Always Differently. Kat v. Letters
Sie schüttelte den Kopf und hoffte, die lärmenden Erinnerungen an diese Gespräche so zu verscheuchen.
»Denk nach, in Ruhe«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. »Es gibt für jedes Problem eine Lösung.« Und sie hoffte inständig, dass das auch in ihrem Fall zutraf. »Überlege, was tust du den ganzen Tag«, sprach sie weiter mit sich. »Wie läuft er ab, wie viel Zeit verbringst du davon mit Felix, worüber redet ihr? Woran denkst du von früh bis abends?«
Sie schloss ihre Augen, atmete langsam tief ein und wieder aus und ließ den Kopf sinken. Für eine Weile ging sie in sich und spulte ihren Tagesablauf ab. Doch egal welchen Tag sie vor sich sah, er war immer gleich, hektisch und komplett überlastet wie ein proppenvoller Terminkalender.
Mit einem Mal riss sie den Kopf hoch und starrte auf ihr Gegenüber.
»O mein Gott«, brach es aus ihr heraus.
Sie hatte so etwas wie eine Erleuchtung, oder genauer gesagt, des Rätsels Lösung.
»Richtig. Das ist der Grund. Ich konnte bis jetzt gar nicht schwanger werden. Das war gar nicht möglich. Es ist mein Kopf.«
Sie grinste sich an. Ihre Verzweiflung war für einen Moment wie weggeblasen. Endlich ein Lichtblick.
»Ganz genau, es liegt an meinem Kopf. Er hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht.«
Katarina erinnerte sich, früher mal von einem Phänomen gelesen zu haben, das ziemlich weit verbreitet sein sollte. Es hieß damals, wenn der Kopf nicht völlig frei ist, kannst du machen, was du willst, da passiert einfach nichts. Das klang plausibel und leuchtete ein, denn sie hatte permanent einen Haufen von Dingen zu erledigen. Ihre Gedanken waren pausenlos beschäftigt. Nur mit dieser einen Sache nicht, und zwar der Wichtigsten: ihrem Baby. Die Zeit für ein Kind war einfach noch nicht reif. Bis jetzt.
Die Ursache lag nun klar auf der Hand und die musste sie schnellstens angehen. Sie nickte sich zu und ging zurück in die Küche. An der Tür blieb sie verdutzt stehen und besah sich das Chaos.
»Wie sieht’s denn hier aus?«
Sie hatte noch gar nicht zu Ende gesprochen, schon hatte sie das Bild ihrer überstürzten Flucht zum Spiegel vor Augen.
»Toll.«
Katarina stellte den Stuhl auf und besah sich dann genervt die Sauerei auf und unter dem Tisch.
»Was soll’s. Der hat es eh mal wieder nötig.«
Sie holte Putzzeug, wienerte den Tisch und gleich dazu noch den kompletten Dielenboden. Anschließend holte sie etwas zu schreiben und setzte sich damit an den Küchentisch. Das Blatt vor sich teilte sie in zwei Spalten. Die linke bekam die Überschrift Kontra, die rechte Pro. Sie wollte eine Analyse über ihr Kopfproblem erstellen und dachte nun tiefgründig nach.
»Womit habe ich die letzten Jahre verbracht? Mit Arbeiten, was sonst. Und das täglich von morgens bis abends. Warum? Blöde Frage. Ganz einfach, mit meinem Alter von fünfunddreißig Jahren stehe ich voll in der Blüte des Berufslebens. Schließlich heißt es nicht alt und dynamisch, sondern jung und dynamisch.«
Das Dynamische würde sich mit dem Alter ändern, das hörte sie ständig und von allen Seiten. ›Wenn du kurz vor der Rente stehst‹, so wurde ihr versichert, ›sind für dich nur noch zwei Dinge wichtig, die Schere und dein Maßband, das du jeden Tag um einen Zentimeter kürzen darfst.‹
Katarina verstand dieses Ritual bis heute nicht. Das mit dem Maßband würde sie nie tun, auch nicht kurz vor der Rente. Sie war gar nicht der Typ für so etwas. Arbeiten war einfach toll. Sie freute sich jeden Tag darauf. Für ihren Verlag war sie wichtig. Vor allem in Stresssituationen, diese standen schon beinah an der Tagesordnung. Dabei waren Sekunden entscheidend, denn das Blatt musste pünktlich in den Druck gehen. Darin war Katarina eine wahre Meisterin, das sah zumindest ihr Chef so, und das zählte. Dumm nur, dass ausgerechnet jetzt der richtige und gleichzeitig auch letzte Zeitpunkt für ein Baby war. Und Zeit war genau das, was sie brauchte und viel zu wenig hatte.
Sie nahm den Stift zur Hand und schrieb in die linke Spalte auf dem Papier folgende Notiz:
– Sind Job und Kind zeitlich miteinander vereinbar?
Gegenwärtig war ihr nämlich gerade das ein absolutes Rätsel und möglicherweise einer der Gründe, die sie blockierten.
Sie notierte einen zweiten Punkt:
– Geld!!!
Mit drei Ausrufezeichen. Das spielte gleich neben der Zeit die zweite Hauptrolle.
»Mit Kind wird das auf jeden Fall ganz schön knapp.«
Sie schrieb weiter:
– Arbeit = Geld
– Baby = keine Arbeit
»Das erste Jahr bleibe ich auf jeden Fall mit dem kleinen Schatz zu Hause. Und daran gibt es nichts zu rütteln. Stellt sich allerdings die Frage, wer soll mich in dieser Zeit vertreten?«
Weiter zum Punkt Geld:
– keine Arbeit = kein Geld
– kein Geld = ?
»Prima. Kein Geld und wie weiter? Wovon leben wir, wenn ich nicht arbeiten gehe? Felix ist auch nicht gerade der Großverdiener. Und die paar Kröten vom Staat decken gerade mal so unsere Mietkosten. Na ja, wenigstens das, so ersparen wir uns zum Glück das Brückenleben.«
Immer wieder landete Katarina mit ihren Überlegungen in einer Sackgasse. Sie dachte an das Baby. Es würde wachsen und dabei unzählige Gläschen mit Brei verschlingen und tonnenweise Windeln verbrauchen.
»Meine Güte, Babys sind in Wirklichkeit gefräßige Raupen. Tja, nehmt euch vor den Kleinsten in Acht, das sind immer die Schlimmsten.«
Plötzlich hatte sie eine geniale Idee, von der sie sofort begeistert war.
»Jep, na wer sagt’s denn.«
Der erste Stichpunkt in der Pro-Spalte.
– Brei selber kochen
»Das spart definitiv jede Menge Geld, kostet zwar Zeit, aber schließlich bin ich auch den ganzen Tag zu Hause.«
Gleich darunter schrieb sie:
– Stoffwindeln
Eine weitere Möglichkeit, die sie in Erwägung zog. Diese müsste sie nur einmalig kaufen und konnte sie dann immer wiederverwenden.
»Guter Plan. Dafür sollte ich von den Grünen einen Orden einfordern. Wahrscheinlich halte ich damit sogar noch den Klimawandel auf, bei der Menge, die ich an Wegwerfwindeln einspare.«
Zugleich veranstalteten ihre Gedanken ein Szenario, in dem sie sich von riesigen Windelbergen umgeben sah. Auf kilometerlangen Leinen verteilte sie eine Stoffwindel nach der anderen. Die Sonne ging bereits unter, ehe sie bei der letzten angelangt war. Danach fing sie von vorn an und nahm die erste wieder ab, die inzwischen schon trocken war.
»Herrgott noch mal. Nein!«, rief sie und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Damit setzte sie dieser Horrorvision ein Ende. »Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert. Wozu sonst wurde dieser ganze moderne Kram erfunden, wenn ich mir diese Erleichterung dann nicht zunutze machen würde. Windeln waschen. Pah. Das ist ja so, als hätten wir gerade den Zweiten Weltkrieg hinter uns gebracht. Ich werde mich nicht zum Windelsklaven machen und jeden Tag Wäsche waschen. Ein bisschen Zeit für mein Baby will ich auch noch haben.«
Sie strich das letzte Wort und setzte es in die linke Spalte.
– Stoffwindeln – Stoffwindeln
Die Idee war dann wohl doch nicht so genial. Geld sparen würde an dieser Stelle ausfallen. Aber sie blieb zuversichtlich.
»Schnallen wir eben unseren Gürtel etwas enger. Es wird sich alles finden, wenn es so weit ist.«
Dieser Spruch war nicht auf ihrem