Deutsch-Ostafrika: Geographie und Geschichte der Colonie. Brix Forster
auf die öffentliche Meinung und auf die Gestaltung hoffnungsvoller Pläne war gegründet worden, sondern eine „Gesellschaft”, welche beschlossene Unternehmungen sofort zu verwirklichen hatte. Alles Parlamentiren und Debattiren wurde in die alljährlich nur einmal stattfindende Hauptversammlung verwiesen. Der Ausschuß war Kopf und Herz der Gesellschaft; von ihm ging das Leben und der Entschluß zur That aus. Und er selbst war nur ein leicht zu handhabendes Werkzeug für den Vorsitzenden. Dieselbe Tendenz, mit wenigen Mitgliedern nahezu unumschränkt zu arbeiten und den eigenen Willen vorherrschend zur Geltung zu bringen, offenbart sich auch später bei der Organisation der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft.
Ein zweiter und der wichtigste Punkt war die Beschaffung der nothwendigen Gelder. Der Mitgliederbeitrag von mindestens, d. h. von gewöhnlich, fünf Mark konnte nur dazu dienen, eine breite Basis für die Gesellschaft zu schaffen, die coloniale Bewegung in Fluß zu erhalten und jene Stimmung zu erzeugen, die größere Kapitalisten zur Zeichnung von namhaften Beiträgen drängen sollte. Allein ein finanzieller Erfolg wurde damit nicht erreicht. Die Massenbetheiligung blieb aus; das Großkapital ließ sich nicht in nebelhafte Fernen locken.
Der ursprüngliche Zweck der Gesellschaft — und das muß hier besonders betont werden — war der Ankauf von überseeischen Ländereien und der Verkauf derselben an auswandernde deutsche Ackerbauer.
Es wurde in der ersten Hauptversammlung der Gesellschaft am 29. Mai 1884 in Berlin von dem Missionar Merensky das Hochplateau von Südafrika als dasjenige Gebiet bezeichnet, das wegen kühleren Klimas und großer Fruchtbarkeit zur Bebauung durch den deutschen Landmann sich besonders eigne. Wie sich später zeigte, war das Hinterland von Mossamedes, nördlich des Kunene, ins Auge gefaßt. Mit der allgemein gehaltenen Bezeichnung „Plateau von Südafrika” zog man das Kapital nicht heran. Man konnte und wollte aber nicht deutlicher sein, um nicht die Aufmerksamkeit anderer Nationen, namentlich der Engländer, dahin zu lenken, die mit Leichtigkeit das in Aussicht genommene Land vor der Ankunft der Deutschen hätten occupiren können.
Der Ausschuß fand einen Ausweg. Er erließ am 25. Juli 1884 einen Aufruf an die großen Kapitalisten, welche nicht Mitglieder der Gesellschaft waren, mit der Aufforderung, sich mit einem Beitrag von mindestens 5000 Mark an dem beabsichtigten Landankauf zu betheiligen und zu einer Versammlung am 19. August sich einzufinden, in welcher ihnen das geheimgehaltene Project im Vertrauen mitgetheilt würde. Die Kapitalistenversammlung fand statt, doch die Einzeichnungen erschienen noch ungenügend. Man bot Antheilscheine zu 500 Mark aus und gewann so im ganzen allmählich 45000 Mark. Wiederholt setzte man den Hebel an. Den wirklichen Mitgliedern des Vereins sicherte man, damit auch sie aus dem gesammten Unternehmen realen Nutzen ziehen könnten, die Aussicht auf einen Landantheil zu, wenn sie sich zur Zahlung von 50 Mark herbeiließen, ja man versuchte durch den Appell an den Patriotismus der geringer bemittelten Massen Beiträge zu 20 und 10 Mark herauszuschlagen. 20000 Mark waren das Resultat dieser Anstrengungen.
Es muß hier ausdrücklich erwähnt werden, daß der Ausschuß, um den Vorwurf des Heranziehens des kleinen Kapitals zu entkräften, bei seinen Aufforderungen rundweg erklärte, er könne keine weitere Verpflichtung übernehmen, als daß bei dem fraglichen Gelingen des Unternehmens das Land nach Maßgabe der Beiträge vertheilt und dann zur freien Verfügung gestellt werden würde, daß er aber keine Rechenschaft über die Verwendung der Gelder abzulegen gedenke. Den Großkapitalisten hingegen, welche 45000 Mark gezeichnet, wurde Sicherung durch Einsetzung einer eigenen Controlkommission gewährleistet.
Man hatte nun 65000 Mark beisammen, und mit dieser geringen Summe gedachte Dr. Peters eine Colonie zu gründen. Das war freilich abenteuerlich genug und war es um so mehr, als weder er noch die gleich ihm begeisterten Reisegefährten Graf Joachim Pfeil und Dr. Jühlke irgendwelche persönliche Kenntniß von den zu erwerbenden Landstrichen besaßen. Aber die Jugend liebt das Verschleierte und hält sich an den Spruch: Wer nicht wagt, gewinnt nicht. Außerdem rechneten sie gewiß mit jener Eigenthümlichkeit des deutschen Nationalcharakters, der mit Zähigkeit das Begonnene unterstützt, wenn nur irgendjemand zuvor die Arbeit des Anfangs auf sich genommen.
Im September 1884 waren alle Vorbereitungen zur Abreise nach Südafrika getroffen, nachdem der Ausschuß am 16. August 1884 beschlossen hatte, dort Ländereien anzukaufen.
Wir müssen es ein günstiges Geschick nennen, das diesen Plan über den Haufen warf; denn am Kunene hätte man später nur getäuschte Erwartungen zu begraben gehabt. Das günstige Geschick wehte die Kunde von der Besitzergreifung Angra Pequenas durch Lüderitz im richtigen Augenblick über das Meer. Zwischen dieses Gebiet und der portugiesischen Colonie sich einzukeilen, ohne die Aussicht auf den Besitz eines eigenen Hafens, erschien dem länderdurstigen, in ferne Zeiten schauenden Dr. Peters unmöglich. Mit Wärme wies er jetzt wiederholt auf jenes Land hin, das er während des ganzen Sommers, aber vergeblich in Vorschlag gebracht: auf Usagara an der Ostküste von Afrika. Dieses hatte sein sehnsuchtsvolles Drängen erfüllt, seit er die verführerische Beschreibung durch Stanley gelesen: „Wer will Afrika der Civilisation erschließen? Hier ist eine Gelegenheit! Hier, wo man unter den artigen Wasagara ohne Furcht und Störung leben kann, mitten in den schönsten und malerischsten Landschaften. Hier ist das üppigste Grün, das reinste Wasser; hier sind Thäler angefüllt mit Getreidehalmen, Tamarinden, Mimosen und Gummibäumen. Gesundheit und Ueberfluß an Lebensmitteln sind gesichert!” Man nahm in jenen Kreisen damals die Aussprüche Stanley’s als vollwerthige Münzen; andere aber wußten schon längst und zwar allein durch kritische Vergleichung verschiedener Reiseberichte, daß die Exactheit Stanley’scher Schilderungen nicht mit der Größe seiner geographischen Entdeckungen Schritt hält.
Dr. Peters vertraute dem, was er gelesen, und er bestimmte den Ausschuß, nachdem das Project mit Südafrika fallen gelassen worden, am 16. September 1884 Folgendes zu beschließen:
„Die Herren Dr. Peters, Dr. Jühlke und Graf J. Pfeil werden bevollmächtigt und beauftragt, an der Ostküste Afrikas, in erster Reihe in Usagara, eine Landerwerbung behufs Anlegung einer deutschen Ackerbau- und Handelscolonie zu vollziehen.
„Das zu erwerbende Gebiet muß politisch die Möglichkeit deutscher Oberhoheit bieten, wirthschaftlich für deutsche Ansiedelung behufs Ackerbau geeignet sein.
„Sollte es unmöglich sein, auf dem ins Auge gefaßten Gebiet den Ankauf vorzunehmen, so sind die Herren ermächtigt, an einem andern Punkte Land zu erwerben.
„Der Ausschuß spricht die feste Erwartung aus, daß die Herren keineswegs, ohne den Ankauf von geeignetem Land irgendwo vollzogen zu haben, nach Deutschland zurückkommen werden.”
Drei Aufgaben wurden demnach Dr. Peters gestellt:
1) In Afrika für den deutschen Landmann geeignetes Land aufzufinden;
2) Grund und Boden käuflich zu erwerben;
3) eine deutsche staatliche Oberhoheit zu errichten.
Diese Aufgaben wurden nicht gelöst und konnten thatsächlich nicht gelöst werden, weil sie ohne nur annähernde Kenntniß von Land und Leuten gestellt wurden.
Der Erfolg war nicht der beabsichtigte, aber von außen betrachtet größer und glänzender, als man sich zu träumen gehofft.
Am 1. October 1884 fuhr die Expedition unter Dr. C. Peters von Triest ab und traf am 4. November in Sansibar ein. Alle Vorsicht wurde aufgewendet, um die Absicht der Ländererwerbung zu verhüllen. Denn es mußte befürchtet werden, daß bei offenem Auftreten der Sultan von Sansibar, welcher zeitweise seine Autorität auf dem Festlande bis Tabora zur Geltung zu bringen suchte, alle Hebel in Bewegung setzen würde, um das deutsche Unternehmen zu vereiteln.
In der unglaublich kurzen Zeit von fünf Tagen wurde die Expedition, wenn auch nur nothdürftig, in Sansibar ausgerüstet und landete am 10. November in Saadani. Am 12. November 1884 nachmittags 5 Uhr setzte sich die Karavane in Marsch, bestehend aus Dr. Peters, Dr. Jühlke, Graf Pfeil, Otto, der schon in Berlin auf eigene Kosten sich angeschlossen hatte, aus 6 Dienern und 36 Trägern.
Man schlug die früher von Makay, Cambier u. A. benutzte Route ein und durchzog die Landschaft Useguha ohne längern Aufenthalt. Am 23. November 1884 wurde in Mkindo oder Kwindo Kaniani in Nguru der erste größere Halt