Deutsch-Ostafrika: Geographie und Geschichte der Colonie. Brix Forster
nur den Namen des gerade herrschenden Häuptlings repräsentiren, verschwinden mit diesem in den nächsten Jahren. Was sich durch eine größere Anzahl von Berichten unter derselben Bezeichnung als dauernd herausgestellt hat, dem allein habe ich eine Stelle angewiesen; dennoch gebe ich auch für deren unumstößliche Daseinsberechtigung keine absolute Sicherheit. Denn man darf nie vergessen, daß in Ostafrika alles sich in Fluß und Schwanken befindet: Wohnstätten, Stammesgrenzen und Machtgebiete.
Da ich mit vorliegendem Buche neben einer kritisch-wissenschaftlichen Ordnung und Sichtung des geographischen Materials hauptsächlich eine praktischen Zwecken dienende Orientirung zu liefern trachte und denjenigen, welche aus irgend einem Grunde sich mit Ostafrika als einer deutschen Colonie eingehend beschäftigen wollen, die Mittel zu selbständigem und möglichst erschöpfendem Urtheil zu bieten beabsichtige, so mußten auch die wirthschaftlich-politischen Verhältnisse des deutschen Besitzes in den Kreis der Betrachtung gezogen werden. Nach meiner Ueberzeugung erhält man über diese Verhältnisse nur durch die Kenntniß der geschichtlichen Entwickelung eine grundlegende Einsicht. Ich sah mich deshalb veranlaßt, der geographischen Darstellung die Geschichte der Gründung der Colonie und die verschiedenen Phasen im Wachsthum und in der Thätigkeit der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft bis zum directen Eingreifen der Reichsregierung voranzuschicken. Es ist nicht nur interessant, schrittweise zu verfolgen, wie aus ursprünglich fast abenteuerlichen Plänen mächtige, ganze Völker aufregende Ereignisse entsprangen; es ist auch wichtig, das historisch Gewordene unverrückbar festzustellen und die vorhandenen Mittel organisirender und finanzieller Kräfte mit den Aufgaben einer emporstrebenden neuen Colonie zu vergleichen. Ich gedenke weder einen Panegyrikus auf die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft zu schreiben, noch mit bequemer Selbstgefälligkeit Mängel in ihrem Thun und Treiben aufzudecken: ich werde von einem ferner gelegenen Standpunkte aus einfach die Geschicke vor den Augen der Leser sich abspielen lassen, nichts verschweigend und nichts verschönend, doch mit dem Hinweis auf ähnliche Erscheinungen, wie sie bei kräftigen Völkern in dem Anfang zukunftunsicherer Unternehmungen jederzeit sichtbar geworden.
Zwei Wünsche mögen zum Schluß das Ziel meiner Arbeit kennzeichnen: erstens, daß Deutsch-Ostafrika in seiner Entwicklungsfähigkeit als Colonie den wirklichen Thatsachen entsprechend gewürdigt werde; und zweitens, daß diejenigen, welche die schwierige Aufgabe der Colonisation sich gestellt, mit englischer Nüchternheit, Gelassenheit und Klugheit ans Werk gehen.
München, im October 1889.
Brix Förster.
Geschichte der Gründung der deutschen Colonie von 1884 bis 1. April 1889.
Colonien werden erworben entweder durch die Macht des Staates oder durch einwandernde Volksmassen oder durch den Unternehmungsgeist abenteuernder oder weitsichtiger Männer, sei es aus eigenem Antrieb oder im Auftrag einer Corporation. Ostafrika wurde für das Deutsche Reich gewonnen durch die Thatkraft eines Einzelnen im Namen einer Gesellschaft. Abenteuerlich nennt man jedes Unternehmen, das mit unzureichenden Mitteln begonnen und dessen Vollendung auf das Eintreten günstiger Zufälle berechnet ist. Die anzuwendenden Mittel sind Kapital, Waffengewalt und Kenntniß von Land und Volk. Ob die Mittel zureichend waren, darüber entscheidet der Erfolg, aber nicht der momentane, sondern der schließliche, oft nach Jahren. Die Geschichte ist also die Richterin und sie spricht erst dann, wenn die öffentliche Meinung, aufgeregt durch die widersprechendsten Ereignisse, gänzlich verstummt ist.
Die Erwerbung von Deutsch-Ostafrika war im ersten Jahr in den Augen vieler Verständiger ein Abenteuer, nach mehr als drei Jahren eine glorreiche That und erscheint jetzt nach fünf Jahren im Lichte eines ungenügend vorbereiteten Unternehmens. Die Geschichte hat noch nicht zu Wort kommen können; ihr Urtheil schlummert in der Zukunft.
Das Studium der Entstehung und des Verlaufs der colonialen Gründung zeigt, mit welch geringen Mitteln begonnen und doch Großes geschaffen wurde, zugleich aber auch, wo der Keim des Unhaltbaren, des Gewagten verborgen liegt. Die Besserung der Verhältnisse beruht auf der nüchternen Erkenntniß und dem rücksichtslosen Zugeständniß der gemachten Fehler, aber ebenso auch in der Würdigung energisch vollbrachter Thaten.
Das sind die Gesichtspunkte, von denen gegenwärtig die Geschichte der deutschen Colonie Ostafrika mit Billigkeit betrachtet werden muß.
Für alle Zeiten wird mit dem Namen Deutsch-Ostafrika die Person Dr. Carl Peters verbunden bleiben. Er soll hier nicht parteiisch verherrlicht werden, sondern es soll die ungeschminkte Wahrheit über sein Streben und seine Thaten zum vollen Ausdruck gelangen. Die Wahrheit macht uns gerecht. Und das Geringste ist doch Gerechtigkeit, die wir einem Manne gewähren müssen, der sein Leben und seinen Ruf zum Wohl des ganzen Volkes in die Schanze schlug.
Carl Peters (geb. 1856 als der Sohn eines Pfarrers in Neuhaus an der Unterelbe) hat in Göttingen, Tübingen und Berlin Geschichte, Nationalökonomie und Jurisprudenz studirt, 1879 den Doctortitel und 1880 die facultas docendi sich erworben. Ein darauf folgender mehrjähriger Aufenthalt in England brachte ihn mit Kreisen in Berührung, in denen er nicht nur die praktische Energie der Engländer kennen lernte, sondern auch die Bedeutung einer Colonialmacht für Nationalreichthum und Weltstellung. Als er zu Anfang des Jahres 1884 nach Deutschland zurückkehrte und eine aufflammende Begeisterung für die Erwerbung von deutschen Colonien vorfand, die sich hauptsächlich im Halten und Hören von Vorträgen und in Gründung von Vereinen Genüge that, da reifte in seiner Seele auf Grund der in England erhaltenen Schulung der Entschluß, schöpferisch die Hand ans Werk zu legen und ein wirkliches Land dem deutschen Drang nach Colonisation zu gewinnen, auf dem die deutsche Nationalität frei schöpferisch sich entfalten und nicht durch fremde europäische Einflüsse gestört werden könnte.
Der Ausführung dieses Planes war kein Vorbild gegeben: Angra Pequena und Kamerun verschleierte noch tiefes Geheimniß. Die Unterstützung des Reiches in Anspruch zu nehmen, erschien unmöglich seit der abfälligen Behandlung der Samoa-Vorlage im Reichstag. Ganz aus eigenen Mitteln, aus der eigenen Kraft mußte das Werk unternommen werden. Peters fand in dem Grafen Behr-Bandelin einen ernstbegeisterten Gesinnungsgenossen. Sie beriefen eine Versammlung von dreißig Herren, und mit vierundzwanzig derselben gründeten sie am 28. März 1884 die „Gesellschaft für deutsche Colonisation”. Ein Ausschuß von sechs Mitgliedern wurde eingesetzt. Am 6. April 1884 trat er zusammen und verfaßte die Satzungen, von welchen die wichtigsten waren:
Zweck der Gesellschaft: Begründung von deutschen Ackerbau- und Handelscolonien;
Beschaffung eines Colonisationscapitals;
Auffindung und Erwerbung geeigneter Colonisationsdistricte;
Hinlenkung der deutschen Auswanderung in diese Gebiete.
Die Aufnahme in die Gesellschaft erfolgt durch Einzahlung eines Jahresbeitrags von mindestens fünf Mark.
Organisation:
Der Ausschuß besteht aus höchstens zwölf Mitgliedern, von denen sechs von der Hauptversammlung mit dem Rechte der Cooptation von sechs weitern Mitgliedern gewählt werden.
Der Ausschuß hat alle äußern und innern Angelegenheiten der Gesellschaft selbständig zu erledigen. Er faßt bündige Beschlüsse über alles, was den Zweck der Gesellschaft fördern kann, und hat das Recht, rechtsgültige Verträge im Namen der Gesellschaft zu schließen. Er verfügt über die eingegangenen Gelder für die Zwecke der Gesellschaft.
Der Ausschuß erwählt den Vorsitzenden.
Der Vorsitzende beruft den Ausschuß. Außerdem muß auf Antrag von drei Mitgliedern des Ausschusses derselbe berufen werden. Er ist beschlußfähig bei Anwesenheit von mindestens fünf Mitgliedern.
Abänderung der Satzungen oder Auflösung der Gesellschaft kann nur auf Antrag des Ausschusses und nur durch eine Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder in einer Hauptversammlung beschlossen werden.
In dem ersten Ausschuß saßen Graf Behr als 1. Vorsitzender, Dr. Peters als 2. Vorsitzender, Dr. Jühlke als Schriftführer, Premierlieutenant