Wenn die Nacht stirbt und die Zeit still steht. Lisa Lamp

Wenn die Nacht stirbt und die Zeit still steht - Lisa Lamp


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meinen Gefühlen zu ersticken. Im Türrahmen stockte er und drehte sich noch mal um. Kurz flackerte Hoffnung in mir auf, dass er mit mir reden, sich entschuldigen oder die Situation erklären würde. Es hätte schon gereicht, wenn er sich nach meinem Befinden erkundet hätte. Aber nichts. »Aletheia, du sollst ihnen alles zeigen«, sagte er, bevor er den Raum verließ und mich mit tausend Fragen zurückließ.

      »Wieso ausgerechnet ich?«, fragte Aletheia theatralisch und machte keinen Hehl daraus, dass sie uns hasste, doch Hunter hörte sie nicht mehr oder überhörte sie mit Absicht. Scheiße, ignoriert zu werden, oder? Am liebsten hätte ich mich über sie lustig gemacht, um mich über die Tatsache hinwegzutrösten, dass er mit ihr geredet hatte und mit mir nicht, aber es war nicht die beste Idee, sich mit der einzigen Person anzulegen, die uns aus diesem Raum bringen konnte. »Na los, bewegt endlich eure Ärsche aus den Betten. Je schneller wir anfangen, umso schneller sind wir fertig und ich muss nicht mehr den Babysitter für euch spielen.« Zögerlich stieg ich aus dem Bett und sah, dass auch meine Freunde sich bewegten. Meine Füße schwankten leicht, als sie den Boden berührten, und ich musste mich noch mal auf die Bettkante setzen, damit die schwarzen Flecken vor meinen Augen verschwanden. Beim zweiten Anlauf gelang es mir, mein Gewicht in die Höhe zu stemmen, obwohl ich kaum noch Muskeln in den Beinen hatte. Außerdem wusste ich nicht, ob ich froh sein sollte, dass ich saubere Kleidung trug oder nicht. Einerseits war es ein schönes Gefühl, endlich nicht mehr dreckig zu sein. Andererseits wollte ich lieber nicht wissen, wer mich gebadet und angezogen hatte.

      »Danke, dass du Read den Rücken freihältst, aber irgendetwas sagt mir, dass du lieber auf deinen aufpassen solltest, wenn du schläfst«, murmelte Tara Nicole zu, bevor sie neben unsere Führerin trat und sie auffordernd ansah. Wieder verdrehte Aletheia die Augen und langsam fragte ich mich, ob sie auch etwas anderes konnte, als genervt zu sein. Unwillig setzte sie sich in Bewegung und führte uns durch Gänge, an denen alle zehn Meter eine Glühbirne brannte. Trotzdem sah ich kaum meine eigene Hand vor Augen und musste aufpassen, nicht über meine Füße zu stolpern. Das Gehen fiel mir schwer. Ich hatte keine Kondition mehr und jeder Schritt verlangte mir alles ab. Meine Knie, die genauso wackelig wie Pudding waren, erschwerten mir jede Bewegung. Das schummrige Licht und Aletheias Stimme, die unablässig sprach, verbesserten meine Konzentration nicht. Dabei erzählte sie nichts, was mich interessierte. Also ignorierte ich sie wieder und wandte mich lieber Nicole zu, die neben mir ging.

      »Was läuft hier?«, wollte ich von ihr wissen und sie seufzte schwer, bevor sie mir antwortete: »Wir hatten Angst, dass die uns noch auf dem Schlachtfeld umbringen würden. Wir waren geschwächt und hätten noch einen Kampf nicht überstanden. Aber sie haben uns gefangen genommen und in diese Lagerhalle gebracht, wo wir auf Morena Morgan gestoßen sind.« Die Eisprinzessin achtete darauf, dass Aletheia nichts von unserer Unterhaltung mitbekam, indem wir uns zurückfallen ließen. Nicht weit genug, um sie zu verlieren, aber so, dass sie frei sprechen konnte, ohne Angst vor einer erneuten Auseinandersetzung haben zu müssen.

      »Sie ist wirklich Jonathans und Hunters Mutter? Aber sie ist doch eine Hexe?«, fragte ich verwirrt und überlegte, ob ich irgendetwas von dieser Frau wusste. Sie war mit Caleb Morgan verheiratet gewesen und hatte zwei Söhne. Punkt. Mehr war da nicht. Hunter hatte sie kein einziges Mal erwähnt und auch Jona hatte immer nur von seinem Vater gesprochen. Wie konnte es sein, dass ich mir nie darüber Gedanken gemacht hatte, obwohl diese Frau so etwas wie meine Schwiegermutter war?

      »Sie ist eine Hexe«, stellte Nicole klar und stockte kurz, als wir von den Gängen in einen großen Raum kamen, den Aletheia als Aufenthaltsraum bezeichnete. Hier war das Licht besser und mehrere Sitzgelegenheiten waren im Saal verteilt, die teilweise besetzt waren. Einige Mädchen, die Aletheia ähnlich sahen, saßen auf einer Couch und starrten in einen Fernseher. Die Szene wirkte schrecklich normal auf mich und tröstend, weil es mich an die vielen Filmabende mit Dir, Tara und Lora erinnerte. Aber sobald ich an Lora dachte, verschwand das Gefühl und ich musste hart schlucken, um nicht zu weinen.

      »Wie es aussieht, war nicht nur unsere Schule von Rabianas Plänen betroffen, auch wenn es St. Ghidora am schlimmsten getroffen hat. Rund um den Globus wurde die magische Welt von den Armeen überrannt und abgeschlachtet. Den Jägern blieb das nicht verborgen und zwei ihrer Ausbildungsstätten waren ebenfalls unter Beschuss. Morena hat in dem Chaos ihre Kontakte spielen lassen und die Führung übernommen. Die Jäger und Hexen arbeiten zusammen, um Rabiana zu stürzen, weil der Verlust von beiden Seiten enorm ist und die Jäger ihre einzige Überlebenschance in Morena gesehen haben.«

      Auch Nicole betrachtete fasziniert die Einbauküche, die mit flüssigem Wasser funktionierte, und das Buffet, das in der Mitte des Raumes aufgebaut war. Viele Jugendliche belagerten die Essensausgabe und überlegten, was sie essen sollten, während die Älteren bereits auf einem Tisch saßen und aßen. Alle schienen sich zu kennen und unterhielten sich vertraut.

      »Das ist doch gut, oder nicht?«, hakte ich verwirrt nach, weil Nicoles Tonfall vermuten ließ, dass ihr an der Situation etwas überhaupt nicht passte. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, was das sein könnte. Wenn die Jäger mit uns eine Front gegen Rabiana bildeten, konnte das nur zu unserem Vorteil sein, oder? Für einen Moment lenkte mich das Geräusch von kläffenden Hunden ab, die mit einer Leine an einem Rohr an der Wand festgebunden waren. Sie waren zu dritt und hatten schwarzes Fell. Die abstehenden Ohren ließen sie wie Fledermäuse aussehen, aber die geflügelten Vögel jagten mir weniger Angst ein. Die Köter jaulten und fletschten ihre spitzen Zähne. Im Radius von zwei Metern um die Tiere befand sich keine Menschenseele und ein Junge betrachtete die Hunde mit einem ängstlichen Blick, als er mit genügend Sicherheitsabstand vorbeihuschte, um zu seinem Sitzplatz zu kommen. Blutiges Fleisch lag vor den Mäulern der Viecher. Während zwei fleißig an ihrem Fressen herumkauten, sodass ihnen Reste zwischen den Zähnen stecken blieben und das Blut sich mit ihrem Speichel mischte, sah einer in unsere Richtung und knurrte bösartig, als würde er spüren, dass wir nicht hierhergehörten.

      »Klingt zu perfekt, wenn du mich fragst. Ich kenne Morena Morgan und sie war nie für ihre Herzensgüte bekannt. Sie soll nichts von den Machenschaften ihres Mannes gewusst haben, das glaube ich ihr, sie war schließlich nie zuhause, um irgendetwas mitzubekommen. Sie hat ihre Söhne einmal im Monat gesehen. Manchmal weniger, wenn sie Geld zum Fenster rausschmeißen konnte. Und jetzt will die Frau, die sich nur für Mode, Handtaschen und ihr öffentliches Image interessiert hat, plötzlich die Welt retten? Das ist für mich zu dick aufgetragen. Außerdem, wenn sie nur helfen will, warum sperrt sie uns dann ein und lässt uns nicht gehen? Dir geht es wieder gut, warum sind wir noch hier? Morena will gar nicht, dass wir gehen, weil sie etwas vorhat. Sie will nur ihren eigenen Arsch retten, glaub mir.«

      »Hört ihr mir überhaupt zu oder haltet ihr euch für so toll, dass ihr sogar über das Jägerhauptquartier Bescheid wisst?«, zischte Aletheia erzürnt und bedachte Nicole und mich mit einem bösen Blick. Sie war in der Nähe des Buffets stehen geblieben, sodass die ganze Halle uns beobachten konnte. Lautes Tuscheln war zu hören und ich fühlte mich sofort unwohl in meiner Haut. Fast wäre ich gegen Taranee gefallen, die ebenfalls plötzlich vor mir haltgemacht hatte, aber ich konnte gerade noch rechtzeitig bremsen, um einen peinlichen Zusammenstoß zu verhindern.

      »Nachdem aus deinem Mund nur Scheiße kommt und keine Antworten auf unsere Fragen, halte ich es nicht für notwendig, dir meine Aufmerksamkeit zu schenken. Und weil du gefragt hast: Ich halte uns für ziemlich toll.« Nicole reagierte blitzschnell auf Aletheias Gemeinheiten und konterte biestig. Sie warf ihre blonden Haare stilvoll zurück und lächelte ihrer Gegnerin provokant entgegen, während sie vor mich trat und meine anderen Freunde ihr Platz machten, damit sie näherkommen und nicht durch den Raum schreien mussten. Trotzdem hörten alle die Auseinandersetzung. Es war mucksmäuschenstill. Man hätte das Fallen einer Stecknadel hören können.

      Aletheias Gesichtszüge verzogen sich zu einer Fratze, sodass sie mehr Ähnlichkeit mit den tollwütigen Hunden hatte als mit einem Menschen.

      »Ich bin mir sicher, dass du mit deinem Erbsenhirn nicht mal eine Frage formulieren kannst.« Aletheia biss die Zähne zusammen und verengte die Augen zu Schlitzen. Sie war ein Stück kleiner als Nicole, sodass meine Freundin auf sie herabsehen konnte, aber das machte die Jägerin nicht weniger furchteinflößend. Ich bewunderte Nicoles Stärke. Sie brach nicht unter dem Blick von Aletheia zusammen und lächelte weiter,


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