Vergöttert . Морган Райс
entdeckte kein Anzeichen dafür, dass er vor Kurzem hier gewesen war. Erneut bedauerte sie es, ihr Handy verloren zu haben. Es hätte ihr Leben so sehr erleichtert.
»Sam hat öfter mal hier übernachtet«, sagte sie. »Ich war mir sicher, dass er hier sein würde. Ich weiß, dass er in diese Stadt zurückgekehrt ist – ganz bestimmt. Er würde nicht woanders hingehen. Morgen reden wir in der Schule mit seinen Freunden. Ich werde schon herausfinden, wo er steckt.«
Caleb nickte. »Glaubst du, er weiß, wo sich euer Vater befindet?«
»Ich … weiß es nicht«, antwortete sie. »Aber er weiß auf jeden Fall viel mehr über ihn als ich. Er sucht schon seit einer Ewigkeit nach ihm. Wenn jemand etwas weiß, dann er.«
Caitlin dachte daran, wie Sam ständig auf der Suche gewesen war, wie er ihr seine neuen Hinweise gezeigt hatte, um dann doch immer wieder enttäuscht zu werden. So oft war er abends in ihr Zimmer gekommen und hatte auf der Bettkante gesessen. Seine Sehnsucht nach ihrem Vater war überwältigend gewesen, er war wie besessen davon. Sie sehnte sich ebenfalls nach ihm, aber ihr Wunsch war lange nicht so stark. Für sie war es schlimmer gewesen, seine Enttäuschung mitzuerleben.
Caitlin erinnerte sich ihre verkorkste Kindheit, an alles, was sie verpasst hatten, und plötzlich wurde sie von ihren Gefühlen überwältigt. In ihrem Augenwinkel bildete sich eine Träne. Verlegen wischte sie sie schnell weg und hoffte, dass Caleb es nicht gesehen hatte.
Doch er hatte es gesehen. Er sah auf und musterte sie aufmerksam.
Dann erhob er sich langsam und setzte sich neben sie. Er war so nahe, dass sie seine Energie ganz deutlich spüren konnte. Ihr Herz klopfte schneller.
Sanft fuhr er ihr mit einem Finger durch das Haar und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Dann ließ er seinen Finger an ihrem Auge vorbei die Wange hinuntergleiten.
Sie hielt den Kopf gesenkt und blickte zu Boden, weil sie seinen Blick fürchtete. Sie spürte, wie eindringlich er sie musterte.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte er mit seiner sanften, tiefen Stimme, bei deren Klang sie sich so wohlfühlte. »Wir werden deinen Vater finden. Wir werden gemeinsam nach ihm suchen.«
Aber das war es nicht, was ihr Sorgen bereitete. Sie sorgte sich um ihn. Um Caleb. Sie fragte sich, wann er sie verlassen würde.
Außerdem fragte sie sich, ob er sie wohl küssen würde, wenn sie ihm ins Gesicht schaute. Sie sehnte sich danach, die Berührung seiner Lippen zu spüren.
Aber sie hatte Angst, den Kopf zu heben.
Nach einer gefühlten Ewigkeit brachte sie schließlich den Mut auf, ihn anzusehen.
Doch er hatte sich bereits abgewandt. Er lehnte an dem Heuballen, hatte die Augen geschlossen und schlief. Der Feuerschein beleuchtete das sanfte Lächeln auf seinem Gesicht.
Sie rückte näher an ihn heran und lehnte sich ebenfalls zurück. Ihr Kopf ruhte nur wenige Zentimeter neben seiner Schulter, sodass sie sich beinahe berührten.
Und beinahe genügte ihr das.
2. Kapitel
Caitlin schob das Scheunentor auf und betrachtete blinzend die schneebedeckte Welt dort draußen. Der Schnee reflektierte das helle Sonnenlicht. Sie schlug die Hände vors Gesicht, weil ein bis dahin unbekannter Schmerz in ihre Augen schoss.
Caleb trat neben sie – er war damit beschäftigt, sich einen Überzug aus einem dünnen, durchsichtigen Material über Arme und Hals zu ziehen. Es sah fast aus wie Klarsichtfolie, aber es schien mit seiner Haut zu verschmelzen. Schon konnte sie den Überzug gar nicht mehr erkennen.
»Was ist das?«
»Hautfolie«, antwortete er, während er die Folie sorgfältig mehrfach um Arme und Schultern wickelte. »Damit ist es uns möglich, bei Sonnenschein hinauszugehen. Ansonsten würde unsere Haut verbrennen.« Er musterte sie. »Du brauchst das nicht – noch nicht.«
»Woran merkt man das denn?«, fragte sie.
»Glaub mir«, erwiderte er grinsend. »Du würdest es wissen.«
Er griff in die Tasche und nahm ein Fläschchen Augentropfen heraus, von denen er mehrere Tropfen in jedes Auge träufelte. Er drehte sich um und sah sie an.
Offensichtlich erkannte er, dass ihre Augen schmerzten, denn er legte ihr sanft eine Hand auf die Stirn. »Leg den Kopf zurück«, forderte er sie auf.
Sie gehorchte.
»Mach die Augen weit auf«, sagte er.
Vorsichtig ließ er ihr in jedes Auge je einen Tropfen fallen.
Es brannte wie verrückt. Sie schloss die Augen und senkte den Kopf.
»Au«, sagte sie und rieb sich die Augen. »Du kannst es mir auch einfach sagen, wenn du sauer auf mich bist.«
Er lachte. »Tut mir leid. Anfangs brennt es, aber das geht schnell vorbei. Innerhalb weniger Sekunden werden deine Augen nicht mehr lichtempfindlich sein.«
Sei zwinkerte und rieb sich erneut die Augen. Schließlich blickte sie auf und merkte, dass er recht hatte – die Schmerzen hatten aufgehört.
»Die meisten von uns wagen sich trotzdem nicht raus in die Sonne, wenn es nicht unbedingt sein muss. Bei Tag sind wir schwächer. Aber manchmal geht es eben nicht anders.«
Fragend sah er sie an. »Diese Schule, die dein Bruder besucht hat – ist sie weit weg?«
»Es ist nur ein kurzer Fußmarsch«, entgegnete sie und ging über die schneebedeckte Wiese voran. »Es ist die Highschool von Oakville. Bis vor wenigen Wochen war es auch meine Schule. Irgendeiner von meinen Freunden muss einfach wissen, wo Sam steckt.«
Die Highschool von Oakville sah noch genauso aus, wie Caitlin sie in Erinnerung hatte. Irgendwie fühlte es sich unwirklich an, wieder dort zu sein. So, als hätte sie nur einen kurzen Urlaub gemacht und wäre nun in ihr normales Leben zurückgekehrt. Einen kurzen Moment lang glaubte sie sogar, dass die Ereignisse der vergangenen Woche nur ein verrückter Traum gewesen waren. Sie schwelgte in der Fantasievorstellung, dass alles wieder völlig normal wäre, genau so, wie es zuvor gewesen war. Es war ein schönes Gefühl.
Aber als sie zur Seite blickte und Caleb neben sich sah, wusste sie, dass nichts normal war. Wenn es irgendetwas noch Unwirklicheres gab als ihre Rückkehr, dann war es eine Rückkehr mit Caleb an ihrer Seite. Sie würde ihre alte Schule zusammen mit diesem fantastisch aussehenden Typen betreten. Er war weit über einen Meter achtzig groß, hatte breite Schultern und war von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet. Der Kragen seines schwarzen Ledermantels war hochgeschlagen, und seine überdurchschnittlich langen Haare fielen locker darüber. Er sah aus, als wäre er gerade von der Titelseite einer angesagten Teenie-Zeitschrift gestiegen.
Caitlin malte sich die Reaktion der anderen Mädchen aus, wenn sie sie zusammen mit ihm sahen. Bei dem Gedanken lächelte sie unwillkürlich. Sie war nie auffallend beliebt gewesen, und die Jungs hatten ihr nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. Das hieß jedoch nicht, dass sie unbeliebt gewesen wäre – sie hatte einige gute Freunde, auch wenn sie nie der Mittelpunkt der angesagtesten Clique gewesen war. Sie ordnete sich irgendwo in der Mitte ein. Allerdings hatte sie bisweilen das Gefühl gehabt, dass die wirklich angesagten Mädchen sie verachteten. Sie schienen immer zusammenzustecken, spazierten hochnäsig auf den Gängen herum und ignorierten alle, die ihrer Ansicht nach unter ihrem Niveau waren. Jetzt würden sie ihr vielleicht Beachtung schenken.
Caitlin und Caleb stiegen die Treppen hoch und gingen durch die breiten Doppeltüren in die Schule hinein. Caitlin warf einen Blick auf die große Uhr: Es war acht Uhr dreißig. Perfekt. Die erste Stunde würde gleich enden, und die Gänge müssten sich jeden Moment füllen. So würden sie weniger auffallen. Sie musste sich keine Gedanken wegen des Sicherheitspersonals oder eines Ausweises zu machen.
Wie aufs Stichwort klingelte es. Innerhalb von Sekunden tauchten die ersten Schüler auf den Fluren auf.
Das Gute an Oakville war, dass zwischen dieser Highschool und der Highschool in New York City Welten lagen. Hier war selbst zu Stoßzeiten immer noch genug Platz. Große Fenster säumten die Gänge