Valla - Zwischen Hölle und Fegefeuer. Lisa Lamp

Valla - Zwischen Hölle und Fegefeuer - Lisa Lamp


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Sil wüsste ich nicht, was ich machen sollte. Ich konnte schlecht durch die Gänge laufen und mit mir selbst reden. Wobei mich die anderen nicht noch mehr meiden könnten, selbst wenn ich den Verstand verlor.

      »Ich weiß«, erwiderte sie selbstüberzeugt und wurde von einem erneuten Lachanfall geschüttelt, der mich meine Mundwinkel leicht anheben ließ. »Du warst so wütend. Ich dachte, du würdest ihm eine scheuern und abhauen. Also habe ich in weiser Voraussicht alles, was wichtig aussah, zusammengepackt. Wäre ziemlich beschämend, nach diesem tollen Abgang nochmal zurückgehen zu müssen.«

      »So toll war der nicht. Die Auseinandersetzung habe ich verloren. Ich habe nichts bewirkt, sondern ihn nur kurz unterbrochen. Er wird morgen wieder das Gleiche abziehen.«

      Ich ärgerte mich darüber, wie viel Wahrheit in meinen Worten steckte. Schlussendlich hätte ich meine Argumente auch einer Wand erzählen können. Die hätte mich vermutlich mehr beachtet als Elijah. Zu seiner Verteidigung war zu sagen, dass es sich auch schlecht ohne Blut im Kopf diskutieren ließ.

      »Wieso stört dich das so?«, fragte Silvania, als wir um die erste Ecke bogen.

      Somit hatten wir genug Abstand zwischen uns und diesen Idioten gebracht, sodass uns niemand belauschen konnte. In diesem Teil des Schulgebäudes waren die Wände strahlend weiß, jedoch wurden sie dunkler, je näher wir dem nächsten Unterrichtsraum kamen. Zuerst verfärbten sie sich gräulich, bis die Mauern in einem satten Schwarz erstrahlten. Nirgendwo waren Fenster, allein die Fackeln an den Wandhalterungen, die auf magische Weise immer zu brennen schienen, boten genug Licht, um alles zu erkennen.

      »Bitte?«, fragte ich nach, weil ich ihr nur mit einem Ohr zugehört hatte.

      Ich sortierte die Blätter mit den Beschwörungsformeln und verschaffte mir einen Überblick, ob noch alle Seiten vorhanden waren. Das war natürlich nicht der Fall. Die Beschwörung eines Dschinns fehlte, genauso wie die eines Ghuls und eines Mantikors. Während ich bei den ersten beiden die Formeln noch im Kopf hatte, wusste ich bei einem Mantikor nur noch, dass man ihm ein Opfer bringen musste, das er verspeisen konnte: ein Schaf oder ein neugeborenes Baby. Die Opfergabe musste der Länge nach mit einem Dolch aus Kupfer aufgeschnitten und das Herz entnommen werden. Anschließend hatte der Beschwörer in das Organ zu beißen und drei Sätze in einer Sprache aufzusagen, die älter war als alle anderen dieser Welt. Doch diese Worte wollten mir nicht einfallen. So ein Mist! Wenn gerade das zur Prüfung kam, war ich erledigt. Nicht auszumalen, was mein Dad sagen würde, wenn ich durchfallen würde. Ich hatte ihm genug Schande gebracht. Noch einen Fehltritt würde er nicht durchgehen lassen. Das hatte er mir deutlich gemacht.

      »Na, warum ärgert es dich, wenn Elijah Dämoninnen abschleppt?«, hakte sie ungeduldig nach und blieb abrupt stehen.

      Einen Moment fiel es mir nicht auf, sodass ich einfach ohne sie weiterlief, doch das Fehlen der Schritte neben mir ließ mich von meinen Lernbögen aufsehen und innehalten.

      »Das ist mir egal. Ich möchte es nur nicht mitbekommen«, erwiderte ich schnell und betete, dass die Diskussion damit beendet war. Doch das Glück war heute nicht auf meiner Seite.

      Silvania neigte den Kopf und musterte mich, so lange, bis es mir unangenehm wurde. Ihr Blick war stechend, als würde sie etwas suchen, aber nicht finden. Ihre Züge verzogen sich unzufrieden und sie hob eine Augenbraue, wodurch sich ihre Stirn in Falten legte.

      »Wieso nicht?«, wollte sie wissen und ihr Ton hatte eine seltsame Färbung angenommen. Misstrauen. Sie kaufte mir nicht ab, was ich sagte.

      »Es stört mich beim Lernen.«

      »Ah ja«, schnaubte sie und ließ keinen Zweifel daran, dass sie mir kein Wort glaubte. Doch es war die Wahrheit. Was wollte sie denn noch?

      »Was?«, murrte ich. »Möchtest du irgendwas sagen?«

      Die Art, wie sie mich ansah, gefiel mir nicht. Es erinnerte mich daran, dass sie glaubte, mich besser zu kennen als ich mich selbst, und dass sie sich anscheinend wieder in die Idee von mir und dem Großkotz gemeinsam, für immer vereint, verrannt hatte. Über Elijah zu sprechen war gefährlich, auch wenn Silvania das nicht wusste. Ich konnte nur hoffen, dass ich sie noch umstimmen oder ablenken konnte, egal, was sich ihr wirres Gehirn wieder ausgedacht hatte.

      »Nein, ich finde es nur auffällig. Bei niemand anderem stört es dich, wenn sie Gefühle in der Öffentlichkeit zelebrieren. Nur bei ihm.«

      Angespannt runzelte ich die Stirn und leckte mir über die Unterlippe. Ich wusste, was sie dachte, obwohl sie es nicht aussprach. Ich musste vorsichtig sein. Wenn ich es vehement abstritt, könnte sie das als Geständnis werten, und wenn ich nichts sagte, wäre es ebenfalls verdächtig. Um Zeit zu schinden, packte ich meine Unterlagen in meine schwarze Umhängetasche und kramte nach meiner Wasserflasche.

      »Erstens, Sil, fühlen wir nicht. Zumindest nicht Liebe oder ähnlichen Schwachsinn. Nur Begierde, Verlangen oder welche Hormone auch immer uns Lust verschaffen. Und zweitens ist Elijah der Einzige, der über das Knutschen hinausgeht, wenn er außerhalb seiner eigenen vier Wände ist«, antwortete ich sachlich, schraubte den Verschluss der Flasche ab und setzte diese an meinen Mund. Ich spürte, wie das kühle Nass meine Lippen benetzte und meine Speiseröhre hinabfloss.

      »Also liegt es nicht an dem Kuss zwischen ihm und dir?«, hakte Silvania nach, als ich noch einen Schluck trinken wollte. Doch noch bevor ich es schlucken konnte, spuckte ich die Flüssigkeit fontänenartig aus. Kein Tropfen landete wieder in der Flasche, die ich reflexartig von meinem Körper riss. Dafür ergoss sich das Wasser auf dem schwarz-grau marmorierten Boden.

      »Kuss? Welcher Kuss?«, wollte ich panisch wissen und versuchte, mir das Ereignis wieder in Erinnerung zu rufen. Doch keiner hatte uns gesehen. Niemand konnte es ihr erzählt haben. Aber woher wusste sie es dann? Oder war das ein Test? Hatte sie nur spekuliert und ich war darauf reingefallen?

      »Oh, bitte, leugne es gar nicht erst. Nik und ich haben euch damals gesehen, als wir ...« Sie stoppte, wie so oft, wenn es um Nikolai Pyron ging. Ich hatte noch nie Sex gehabt, geschweige denn einen One-Night-Stand, aber ich kannte das Konzept. Rein, raus, rein, raus. Dass dieser Vorgang so besonders sein sollte, konnte ich mir nicht vorstellen. Und schon gar nicht konnte ich glauben, dass eine intelligente Dämonin wegen einer Nacht einem Typen über zwei Jahre hinweg nachtrauerte. Doch sie tat es und kam einfach nicht von ihm los. Dabei hatte ich alles versucht, um sie auf andere Gedanken zu bringen: Blind Dates, Partynächte, Doppeldates, die vor allem für mich ein Horror gewesen waren, und ich hatte ihr sogar eine Einladung für die Schülerorgien zum Jahresabschluss besorgt. Nichts hatte funktioniert. Immer noch ging es Nikolai hier, Nikolai da. Es war frustrierend.

      »... als wir auf dem Weg ins Bett waren. Du weißt schon, an Samhain«, beendete sie ihren Satz und mir wurde schlagartig eiskalt.

      Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und meine Zunge fühlte sich taub an, als würde jemand dafür sorgen, dass ich nicht sprechen konnte. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper. Ich zitterte. Das war Folter. Es war, als würde eine unsichtbare Hand nach meinem Herzen greifen und es zerquetschen. Wie konnten wir so unvorsichtig sein? Wenn sie uns gesehen hatten, wer wusste schon, wer sonst noch? Es könnte jeder mitbekommen haben. Aber es war so lange her, richtig? Wenn es mehr Beobachter gegeben hätte, dann hätten sie uns schon damit konfrontiert. Alles war gut. Ich durfte nur nicht die Nerven verlieren. Schön, Sil hatte es mitbekommen, aber es war kaum etwas passiert. Diese Geschichte würde meinem Ansehen nicht weiter schaden. Er würde mir nicht weiter schaden.

      »Nein«, antwortete ich, als ich meine Stimme wiederfand. Allerdings verbesserte ich mich, da mir klar wurde, dass es keinen Zweck hatte, es abzustreiten. »Ich meine, ja.«

      Ich bemühte mich, meine Gedanken zu ordnen und das Chaos zu bekämpfen, das in meinem Innersten wütete. Es gelang mir nicht. Hunderttausend Szenarien gingen mir durch den Kopf. Von Silvania, die mich anklagend ansah und wissen wollte, weshalb ich es ihr nicht gesagt hatte. Von Nik, der mit seinen Freunden über die dumme Dämonin lachte, die dachte, dass ein betrunkener Kuss auf einer Party eine tolle Idee war. Von Elijah, der erzählte, dass ich nicht küssen konnte. Von meinem Dad, der mich enttäuscht fragte, warum ich nichts richtig machen konnte. Da hatte ich einen


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