. Es durchzog ihren gesamten Körper. Sie schluckte schwer und kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an. In diesem Moment wusste sie plötzlich, was ihr fehlte. Ein Baby.

      Richtig. Genau da hatte ihr Verlangen nach einem Baby begonnen.

      Mittlerweile lag diese Erkenntnis eine ewig lange Zeit zurück. So wie ihr Leben im Augenblick war, war es schön, auch ohne Kind. Ihre Beziehung zu Felix war einfach perfekt. Selbst zu zweit, und dessen war sich Katarina sicher, bliebe ihre Ehe immer ein aufregendes Abenteuer.

      Und dennoch konnte sie die Sehnsucht nach einem Baby nicht verdrängen. Immer öfter, auch jetzt, spukte ihr dieser eine Spruch im Kopf herum: ›Erst ein Kind macht das große Glück perfekt.‹ Und genau das war es, was sie wollte, nämlich dieses ganz große, perfekte Glück. Sie war kein Mensch für halbe Sachen.

      Katarina träumte von ihrem Baby. Ein süßes kleines Mädchen, das sie an seinem Geburtstag mit einem Rüschenkleidchen ganz in Rosa besonders herausputzte. Und aus den langen blonden Löckchen band sie zwei kleine Zöpfe, wie Pippi Langstrumpf sie hatte, die bei jeder Bewegung stetig auf und ab hüpften. Die Sonne schien, Katarina zauberte einen Schokoladenkuchen und Felix spielte mit ihrem Schatz und seinen kleinen Gästen Topfschlagen.

      Genau das war sie, die Bilderbuchfamilie aus ihren Träumen. Sie seufzte und lächelte dabei vor sich hin. Doch all das war nur ein schöner Traum. Irgendwann würde diese Seifenblase zerplatzen und es wäre für immer vorbei. Davor fürchtete sie sich am meisten, schließlich wurde sie nicht jünger.

      Kürzlich, vor ein paar Wochen,


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