Valla - Zwischen Hölle und Fegefeuer. Lisa Lamp

Valla - Zwischen Hölle und Fegefeuer - Lisa Lamp


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ließ. Ihr Griff war so fest, dass ich Angst hatte zu ersticken, doch die Geste löste in mir ein Gefühl der Wärme aus, obwohl mir gar nicht klar war, dass sich in mir die Kälte eingenistet hatte.

      Es dauerte nur wenige Atemzüge, bis sie mich wieder losließ und in Richtung Cafeteria rannte, doch die Sekunden zogen sich ins Unendliche. Langsam folgte ich ihr durch die gespenstige Leere. Niemals war es hier so still gewesen. Das Gebäude war wie ausgestorben. Meine Schritte hallten von den Wänden wider und als die Fackeln an den Mauern, die für Licht sorgten, nach der Reihe erloschen, beschlich mich das Gefühl, dass es doch besser gewesen wäre, nach draußen zu gehen.

      »Silvania!«, rief ich, bekam aber keine Antwort. Ich setzte einen Fuß vor den anderen und tapste durch die Dunkelheit, während ich meine Hand zur Orientierung ausstreckte und mit den Fingern an der Wand entlangfuhr. Die Mauer fühlte sich rau unter meiner Haut an und stellenweise löste sich durch meine Berührung der Putz. Sie blätterte ab und bröselte zu Boden.

      »Sil! Wo bist du?«

      Wieder keine Antwort, doch vor mir wurde es heller, als hätte jemand vergessen, ein paar Fackeln auszumachen. Schnell lief ich auf die Lichtquelle zu, jedoch war Silvania auch hier nicht zu sehen. Ich war wieder im Gebäudetrakt angekommen, an dem die Wände weiß waren, und trotz der dämmrigen Beleuchtung war mir klar, dass etwas anders war als sonst. Irgendetwas stimmte hier nicht. Meine Fingerspitzen fühlten sich feucht an. Schmierig. Irritiert zog ich die Hand ein und besah sie genauer. Meine Fingerkuppen waren rot verfärbt. Die Flüssigkeit war warm. Auch an den Mauern klebten rote Spritzer. Blut. Mit angehaltenem Atem sah ich auf die Kleckse, die unregelmäßig verteilt waren und dennoch wie ein Kunstwerk aussahen. Was war hier passiert? Ein ungutes Gefühl beschlich mich. Wir sollten von hier verschwinden. Sofort!

      »Sil!«, versuchte ich es noch einmal und konnte die Panik in meiner Stimme nicht unterdrücken. Wo war sie? Wieso antwortete sie nicht. War das Blut von ihr?

      »Valla! Hilfe! Valla!«, hörte ich Silvania kreischen und rannte, ohne nachzudenken, dem Klang ihrer Stimme hinterher, die mich wieder in die Dunkelheit führte.

      Ich spürte, wie mein Herz raste. Adrenalin pumpte durch meine Adern und ich schwitzte, obwohl mir eiskalt war. Hastig sog ich Sauerstoff in meine Lungen und ließ die Luft wieder entweichen. Dennoch hatte ich das Gefühl, zu ersticken. Meine Kehle war wie zugeschnürt. In meiner Seite stach es, doch ich beschleunigte meine Schritte und flehte stumm zum Teufel, dass es Sil gut ging. Ich lief weiter und weiter, ohne stehenzubleiben, obwohl meine Beine nach kurzer Zeit schmerzhaft brannten und ich komplett orientierungslos war. Ich war mir nicht sicher, ob ich diesen Teil des Gebäudes kannte, aber selbst wenn, war er kaum wiederzuerkennen. Es war einfach zu dunkel und die sporadischen Feuer an der Wand trugen nur dazu bei, dass sich meine Augen nicht an die Schwärze gewöhnen konnten.

      Nachdem ich Silvania endlich erreichte, atmete ich, als würde ich eine Sauerstoffflasche benötigen. Mehr Cardio-Training zu machen, wäre nicht schlecht gewesen. Das sollte ich dringend ändern. Schmerzhaft keuchend stemmte ich die Hände in die Hüften und bemühte mich, meinen Herzschlag zu beruhigen. Sil schien es gut zu gehen. Sie stand mit dem Rücken zu mir und starrte auf den Boden. Über ihr brannte eine Fackel, sodass ich eine perfekte Sicht auf ihre Kehrseite hatte. Stocksteif stand sie da und ... Schluchzte sie etwa?

      »Sil?«

      Keine Reaktion.

      »Silvania?«

      Ein Wimmern.

      »Ist alles in Ordnung?«

      Kräftig schüttelte sie den Kopf und bedeckte mit den Fingern ihr Gesicht, während ich nähertrat und meine Hand auf ihren Oberarm legte. Doch ich hatte nicht das Gefühl, dass sie meine Berührung wahrnahm. Ihr Blick blieb starr gesenkt.

      »Beim unheiligen Teufel, wer tut so etwas Schreckliches?«, fragte sie und schniefte, sodass ich ihren Schmerz beinahe fühlen konnte. Es tat mir weh, sie so leiden zu sehen und nicht zu wissen, was ich tun konnte, um das zu ändern.

      »Sil? Was ist los?«, flüsterte ich, um sie nicht zu verschrecken. Ich erreichte jedoch nur, dass sie die Arme sinken ließ und sich zu mir drehte. Tränen liefen über ihre Wangen und legten einen feuchten Glanz über ihr bleiches Gesicht. Wortlos zeigte sie nach vorne und forderte mich mit einem Nicken auf, hinzusehen. Ich kniff die Augen zusammen, um den Fleck, auf den ihr Finger deutete, besser betrachten zu können. Der Boden schien sich vor uns zu wölben und Wasser breitete sich über dem Flur aus. Kälte ging von den Buckeln aus und schien von der Umgebung aufgenommen zu werden, sodass ich fröstelte. In der Hölle war es warm. Immer. Deshalb war ich kühle Temperaturen nicht gewohnt. Eigentlich war dies niemand, der noch die Akademie besuchte. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper und ich rieb mir die Unterarme. Ich trat einen Schritt nach vorne, um besser sehen zu können. Und stolperte prompt rückwärts.

      »Verdammte Scheiße!«, schrie ich und riss die Augen auf.

      Da lag jemand. Es war nicht der Untergrund, der uneben war, sondern eine Gestalt, die in sich zusammengesunken auf dem Boden schlief. Wobei ich mir nicht sicher war, ob er wirklich nur bei Morpheus im Land der Träume war. Sein Brustkorb hob und senkte sich nicht. Seine Haut war seltsam bläulich und seine Lippen hatte jede Farbe verloren. Seine blonden Haare waren nass und tropften den Boden voll, genau wie seine Kleidung. Jedoch klebte sie nicht feucht an seinem Körper, sondern wirkte steif, beinahe tiefgefroren. Kleine Kristalle überzogen den Stoff, die sich langsam auflösten. Je mehr ich erkannte, desto sicherer wurde ich mir, dass sich der Junge nicht freiwillig hier positioniert hatte. Sein Kopf lag auf der Seite und er blickte in unsere Richtung, ohne wirklich etwas zu sehen. Seine Iris war weiß und in den Augen fehlte jedes Leben. Sie waren ausdruckslos. Tot.

      Instinktiv packte ich Silvanias Hand. Ich hatte genug. Egal, wo Nikolai war, er konnte dortbleiben. Aber Sil und ich mussten hier raus!

      »Lass uns von hier verschwinden!«, befahl ich und zog meine beste Freundin am Arm, um sie zum Gehen zu animieren. Doch sie bewegte sich nicht.

      Ihr Finger war immer noch auf den Toten gerichtet und sie weinte stumm um das Leben, das beendet worden war. Als Dämonin hatte ich schon in jungen Jahren Leichenteile von Menschen gesehen. Eine ausgehöhlte Zunge war sogar der Aufsatz für mein Fläschchen gewesen. Doch es war etwas anderes, einen von uns so zu erblicken und zu wissen, dass er nie wieder sprechen würde. Er würde sich nie wieder bewegen. Ich kannte den Jungen nicht, aber irgendwo in der Unterwelt würde ein Bruder, eine Mom oder ein Dad um einen Dämon trauern, der dem Teufel gestohlen wurde. Kein Wunder, dass Sil weinte. Auch ich fühlte eine Beklommenheit in meiner Brust, die mit jeder Sekunde stärker wurde.

      Ein Geräusch hinter mir ließ mich herumfahren. Es klang wie ein Rascheln, wie das Aneinanderreiben von Stoffen. Und dazu kamen schnelle Schritte. Jemand lief auf uns zu. Zwei. Nein, drei. Oder waren es mehr? Gehetzt sah ich mich um und suchte nach einer Gelegenheit, uns zu verstecken. Doch hier war nichts. Wir standen in einem langen Gang, in dem ich mich nicht auskannte. Hier ein Pentagramm zu suchen, würde uns kostbare Minuten kosten. Zeit, die wir nicht hatten.

      Ein Schnaufen, nicht weit von uns entfernt, erklang. Ich konnte niemanden sehen. Der Gang sah leer aus, doch ich wusste, dass das nicht der Wahrheit entsprach.

      »Sil! Wir müssen hier weg«, flehte ich und zerrte stärker an meiner Freundin, sodass ich sie hinter mir herzog. Trotz ihres dünnen Körpers und meiner Panik, die mir neue Kraft gab, reichte es nicht, um zu laufen. Wir waren zu langsam.

      Die Schritte kamen näher. Ich hörte das bedrohliche Schnauben unserer Verfolger und versuchte, die aufkommenden Bilder von Messern, die mir die Kehle durchschnitten und Kugeln, die mich durchbohrten, auszublenden. Sie klangen erschöpft. Wie lange preschten sie schon durch das Gebäude?

      »Silvania! Bitte«, bettelte ich weiter und hoffte, sie würde aus ihrer Starre erwachen und den Ernst der Lage begreifen. Egal, wer uns verfolgte, sie waren nicht begeistert, dass wir sie gestört hatten.

      »Schnappt sie euch!«, schrie eine tiefe Stimme.

      Sie war nah. Zu nah für meinen Geschmack. Und hart. Sie ließ keine Emotionen erahnen, als wäre der Sprecher ein Roboter, oder er würde jeden


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