Das purpurne Hemdchen. Sara-Maria Lukas

Das purpurne Hemdchen - Sara-Maria Lukas


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Urlaub oder Arbeit?“

      „Job. Es war eine Kreuzfahrt und die Reederei wollte aktuelle Fotos für ihr Marketing.“

      „War Kira mit?“

      „Nein, die ist seit Januar in Hollywood.“

      Helen zieht die Augenbrauen hoch. „Echt? Mutig!“

      Er zuckt mit den Schultern. „Sie will Karriere machen und ich drücke ihr alle Daumen.“

      Hanna grinst. „Warum gehst du nicht mit zu den Filmstars? Ein so guter Fotograf wie du hat da doch bestimmt auch beste Karrierechancen.“

      Samuel rümpft die Nase und winkt ab. „Nicht meine Welt.“

      „Und was war das für eine Schiffsreise? Ausgerechnet um diese Jahreszeit nach Norwegen?“, fragt Jeanette.

      Begeistert lehnt er sich vor. „Ein sehr interessantes Projekt auf einem kleinen Schiff. Es geht um ökologisch vertretbaren Tourismus und Klimaveränderungen.“

      Dankbar, seine Aufmerksamkeit von ihr abgelenkt zu wissen, beobachtet Sina, wie er von der Reise erzählt, ohne wirklich etwas mitzubekommen. Sie ist viel zu sehr damit beschäftigt, ihn anzusehen. Sein herbes Gesicht mit den kräftigen ausgeprägten Konturen wirkt so einschüchternd, doch sobald er lächelt, will sie sich in seine Arme werfen und ihren Mund auf diese wunderschön geschwungenen Lippen drücken. Sie kann nicht sagen, welche Facette seiner Mimik sie mehr anmacht, die dominante, ernste oder die warme, humorvolle. Allein die Tatsache, dass seine bloße Gegenwart so tiefe Lust und Sehnsucht in ihr weckt, verwirrt sie total. Kein Mann hat solche Gefühle in ihr ausgelöst, seit dieser schrecklichen Nacht. Das ist verrückt. Sie kennt ihn gar nicht. Wo ist ihr übliches Misstrauen? Und überhaupt, er hat eine Freundin. War ja klar.

      Liebevoll streichelt er Jeanette über den unteren Rücken, und Sina spürt, wie ihre Haut prickelt, als ob er sie berühren würde.

      „Was gibt’s morgen zu Mittag?“, fragt er beiläufig.

      „Königsberger Klopse.“

      „Lecker. Ich komme.“

      Jeanette nickt und löst sich von ihm. „Ich schreib’s auf. Übermorgen auch? Heiner will Gulasch kochen.“

      „Das lasse ich mir auf keinen Fall entgehen.“

      Als Jeanette weg ist, wendet er sich ohne Verzögerung wieder Sina zu, der gerade einfällt, was sie anscheinend verdrängt hat: Er ist Stammgast in diesem Lokal. Er wird mitbekommen, wie sie sich in den nächsten Tagen bei ihrem lächerlichen Versuch, eine Kellnerin zu werden, blamiert. Das Schicksal ist gemein, und sie braucht jetzt ganz schnell Abstand, um einmal tief durchzuatmen.

      Hastig trinkt sie einen ordentlichen Schluck aus ihrem Glas und steht auf. Sie sieht sich suchend um. „Hinter den Spielautomaten, die zweite Tür“, ruft Helen und Sina nickt.

      „Danke.“ Eilig verschwindet sie in Richtung Toiletten.

      Als sie nach einigen Minuten wieder in den Gastraum zurückkehrt und auf ihren Tisch zugeht, ist Samuels Platz leer. Sie sollte erleichtert sein, doch dumme Enttäuschung lässt sie schwer schlucken. Bevor sie ihre Gefühle in den Griff bekommt, senkt sich ein Arm wie eine Schranke vor ihren Bauch. Sie stockt, will gerade ärgerlich protestieren, da lächelt er vor ihr, umfasst sanft ihr Handgelenk und zieht sie sachte Richtung Tresen. Er lässt ihren Arm los, legt seine warme Hand stattdessen zwischen ihre Schulterblätter und schiebt sie zu einem Barhocker. Wie hypnotisiert rutscht sie auf den Sitz, während er sich neben ihr niederlässt. Er hat sie angefasst und sie gerät nicht in Panik?

      Misstrauisch betrachtet sie sein verschmitztes Grinsen. „Was wird das?“

      „Ich bin dir noch einen Drink schuldig.“

      „Ich trinke keinen Alkohol.“

      Er zwinkert. „Das trifft sich gut, ich auch nicht.“

      Sie schluckt. Ihre Blicke wollen sich nicht trennen. Es ist wie verhext. Bestimmt amüsieren sich die anderen Leute schon.

      „Was kann ich euch beiden Hübschen bringen?“, fragt Jeanette in ihrer rauen, burschikosen Art.

      „Zwei Sam Spezial, bitte.“

      „Nein!“

      Seine Augenbrauen zucken hoch. „Traust du mir nicht?“

      „Quatsch, ich will nur …“, sie schüttelt unwillig den Kopf. „Ich meinte das ernst, das war kein Witz, ich trinke wirklich keinen Alkohol.“

      Er neigt das Gesicht und mustert sie durchdringend. „Das habe ich auch so verstanden.“

      Jeanette stellt zwei große Gläser auf die Arbeitsfläche vor ihren Plätzen. „Sam Spezial ist Grapefruitsaft mit einer Kugel Vanilleeis, eingelegten Kirschen und einem Schuss Himbeersirup, Sina. Probier es, schmeckt besser, als es sich anhört.“

      Sie öffnet eine Kühltruhe, holt für jedes Glas eine Eiskugel heraus und gibt anschließend jeweils einen Esslöffel Kirschen und die Getränke darüber. Trinkhalme, lange Dessertlöffel und Zitronenscheiben auf die Glasränder gesteckt, vervollkommnen das Bild, das tatsächlich appetitlich fruchtig wirkt.

      „Versuch’s. Falls du es nicht magst, bekommst du was Anderes und ich trinke deinen mit aus“, verspricht Sam und hebt sein Glas.

      „Bestellst du immer für Frauen, ohne sie zu fragen?“

      Er lacht. „Und wenn?“

      „Dann bist du ein … ein …“

      „Ein arroganter Affe?“

      Sie nickt. „Mindestens.“

      „Ja, würde ich auch so sehen.“ Er beugt sich etwas näher zu ihr, sodass ihr sein Duft direkt in die Nase steigt. Das macht er garantiert extra. Das ist seine Anmach-Masche. „Nein, ich bestelle normalerweise nicht, ohne zu fragen.“

      „Und warum jetzt?“, hakt sie schnippisch nach.

      Er mustert sie schon wieder so durchdringend. „Keine Ahnung. Ich habe nicht darüber nachgedacht. Vielleicht interessiert es mich, ob wir den gleichen Geschmack haben.“

      Verflixt, dieser Blick. Das ist nicht zum Aushalten. Sie schluckt. Denken, Sina! Denken!

      Okay, nachdem sie zugesehen hat, wie Jeanette das Getränk zubereitete, kann sie es auch entspannt probieren. „Mal sehen, ob ich es überlebe“, grummelt sie.

      Sie prosten sich zu, und sein Gesichtsausdruck wird so intensiv interessiert, dass heiße Schauer durch ihre Adern jagen. Schon wieder Schmetterlinge, wilde Schmetterlinge, total hektische Schmetterlinge.

      „Du bist noch nicht lange in Hamburg?“, fragt er, nachdem sie getrunken haben.

      „Seit drei Wochen.“

      Erstaunt runzelt er die Stirn. „Solange müsste es doch her sein, dass wir uns getroffen haben?“

      Sie nickt. „Das war mein erster Abend hier.“

      „Ah, verstehe, die Reeperbahn mit ihrem unanständigen Flair hat dich so verwirrt, dass du …“

      „Noch ein Wort und ich gehe!“

      Er grinst. „Okay. Themenwechsel. Woher kommst du?“

      „Von woanders her. Und du? Bist du gebürtiger Hamburger?“

      „Nein. Meine Familie lebt in Gelsenkirchen, ich habe in München und Berlin gelernt und mich anschließend hier niedergelassen. Wo ist Woandersher? Hab den Ortsnamen noch nie gehört.“

      „Neugierige Fotografen müssen nicht alles wissen.“

      „Ah, du spielst die geheimnisvolle


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