Valla - Zwischen Hölle und Fegefeuer. Lisa Lamp

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gehen. Schon peinlich, dass einige ihre eigenen Grenzen nicht einschätzen können.«

      Seine Miene war grimmig und seine Stimme klang angespannt, als müsste er sich zurückhalten, dem Typen nicht nachzulaufen, um ihm eine zu verpassen. Ein harter Zug lag auf seinen Lippen und ich konnte sehen, wie sich sein Kiefer anspannte. Einen Moment schaltete sich mein Gehirn wieder ein und teilte mir mit, dass es keine gute Idee war, die Party zu verlassen, um mit Elijah allein zu sein. Nicht, weil ich glaubte, dass er mich in seinem Zorn auf den Betrunkenen verletzten würde, sondern weil mein Unterleib sich bei dem Gedanken daran freudig zusammenzog. Nichtsdestotrotz ließ ich mich von ihm durch den Saal dirigieren und ignorierte die Stimme in meinem Kopf, die wie mein Dad klang und mir erklärte, dass Spaß der größte Feind von Pflichtbewusstsein war.

      »Alles gut? Du siehst nervös aus«, meinte Elijah, nachdem er mich in einen leeren Raum geschleppt hatte, der große Ähnlichkeit mit einem Weinkeller aufwies. Unzählige Flaschen stecken in runden Öffnungen an der Wand und warteten darauf, getrunken zu werden. Vermutlich würden die Feiernden die Hälfte heute vernichten.

      »Gibt es einen Anlass dafür?«, wollte ich wissen und war mir bewusst, wie naiv meine Frage klang.

      Natürlich gab es einen Grund dafür, dass mein Herz gegen meine Brust hämmerte und meine Unterlippe zitterte. Seit Wochen war mir Elijah immer wieder über den Weg gelaufen. Wir hatten geredet, zusammen gegessen und das eine oder andere Mal gemeinsam gelernt. Das Ergebnis davon war, dass ich ihn nicht so abstoßend fand wie den Rest der Teufelsanwärter und Dämonen, die um meine Aufmerksamkeit buhlten. Vielleicht, weil er genau das nicht tat. Er versuchte nicht, sich unter scheinheiligen Vorwänden aufzudrängen. Elijah sagte direkt, was er dachte und was er wollte. Bei ihm musste ich keine Angst haben, etwas falsch zu machen, weil er es mir sofort mitteilte, wenn ihm etwas nicht passte. Anders als andere, die hinter meinem Rücken über mich lästerten. Die Zeit mit ihm war einfach schön. Aber noch nie war es so wie heute. Zwischen uns herrschte eine Spannung, die greifbar war, ich aber nicht zuordnen konnte.

      »Ich bin nervös«, gestand er und seine Miene erhellte sich. Das zornige Glitzern verschwand aus seinen Augen und er fuhr sich mit der Hand durch die Stirnfransen, sodass sie ihm ins Gesicht fielen.

      »Warum?« Mein Mund war staubtrocken. Hier war es noch wärmer. Dabei war es auf der Tanzfläche schon beinahe unerträglich gewesen. Trotzdem hatte ich nicht das Bedürfnis, gleich wieder zu gehen.

      »Ich stehe mit der schönsten Frau, die ich je gesehen habe, allein in einer Kammer. Sie scheint nichts dagegen zu haben, wenn ich sie anfasse. Ich will sie um den Verstand küssen. Das ist alles, woran ich denken kann. Wie sollte ich da nicht nervös sein?«

      Elijahs Stimme klang rau, als hätte er Rasierklingen verschluckt, und er löste seine Finger von meinen, um seine Hand in den Nacken zu legen. Er umschloss sanft mein Genick und streichelte mir über die Wange, die vom Alkohol und der Hitze knallrot sein musste. Doch diesen Umstand ignorierte ich. Er fand mich schön. Egal, ob mit rötlichen Wangen oder nicht.

      »Wieso tust du es dann nicht?«, fragte ich atemlos und presste meine Unterschenkel näher aneinander, um das Pochen zu stoppen, das in meiner Mitte immer schlimmer wurde.

      »Ich will sichergehen, dass sie es auch so sehr möchte wie ich. Aber lange kann ich nicht mehr warten. Der Drang, ihr nahe zu sein, wird immer stärker.«

      Elijah übte leichten Druck auf mein Genick aus, sodass er mich näher zu sich ziehen konnte. Die Stirn legte er an meine und seine freie Hand wanderte an meinem Rücken hinab. Ich spürte seinen Atem an meinen Lippen und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an, während er seine schloss und tief die Luft einsog, als würde er meinen Geruch aufnehmen. Noch nie war ich so froh, auf Sil gehört und vor der Fete geduscht zu haben.

      Elijah neigte den Kopf, bis seine Nase neben meiner ankam und unsere Gesichter noch näher beieinander waren. Aus dieser Entfernung konnte ich jedes Detail seines Gesichts sehen. Die kleine Narbe über der Augenbraue, das Muttermal auf der Schläfe, das nicht mehr war als ein stecknadelgroßer Punkt. Nichts blieb mir verborgen. Aber am meisten faszinierte mich der zufriedene Gesichtsausdruck, den er zur Schau stellte. Grübchen zierten die Mundwinkel und seine Lippen waren leicht geöffnet. Ein wenig sah er aus, als würde er schlafen, auch wenn ich wusste, dass er wach war.

      »Und ich bin schwach. Ich weiß nicht, wie lange ich noch widerstehen kann«, murmelte er und senkte sein Kinn, sodass sein Mund über meinem schwebte.

      Uns trennten nur noch wenige Millimeter. Ich brauchte nur eine winzige Bewegung zu machen und wir würden uns küssen. Doch wollte ich das auch? Jetzt waren wir Freunde. Oder zumindest freundschaftliche Bekannte. Aber wie würde es morgen sein? Noch konnten wir tun, als wäre nie etwas zwischen uns gewesen, solange wir nicht weitergingen. Doch wenn er mir meinen ersten Kuss stahl, war ich mir sicher, dass ich nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen konnte. Jedes Mal, wenn ich ihn ansehen würde, würde ich an diesen Moment denken. Wie seine Lippen sich auf meinen angefühlt hatten, meine Hände seinen Körper erkundet und welche Gefühle er in mir ausgelöst hatte. Aber war das so schlimm?

      Hin und hergerissen seufzte ich und versuchte, das Klopfen meines Herzens, das mir befahl, ich solle ihn küssen, zu ignorieren, um klar denken zu können. Ich musste eine Entscheidung treffen. Am besten sofort. Er wartete bereits viel zu lange auf eine Antwort. Die Stille lag wie ein Damoklesschwert über uns. Sie war grausam, beinahe erdrückend. War es immer so? Wenn ja, verstand ich endlich die Menschen, die sich tagelang weinend einschlossen oder ihrem sinnlosen Leben ein Ende bereiteten, weil sie keinen anderen Ausweg mehr sahen, um über eine missglückte Liebesbeziehung hinwegzukommen. Doch die Frage erübrigte sich von selbst. Elijahs Augen öffneten sich, als von mir keine Reaktion kam, und seine Lachfältchen glätteten sich. Das Glühen in seiner Iris verschwand und ein grauer Schleier legte sich über sie, sodass das rote Flimmern den Glanz verlor.

      Er löste sich von mir und wollte sich zurückziehen, doch ich legte meine Hand auf die Mulde, in welcher der Rücken in seinen Hintern überging, und atmete einmal tief durch. Es war nicht schwer. Eigentlich war es ganz einfach. Ich war diejenige, die es unnötig verkomplizierte. Ich mochte ihn. Ich wollte ihn. Was sollte passieren? Wen kümmerte es, was morgen geschah?

      »Dann widerstehe dem Drang nicht«, säuselte ich.

      Kaum hatte ich meinen Satz beendet, überbrückte Elijah das letzte Stück und seine Lippen prallten auf meine, als würden sie magnetisch voneinander angezogen werden.

      Der Kuss war nicht zärtlich. Er war von Anfang an wild. Hungrig. Als würden alle Emotionen, die wir zurückgehalten hatten, herausbrechen und uns verzehren. Ich keuchte, stöhnte, als seine Hände meinen Körper erkundeten. Überall fühlte ich seine Fingerspitzen, die unendlich sachte meine Haut berührten. Am Rücken, auf meinem Hintern und an den Armen. Gierig küsste er mich, sodass es beinahe schmerzhaft war. Ich spürte seine Zähne, die meine Lippen streiften, und hörte ihn animalisch knurren. Es war wie ein Grollen, das tief aus seiner Kehle aufstieg. Jedoch ängstigte mich das Geräusch nicht. Es stachelte auch mich an, alle Hemmungen fallenzulassen.

      Fahrig fuhr ich mit den Händen über seine Muskeln, während seine Zunge fragend über meine Unterlippe strich, bis ich ihm Einlass gewährte. Sofort nahm sein Geschmack mich in Beschlag. Die Mischung aus kühlem Bier, Schokolade und einer Komponente, die ich nicht benennen konnte, machte süchtig. Jedes Härchen auf meinem Körper stellte sich auf. Ich war wie elektrisiert. Ich wollte mehr. Alles. Aber auf keinen Fall wollte ich, dass er mich je wieder losließ.

      ***

      Ironisch, oder nicht? Es war der perfekte Augenblick gewesen. Ich hatte mich nie so wohl gefühlt wie in diesem Moment. Noch nie hatte ich davor meinen Verstand abgeschaltet und meine Existenz einfach genossen. Ich hatte die Frage, was morgen sein würde, mit einem Schulterzucken abgetan und mich von meinen Gefühlen leiten lassen. Und was hatte es mir gebracht? Ich war nie wieder auf eine Party gegangen. Mich hatte auch niemand mehr eingeladen, während Elijah es sich zur Aufgabe gemacht hatte, an jeder Zusammenkunft teilzunehmen und jedes Mal ein anderes Mädchen abzuschleppen. Ich war die Erste gewesen, aber im Grunde eine von vielen. Und danach hatten wir nicht mehr miteinander gelernt, gegessen oder uns auch nur unterhalten. Alles


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