Neues Altes. Peter Altenberg

Neues Altes - Peter Altenberg


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sie heut’ noch sind in Krankenhäusern und in

      Klöstern –  – .

      Belohnung war dein eigenes Gefühl in dir!

      Im Geben nahmst du tausendfach zurück,

      was du gespendet. Und davon lebtest du!

      Nun bist du in dem Dienste deiner heiligen Seele

      krank geworden –  —

      der magische Schein der Selbstaufopferung verlischt –  —

      du kannst nicht mehr grenzenlos ergeben sein!

      Und weinend siehst du nun zum ersten Male deines

      Lebens Not –  – .

      Du gabst mir alles –  – und ich gab dir nichts!

      Und dennoch traure ich verzweifelt am Sarge deiner

      armen Seele –  – . Denn, glaube mir, sie starb!

      ENTWICKLUNG

      Es gibt zwei Arten von Genies. Die, die eine neue naturgemäße Sache entdecken, und die, die es gläubig erfassen und verwerten. Der Glaube an die Genialität des anderen ist die nächstfolgende Genialität. Glaube an neue Erkenntnisse ist bisher unterschätzt worden. Es ist ein zweiter Grad von Genialität. Die anderen sind Skeptiker, also ungenial. Dann gibt es noch die Mitläufer mit den Schwindlern und Hochstaplern. Das sind die ganz Ungenialen, die einem ebenso Ungenialen wie sie selbst sind, feige Kärrnerdienste leisten. Sie leben von der Hoffnung, man werde sie ernst nehmen, weil sie einem nicht ernst zu Nehmenden ernstlich Gefolgschaft leisten! Aber in Gottes Buche ist alles verzeichnet, und dieser riesigen unerbittlichen Buchführung über Reelles und Unreelles unterliegt schließlich alles! Alles wird aufgedeckt, die reellen und die gefälschten Ziffern, und man sollte eben deshalb schicksalsergeben sein. Entwicklungskonjunkturen ausnützen ist jedoch eine der feigsten Gemeinheiten. Wenn man für die »Frauenseele« zum Beispiel kämpft, muß man zeit seines langen schrecklichen Lebens in jeder Beziehung daran auch elend verblutet sein. Die jungen Gänseriche haben aber noch einfach ihre verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, ohne psychologische Mätzchen das Ihrige wie eh und je zu leisten. Der Entdecker leidet, und der Gläubige an ihn leidet. Aber der geschickte Ausnützer von Konjunkturen macht dabei seinen Rebbach.

      Dasselbe findet in der Kunst statt. Gottes Pläne sind niemandem heilig, sondern man erstrebt es einfach, seiner eigenen verfehlten Organisation zum Durchbruche zu verhelfen! Freaks sind noch lange keine Genies, obzwar Genies oft Freaks waren. Sie waren es eben doch nur scheinbar. Denn hinter ihnen thronte Gott und die Natur, wenn auch ein wenig in allzu grotesken Formen. Es gibt Räusche, in denen man Symphonien dichtet; und es gibt Räusche, in denen man sich erbricht. Beides sind Räusche, Ekstasen, übertriebene Zustände. Aber Rausch und Rausch sind nicht gleich; und nicht jeder torkelnde Betrunkene schreibt dann in seinem einsamen Zimmer Schubert-Lieder!

      SANKT-MARTINS-INSEL

      Als der Arzt ihr mitteilte, daß sie vor den dunklen Toren der Tuberkulose stehe, sagte sie: »Na, na, dös tun mer net, mit achtzehn Jahren?!«

      Und sie eilte nach Gravosa, und lag auf der Sankt-Martins-Insel mutterseelenallein, mit ihren Proviantvorräten, von sieben morgens bis sieben abends, und breitete splitternackt die Arme aus, um die Heilkraft der Natur zu empfangen.

      Sie ließ sich mit Mentholfranzbranntwein täglich zweimal eine halbe Stunde lang einreiben und nahm einen halben Liter Kakao mit sechs eingesprudelten rohen Eidottern. Ferner Bouillons mit eingesprudelten rohen Eidottern und Seefischfilets in großen Mengen.

      Als sie gesund wurde, kam der Ehrgeiz und die Lebenslust über sie, und sie fand ein Engagement in einem ganz kleinen Theater. Ihre erste Rolle war die französische Gräfin Laborde-Vallais. Sie wußte durchaus nichts damit anzufangen, aber ein junger Herr schickte ihr in die Garderobe seine Visitenkarte.

      Sie hatte sich mutig dem Tode entzogen, und bemerkte nun bald, daß das Leben es nicht wert sei, sich so sehr darum bemüht zu haben. Sie war dieser Gefahr »Tod« entronnen – nun kam diese größere Gefahr »Leben«! Dem konnte man nicht mit Sonnenbädern, Kakao, gesprudelten Eidottern, Mentholfranzbranntwein entrinnen!

      Später lernte sie zufällig den Dichter kennen. Sie verstand nicht, worin das bestehe, ein Dichter zu sein. Man schreibt Bücher, und man ist ein Dichter. Aber was stellt es vor, und wozu ist es?!?

      Aber eines Tages sagte er zu ihr: »Wie war es auf der Sankt-Martins-Insel?!? Sie lagen da, gottergeben, und erwarteten von Wiese, Wald und Sonne Ihre Heilung – .«

      Und jemand sagte zu ihr: »Hören Sie mir schon auf mit Ihrer faden Sankt-Martins-Insel! Jetzt sind wir Gott sei Dank hier!«

      Da blickte sie hilfeflehend zu dem Dichter, und sie fand einen hilfsbereiten Blick – .

      Da wußte sie, was ein Dichter sei und wozu er da sei – .

      KONZERT

      Du kamst aus dem Konzert, erfüllt von Liedern und den Liedertexten, die von Dichtern waren wie Stefan George, Richard Dehmel, Jacobsen, dem verstorbenen Dänen, der Musik in Worten machte.

      Du warst schön und prächtig, gelb und gold war dein Gewand, und deine geliebten Augen blickten noch in Fernen, aus denen sie eben kamen. Ein Zwerg, ein Wurm, ein gekrümmtes armseliges Reptil erschien ich dir, ans Irdische dich feig gemahnend, die du aus hehren Fernen kamst, und meiner Liebe allzu gewohnte Seufzer verhallten in den Tönen deiner neuen Musikwelten.

      Ich starb dahin vor Eifersucht auf das Konzert, und auf alles, was drum herum und dran hängt an Ablenkungen selbstverständlicher Art einer fanatisch geliebten Seele – . Ich starb dahin.

      Du aber blicktest, gelb und goldig war dein romantisches Gewand, in Fernen, aus denen du soeben kamst, gleichsam von einer langen, langen, langen Reise – . Wo warst du, Frau?!?

      Da senkte ich den Blick, der zuerst böse starrte, und ich ergab mich in das Schicksal – .

      Du sagtest schlicht: »Es war sehr schön; man hat sehr viel gelernt; man blickte jedenfalls in Welten, die bisher verschlossen waren – .«

      Da saß ich denn da und getraute mich nicht mehr, deine geliebten Hände zu berühren wie eh und je – .

      Und du sagtest: »Was haben Sie?!?« Und ich sagte: »Nichts – .«

      BUCHBESPRECHUNG

      Er hatte zu ihr gesagt: »Nun habe ich dich, über allen Kitsch der Künstler hinaus, den Kunstwerken der Natur und des Lebens selbst allmählich näher gebracht, habe dich mühselig gelehrt, die Romantik des Daseins aus erster Hand zu genießen! Nun gebe ich dir einen allerbesten, spannendsten, aufregendsten, ergreifendsten, lehrreichsten Roman zu lesen: »Der Volkskrieg in Tirol 1809« von Oberleutnant Rudolf Bartsch.«

      Und sie las es in einigen Stunden einer schlaflosen Nacht. Alle Menschen darin standen ihr nahe, und sie zitterte um eines jeden Schicksal! Erzherzog Johann, die Offiziere, die Diplomaten, die Bauernführer wurden ihr zu vertrauten Freunden. Sie begann das Getriebe der Welt zu erkennen und Freunde und Feinde in gleicher Weise zu verstehen! Sie sah die Schlachten zwischen Intelligenz und Herz im Menschen, zwischen Vorurteil und Urteil, zwischen Fernsicht und Nahsicht!

      Sie gewann eine tiefe, tiefe Liebe zu Peter Mayr und Andreas Hofer, zu den reinsten der Reinen, den eigentlichen Idealisten in dem Buche.

      Sie weinte bitterlich und stundenlang über ihre edle Art. Sie schrieb sich folgende Stelle auf ein Pergamentblatt heraus und ließ es einrahmen unter dem Titel: »So sind alle, die für die Kommenden von Wert sind!«

      Diese Stelle lautete: Der geniale Hormayr verscherzte sich das Zutrauen vieler, namentlich der Bauern. Als er nach dem Bankrott der österreichischen Invasion aus dem Lande floh, schob so recht das ganze Volk von Tirol den gegen Hormayr einfältigen, aber sittenreinen Sandwirt an die höchste Stelle – ohne dessen Zutun.

      Schob: dieses Wort bezeichnet viel


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