Wenn die Nacht stirbt und dunkle Mächte sich erheben. Lisa Lamp

Wenn die Nacht stirbt und dunkle Mächte sich erheben - Lisa Lamp


Скачать книгу
keine Schüler mehr gestorben, obwohl das vielleicht besser gewesen wäre. Rückblickend betrachtet wäre alles besser gewesen als die Wahrheit. Auch wenn das bedeutet hätte, dass noch mehr Unschuldige starben. Zumindest wäre dann nicht die gesamte Bevölkerung in Gefahr gewesen, sondern nur einzelne Opfer. Aber ich schweife schon wieder ab.

      Angefangen hatte alles mit der Anhörung im großen Saal. Obwohl es ursprünglich hieß, dass alle Ratsmitglieder die Schule wieder verlassen würden, reiste Rabiana, sehr zu Direktorin Terrents Missfallen, nicht ab. Sie nistete sich, mit dem Vorwand die Schüler in einigen Vorträgen unterrichten zu wollen, im Internat ein. Überraschenderweise drängte dieser Umstand Regan, das Ratsmitglied, das der bösen Königin jederzeit Paroli bot, dazu, sich ebenfalls in der Schule einzuquartieren, um nicht zu weit von Rabiana und den Ratsgeschäften entfernt zu sein, wie sie behauptete. Dass das eine billige Ausrede war, wurde uns spätestens klar, als die restlichen Mitglieder des Rates in andere Hexenstädte geschickt wurden und Regan die Ratsvorsitzende auf Schritt und Tritt verfolgte. Somit hatten wir die Bösen quasi vor der Schlafzimmertür und speziell Jaimie und ich fühlten uns nicht mehr sicher. Wahrscheinlich hätten auch die anderen beschlossen, mit offenen Augen zu schlafen, wenn sie gewusst hätten, warum wir ständig auf der Hut waren. Aber wir fanden es besser, die Bösartigkeit der Ratsvorsitzenden für uns zu behalten, um niemanden zu ängstigen. Wie hätten wir auch erklären sollen, dass Rabiana, die oberste der obersten Hexen, Deine Mörderin war, aber wir ihren Größenwahn leider nicht beweisen konnten?

      Besonders Deinem Bruder schien der Umstand, Jonathan etwas zu verheimlichen nicht zu behagen. Nichtsdestotrotz hielt er zu mir und schwieg. Wahrscheinlich, weil er selbst nicht wusste, was zu tun war und er meist mit seinen Gedanken weit weg war. Jaimie, der nach wochenlangem Aufenthalt die Krankenstation endlich wieder verlassen durfte, wurde von Tara, Lora und mir verhätschelt. Dabei kam es oft vor, dass Jaimie in Deinem alten Bett, das immer noch leer stand, übernachtete, um nicht allein in seinem Zimmer schlafen zu müssen. Den Kleinen quälten Alpträume, von denen selbst der Psychologe ihn nicht befreien konnte. Zu Dr. Martin mussten wir alle immer noch regelmäßig gehen, um über das Erlebte zu sprechen. Glücklicherweise waren die Pflichtbesuche mit der Zeit weniger geworden, sodass ich nur noch zweimal im Monat zu diesem Quacksalber musste. Jaimie hatte es nicht so gut getroffen. Anfangs musste er fast täglich eine Stunde in Dr. Martins Büro ausharren und auch, wenn die Besuche sich nun auf einmal in der Woche beschränkten, war es eine Tortur. An manchen Tagen konnte Jaimie nach den Sitzungen, trotz unserer Anwesenheit, kein Auge zumachen. Rabianas erste Amtshandlung als Lehrkraft, nach dem sie unsere nächtlichen Aktivitäten durchschaut hatte, war es, uns eins auszuwischen, indem sie Lora eine neue Mitbewohnerin verschaffte. Die Ratsvorsitzende merkte zu spät, dass sie sich damit ins eigene Fleisch schnitt, als Regan vorschlug, Nicole könnte das Zimmer doch beziehen. Sicher, die Blondine war davon nur wenig begeistert, immerhin wollte sie nichts mit uns zu tun haben, aber es hätte schlimmer sein können. Nach anfänglichem Gezeter und Geschrei hatte Nicole sich beruhigt und lebte nun in friedlicher Koexistenz mit Lora zusammen, obwohl sie ihrem Einzelzimmer nachtrauerte. Natürlich ließen wir deinen Bruder nicht im Stich. Jona überredete die Schulleiterin, Jaimie zu sich ziehen zu lassen, da er sich nicht ewig mit seinem Bruder das Zimmer teilen wollte. Die Begründung war schwach. Zugegeben, wir hätten uns etwas Besseres ausdenken können. Jeder wusste, dass die Morgan-Brüder zusammenhielten wie Pech und Schwefel, aber Terrent fragte nicht weiter nach und bewilligte den Zimmertausch. Natürlich erst nachdem sie bei Regan, deren Nachnamen ich nicht herausfinden konnte, um Erlaubnis gebeten hatte. Zwar erregte der rege Austausch Aufsehen unter den Schülern, doch das kümmerte uns nur wenig. Selbst Jona nahm sich die Gerüchte, die kursierten, nicht zu Herzen, seit sein Vater ihm nicht mehr im Nacken saß. Es fiel ihm auch nicht schwer, die Blicke und die beleidigenden Sprüche zu ignorieren, da er genug damit zu tun hatte, Jaimie zu trösten, wenn in Deinem Bruder wieder eine Erinnerung an Dich aufwallte. Taranee vermisste Dich ebenfalls, aber derzeit war sie zu sehr damit beschäftigt, alles Wissenswerte über Regan herauszufinden, weshalb sie nur wenig Zeit zum Nachdenken hatte. Das jüngste Ratsmitglied war meinen Freunden und mir mehr als suspekt. Einerseits schien sie über Rabianas Machenschaften Bescheid zu wissen und die Vorsitzende zu sabotieren, aber andererseits tat sie aktiv nichts, um ihre Kollegin aufzuhalten. Mir fiel es auch schwer zu ergründen, ob die Frau mit den bunten Haaren unsere Verbündete oder unsere Feindin war, und das verkomplizierte den Umgang mit der neuen Lehrkraft. Aber sie war nicht die Einzige, die mir Sorgen bereitete. Caleb Morgan war immer noch nicht gefunden worden, obwohl die gesamte Hexenge-sellschaft nach ihm suchte. Langsam beschlich mich das Gefühl, dass Rabiana verhinderte, dass er gefunden wurde.

      Ich war auf dem Weg zu Regans Unterricht, als ich mir wieder vorstellte, wie es sein würde, wenn zwei Ratsmitglieder und das Oberhaupt der Morgan-Familie gegen mich und meine Freunde wären. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinunter. Das war wirklich kein schöner Gedanke.

      Das heutige Thema von Regans Schulstunde war: Korruption in der Hexengesellschaft. Passender hätte ich es gefunden, wenn Rabiana diesen Vortrag gehalten hätte. Trotzdem war ich froh, der bösen Hexe nicht begegnen zu müssen. In letzter Zeit war es mir geglückt, nie mehr als unbedingt notwendig im Unterricht der Ratsvorsitzenden zu verbringen. Ehrlich gesagt ging ich in den ersten fünf Minuten auf die Toilette und kam nicht wieder, bis es klingelte.

      Tara schlenderte neben mir die Gänge entlang und schleifte ihre Tasche hinter sich her. Sie hatte in letzter Zeit drastisch an Gewicht verloren, aber ihr Lebensmut war nach Deinem Tod wieder zurückgekehrt, auch wenn es gedauert hatte. Hoffentlich würde ihr Appetit auch von alleine wiederkommen. Ihre schwarze Kleidung kombinierte sie jeden Tag mit Deinem Lieblingsarmband, das sie nach Deinem Ableben aus Deinem Zimmer entwendet hatte. Es sah hübsch an ihrem knochigen Handgelenk aus und Tara schien das Gefühl zu brauchen, etwas von Dir immer bei sich zu tragen. Weshalb niemand sie darauf ansprach. Zu groß war die Angst, dass Tara sich wieder zurückzog. Mir war klar, dass ich sie wie ein rohes Ei behandelte, aber bis jetzt war es ihr noch nicht aufgefallen. Hoffentlich würde es auch noch eine Weile so bleiben.

      Um die nächste Ecke bogen Lora und Nathalia, die meine Gedanken in eine andere Richtung drängten. Während Nicole versuchte, so wenig Kontakt wie möglich mit uns zu haben, suchte Nathalia die Nähe meiner Freunde. In unserer Trauer hatte niemand mitbekommen, dass die Brünette immer dort war, wo wir waren. Sie aß bei uns am Tisch, setzte sich im Unterricht abwechselnd neben Lora und Tara und folgte der Tierliebhaberin, wenn wir einen Fernsehmarathon starteten. Schleichend war sie in unseren Freundeskreis gekommen und da niemand sich aktiv gegen eine Freundschaft mit ihr ausgesprochen hatte, wurde sie ein fester Bestandteil unserer Gruppe. Auch wenn sie das Loch, das Du hinterlassen hattest, nicht füllen konnte, machte ihre Anwesenheit den Schmerz über unseren Verlust für Lora erträglicher. Nathalia war ein herzensguter Mensch. Sie half der Tierliebhaberin mit ihren >Rettet die Katzen< – Projekten, weshalb die beiden unzertrennlich waren. Gleichzeitig unterstützte sie Jonathan dabei, Jaimie den Stoff, den er durch seine Zeit in Gefangenschaft verpasst hatte, zu erklären, damit Dein Bruder nicht in den Prüfungen, die demnächst stattfanden, versagte.

      »Was meinst du, Read?«, fragte Tara mich von der Seite und kassierte von mir einen verwirrten Blick. Ich hatte keine Ahnung, worüber die drei sprachen.

      »Zu Regans Unterricht«, half mir Nathalia freundlich auf die Sprünge und kicherte, weil es mir nicht zum ersten Mal passierte, dass ich alles in meiner Umgebung vergaß, um in Ruhe grübeln zu können. Mir den Kopf zu zerbrechen, war in den letzten Monaten ein Hobby von mir geworden.

      »Ich hatte noch nie eine Stunde bei ihr«, erwiderte ich schnell und widmete mich wieder meinen Gedanken, bis wir das Klassenzimmer erreichten. Ich wusste bereits, warum die drei das Thema so sehr interessierte. Die ganze Schule redete inzwischen über die Schulstunden des jüngsten Ratsmitglieds. Angeblich waren sie spektakulär, anders als alle anderen Unterrichtseinheiten und hatten nur wenig mit Lernen zu tun. Auch ich war schon gespannt gewesen, doch ich wollte es lieber auf mich zukommen lassen. Ich konnte mir sowieso nicht vorstellen, wie Unterricht ohne Lernen aussehen sollte.

      Es läutete zur nächsten Stunde und wir beschleunigten unsere Schritte, um vor der Lehrkraft ins Klassenzimmer zu kommen. Gesammelt setzten wir uns in die letzte Reihe. Hunter wartete bereits auf uns und klopfte auf den Platz neben sich, als er mich sah.

      »Guten


Скачать книгу