Valla - Zwischen Hölle und Fegefeuer. Lisa Lamp

Valla - Zwischen Hölle und Fegefeuer - Lisa Lamp


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Bank stieß. Sie schlug sich den Kopf am Untergrund auf und blieb ohnmächtig liegen. Geschockt schrie ich nach meiner Freundin und hoffte auf ein Lebenszeichen, doch noch bevor ich zu ihr eilen und ihren Puls messen konnte, war der Engel mit wenigen Schritten bei mir, riss an meiner Halskette und entwendete mir den Stein. In meiner Starre tat ich nichts, um ihn aufzuhalten. Ich war wie gelähmt, mein Kopf wie leer gefegt. Es dauerte einen Moment, bis mir klar wurde, was hier gerade passierte und als die Erkenntnis sich in mein Bewusstsein schlich, traf sie mich mit voller Wucht. Ein schriller Schrei löste sich aus meiner Kehle und ich lief dem Dieb nach. Unüberlegt, bedachte man, dass ich keine Waffe hatte und mir der ausgewachsene Engel körperlich überlegen war.

      Ich warf mich gegen seinen Rücken und hielt mich an seinen Flügeln fest. Ich versuchte, ihn auf den Boden zu drücken, um ihn am Wegfliegen zu hindern. Hier und da lösten sich Federn aus seinen Schwingen und er keuchte vor Schmerz. Der Überraschungsmoment war auf meiner Seite. Aber es nützte nicht viel. Es dauerte keine halbe Minute, bis der Engel sich gegen meinen Griff wehrte und mich wie einen lästigen Käfer abschüttelte. Ich wurde weggeschleudert und kam hart mit dem Hinterkopf auf. Ich hörte ihn lachen, während meine Sicht verschwamm und ich das Schlagen von Flügeln vernahm. Der Schmerz explodierte in meinem Kopf und alles wurde schwarz.

      ***

      Erst Stunden später war ich im Lazarett aufgewacht, wo meine Schädeldecke mit elf Stichen genäht worden war. Ich erfuhr, dass Elijah in der Zeit, in der der Engel mit mir beschäftigt gewesen war, den Stein an sich genommen hatte. Doch erzählt hatte er, dass ich vor Angst weggelaufen war und er allein kämpfen musste. Er wurde als Held gefeiert. Und ich? Ich war der Unglücksrabe, der seinem Dad nicht mehr unter die Augen treten konnte. Und auch sonst niemandem. Meine Schwester sprach nur noch mit mir, wenn es unvermeidbar war. Mom weinte, sobald sie mich sah, und meine früheren Freunde hatten sich über mich lustig gemacht. Bis ich einem von ihnen das Nasenbein gebrochen und zwei Zähne ausgeschlagen hatte. Danach waren sie dazu übergegangen, mich mit Ignoranz zu strafen.

      Ich seufzte und öffnete die Augen wieder, nur um Elijahs überhebliches Grinsen zu sehen.

      »Lass uns einfach gehen, Valla. Er ist es nicht wert. Keiner von denen«, mischte Silvania sich ein, holte mich aus meinen Gedanken und griff nach meinem Unterarm, um mich in Richtung des Ausgangs zu ziehen. Doch ich wehrte mich dagegen und stellte mich breitbeinig hin, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und stehenzubleiben. Sicher wäre es klüger zu gehen, aber ich war nicht bereit, es so enden zu lassen. Es sollte nicht sein, dass er sich alles leisten konnte, nur weil sein Dad mit dem Teufel verwandt war.

      »Und deshalb soll ich ihm alles durchgehen lassen?«, fragte ich Silvania.

      Sie ließ mich los, als ihr klar wurde, dass ich mich nicht wegbewegen würde. Mit einer schnellen Bewegung klemmte sie sich eine Strähne ihres blauen Haares hinters Ohr und seufzte frustriert.

      »Nein, natürlich nicht«, murmelte sie entwaffnet, doch ihre gelben Augen funkelten mich flehend an.

      Sie hasste Auseinandersetzungen mit Elijah, seit sein bester Freund Nikolai sie letztes Jahr auf einer Party gefickt hatte, ohne sie danach anzurufen. Gut, er kannte ihre Nummer nicht und ihren Namen wusste er wahrscheinlich auch nicht mehr – vielleicht hatte er ihn auch nie gekannt – trotzdem himmelte Silvania ihn noch an, als wäre er der Teufel höchstpersönlich. Dass gerade er nun neben Elijah stand und buhte, musste ihr schwer zusetzen.

      »Hör lieber auf deine kleine Freundin! Verzieh dich in das Loch, aus dem du gekrochen bist! Ich bin hier noch beschäftigt«, meinte er achselzuckend und hielt seiner neuesten Eroberung auffordernd die Hand hin.

      In einer perfekten Welt hätte sie seine Finger weggeschlagen, ihm ins Gesicht gespuckt und ihm irgendeine Beleidigung reingewürgt, bevor sie mit ihren hohen Stöckeln davongeeilt wäre. Aber die Welt war nicht perfekt. Elijah setzte sich auf den Stuhl zurück und die Dämonin kletterte brav wieder auf seinen Schoß, als hätte ich die beiden nie unterbrochen.

      »Das Loch, von dem du redest, ist vermutlich eine Bibliothek. Aber es wundert mich nicht, dass du das nicht weißt. Du hast noch nicht oft eine betreten«, erwiderte ich, jedoch fehlte meinen Worten der übliche Biss.

      Ich war so unendlich müde. Die ganze Nacht hatte ich mir um die Ohren geschlagen, um alle Beschwörungen auswendig zu lernen, die ich für die Prüfung brauchen könnte, und nun würde ich durchfallen, weil mir die Zeit fehlte, den genauen Wortlaut nochmal zu wiederholen. Mit etwas Glück schaffte ich es trotzdem, meinen Durchschnitt zu halten.

      »Kann ja nicht jeder eine beschissene Streberin sein, wie ...«

      Ich. Er sagte es nicht, aber die Worte schwebten im Raum und jeder konnte sich denken, was er sagen wollte. Einige versuchten, ihr Gelächter als ein Husten zu kaschieren, andere grinsten mich offen an, aber sie alle warteten auf meinen Konter. Für die anderen war es zu einem beliebten Spiel geworden. Valla gegen Elijah. Nachwuchsdämonin gegen Teufelsanwärter.

      »Besser eine Streberin als ein Arschloch ohne Zukunft. Ich bin gespannt, wo du vom Teufel hingeschickt wirst, Elijah. Vielleicht so ein cooler Ort wie Hardegg. Achtzig Einwohner. Kein eigenes Krankenhaus, kein Bildungssystem, keine Partys. Ist sicher spannend, tote Seelen aus dem Altersheim abzuholen, in einem Dorf, wo sonst nichts passiert«, meinte ich, lächelte zuckersüß und drehte mich mit einem Hüftschwung um, den Silvania mir für alle Fälle gezeigt hatte.

      Was sie mir damit hatte sagen wollen, wusste ich zwar bis heute nicht, weil ich mir nicht vorstellen konnte, ihn irgendwann für etwas Wichtiges zu brauchen, aber für einen arroganten Abgang war er perfekt. Außerdem hoffte ich, er würde überspielen, dass ich meine Worte selbst nicht glaubte.

      Ja, Elijah war ein hochmütiger Faulpelz, der sich auf seinen Lorbeeren ausruhte, aber er war in so ziemlich jeder praktischen Disziplin der Beste, ohne sich anzustrengen. Wenn er seine Nase, wie ich, in Bücher stecken würde, wäre er mir um Längen voraus. Wahrscheinlich würde er sogar die Leitung über eine der Großstädte bekommen. Vielleicht New York, Las Vegas oder ein anderes Eck der Welt, in der die Laster den Alltag beherrschten. Das war der größte Unterschied zwischen Dämonen und den Teufelsanwärtern. Letztere bekamen einen Ort zugeteilt, den sie verwalten mussten. Sie waren die Bosse, während wir Dämonen von ihnen geleitet wurden und unseren Aufgaben nachzukommen hatten. Einige, wie Silvania, hatten dabei großes Glück. Sie durfte verheiratete Männer auf Abwege führen. Es musste ein riesiger Spaß sein, zuzusehen, wie die Ehen in die Brüche gingen und die Frauen aus verletztem Stolz wegen der Betrügereien ihren Gatten die Kehlen aufschlitzten.

      »Lass uns gehen! Ich habe keinen Bock mehr auf die Scheiße«, sagte ich zu meiner Freundin und steuerte schnurstracks den Ausgang an.

      Fast erwartete ich, dass Elijah noch etwas erwidern würde, um das letzte Wort zu haben, doch ich hörte nur das Klatschen von aufeinandertreffender Haut und die wiederkehrenden Stöhngeräusche.

      »Ich fasse es nicht. Was denkt dieser Arsch sich dabei?«, fluchte Silvania und erinnerte mich wieder daran, weshalb wir befreundet waren.

      Sicher, anfangs hatten wir nur miteinander Zeit verbracht, weil wir die gleiche Faszination für die sieben Todsünden empfanden, doch wir hatten irgendwann gelernt, zusammenzuhalten. Wir waren ein eingespieltes Team und das mochte ich an uns. Ich hasste Elijah und sie war loyal genug, ihn zu verachten. Aber auch so konnte ich immer auf sie zählen. Während alle anderen sich von mir abgewandt hatten, als mir der Ruf eines Feiglings zugeschrieben wurde, war sie an meiner Seite geblieben. Deshalb konnte ich ihr nicht böse sein, weil sie eine bessere Aufgabe für die Zukunft bekommen hatte als ich.

      »Gar nichts. Es würde mich wundern, wenn Elijah überhaupt denken könnte. Geht ohne Gehirn ja schlecht«, schnaubte ich und blieb stocksteif stehen. Mir fiel wieder ein, dass ich meine Notizen auf dem Tisch im Klassenzimmer vergessen hatte.

      »Zum Teufel nochmal!«, schrie ich, drehte mich um und wollte wütend kehrtmachen, doch Silvania hielt mich zurück, drückte mir einen Stapel Zettel in die Hand und sah mich mit einem schiefen Grinsen an.

      »Hast du etwas vergessen?«, fragte sie kichernd, zwinkerte mir zu und wickelte spielend eine ihrer Haarsträhnen um ihren Finger.


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