Das purpurne Hemdchen. Sara-Maria Lukas

Das purpurne Hemdchen - Sara-Maria Lukas


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      Helen kichert. „Ich fliege, Papili.“ Ein riesengroßer Typ mit Glatze, grauem Schnurrbart und einem dicken Bauch unter einer weißen Schürze lugt durch die Tür und nickt ihnen zu. „Hula, Mädel, gut siehst du aus.“

      „Moin, Heiner.“ Hanna winkt ihm neckisch zu, während Helen kurz in der Küche verschwindet und mit zwei Tellern beladen zurückkehrt. Als sie an Sina und Hanna vorbeiläuft, deutet sie mit dem Kopf nach links. „Hinten der Ecktisch ist frei. Sobald es hier ruhiger wird, setze ich mich zu euch.“

      „Super.“ Hanna wendet sich an Sina. „Trinkst du auch Bier?“

      „Ja, aber bitte alkoholfrei“.

      Hanna nickt und bestellt bei Jeanette, bevor sie sich in der hinteren Ecke an dem freien Tisch niederlassen.

      Es ist tatsächlich ein sehr gemischtes Publikum. Drei grauhaarige Männer spielen Skat. Am Tresen sitzt ein Pärchen aus der Punkszene neben zwei heftig aufgestylten Frauen in superkurzen Miniröcken und mit langen rot lackierten Fingernägeln. Die beiden wippen im Takt eines alten Schlagers, der aus der Musikbox mehr rauscht als tönt, die Köpfe hin und her, während sie ihre Blicke durch den Raum wandern lassen. Ganz offensichtlich möchten sie Männer kennenlernen, ziemlich extrem offensichtlich …

      Sina dreht schnell das Gesicht weg. Nur weil die Frauen so aussehen und sich so aufreizend benehmen, muss sie nicht abfällig von ihnen denken. Wenn sie nicht so reingelegt worden wäre, würde es ihr auch noch Spaß machen, Männerblicke auf sich zu ziehen.

      Ein jüngerer Typ mit kurzen, blonden Haaren und Tattoos auf den Unterarmen sitzt allein am Tresen und sieht interessiert zu ihnen hinüber. Als ihre Blicke sich begegnen, senkt Sina schnell den Kopf und konzentriert sich auf ihre Freundin.

      „Und, gefällt’s dir hier?“, fragt Hanna, während sie die Jacke auszieht und hinter sich über die Stuhllehne hängt.

      Sina nickt. „Es ist sehr nett.“

      Es gibt eine kleine Speisekarte mit einfachen Gerichten. Sina entschließt sich, endlich das berühmte Labskaus zu probieren. Da diese alte Seemannsspeise nicht besonders appetitlich aussieht, hat sie sich bisher noch nicht getraut, sie zu essen. Aber Hanna schwärmt, dass das Labskaus in Pimrots Höhle das beste von ganz Hamburg ist, und so gibt sie sich einen Ruck.

      Als Helen sich anderthalb Stunden später stöhnend auf einen freien Stuhl an ihrem Tisch fallen lässt, sind sie satt und haben jeweils zwei Bier getrunken, Hanna mit und Sina ohne Alkohol.

      Helen stöhnt. „Endlich wird’s ruhiger. Hula, ich muss meinen Termin für übermorgen absagen.“

      „Bist du sicher?“ Hanna rümpft die Nase. „Deine Haare haben es nötig, wenn ich das mal so frei äußern darf.“

      Helen seufzt und kämmt mit den Fingern durch die stufige Mähne. „Finde ich ja auch, aber mein freier Tag ist gestrichen, weil Robin uns ohne Vorwarnung verlassen hat.“

      „Was?“

      Sie nickt. „Es gab mal wieder Stunk mit Papili und dann hat er sich auf seine Maschine gesetzt und ist abgerauscht. Er will zu irgendeinem Kumpel nach Spanien.“

      „Einfach so?“

      „Jepp. Einfach so. Wir sind stinksauer.“

      „Moment mal“, Hanna stockt und zieht die Augenbrauen hoch, „das bedeutet, ihr sucht jetzt jemanden.“

      Helen nickt. „So schnell wie möglich. Ich habe heute Nachmittag schon eine Anzeige aufgesetzt.“

      Bevor Sina richtig kapiert, was passiert, verzieht sich Hannas Gesicht zu einem breiten Grinsen. „Die kannst du gleich wieder einstampfen.“ Sie hebt beide Hände und zeigt mit einer dramatischen Geste auf Sina. „Voilà. Eure neue Mitarbeiterin.“

      WAS? Sina runzelt die Stirn. „Ähm … wie?“

      Helens Augen werden größer. „Suchst du etwa Arbeit?“

      Hanna grinst. „Das tut sie.“

      Die Mimosensumpfkuh brüllt so laut in ihrem Gehirn, dass Sinas Herz einen Schlag lang aussetzt. „Äh … nein!“ Sie schüttelt entschieden den Kopf. „So was kann ich nicht. Tut mir leid. Ich habe noch nie in der Gastronomie …“

      Helen winkt ab. „Bei uns brauchst du keine Vorkenntnisse. Wir sind ein einfacher Laden mit stinknormalen Gästen.“

      „Das ist perfekt für dich!“ Hanna reibt sich begeistert die Hände. „Freies Essen, null Fahrtkosten und die sympathischsten Arbeitgeber, die man sich wünschen kann.“

      Sina stellen sich die Nackenhaare auf und eine schwere Eisenkette legt sich um ihren Brustkorb. In einer Kneipe arbeiten? Mit fremden Männern reden? Nachts allein im Dunkeln nach Hause? Oh nein, das geht nicht. Unmöglich.

      „Ich … das ist keine … ich, also, ich …“

      „Papperlapapp“, schimpft Hanna, „versuch es. Warum willst du frustriert zu Hause rumsitzen, wo doch hier dringend jemand gebraucht wird? Sollte der Job auf Dauer nichts für dich sein, kann Jeanette immer noch die Anzeige aufgeben und du suchst dir was Anderes. Wo ist das Problem?“

      Helen nickt eifrig. „Genau! Es wäre uns eine große Hilfe, selbst wenn du nur für ein paar Tage einspringst.“ Sie zwinkert. „Wir sind alle nett, auch mein Papi, falls er nicht gerade schlecht gelaunt ist, weil ein ständig unpünktlicher Typ seinen Job ohne Vorwarnung geschmissen hat.“

      Sina schluckt. Oh je. Wenn die beiden wüssten … Andererseits … sie muss Geld verdienen, und der Frust, einsam zu Hause zu sitzen, wird von Tag zu Tag erdrückender. Dies ist die Chance, den Neuanfang in Hamburg endlich voranzutreiben. Hat sie sich nicht fest vorgenommen, sich nicht mehr von Dunkelheit und Männerangst bremsen zu lassen? Sie will doch ein normales Leben führen. Sie hat heute die Anmeldung zur Fernausbildung im Internet abgeschickt und muss in Zukunft jeden Monat die Raten dafür zahlen. Sie braucht definitiv ein Einkommen, sie will … verdammt, sie wird …

      „Okay“, platzt es aus ihr heraus. „Wenn ihr tatsächlich eine blutige Anfängerin nehmt, versuch ich es.“

      „Echt?“ Helen strahlt. „Klasse!“

      Sina schüttelt den Kopf und hebt abwehrend die Hände. „Freu dich nicht zu früh. Du kennst mich nicht. Ich bin keine Stimmungskanone und ich habe noch nie Bier gezapft. Wahrscheinlich stehe ich euch permanent nur im Weg rum und störe mehr, als dass ich helfe.“

      Helen legt neckisch den Kopf schräg. „Wenn mich meine Menschenkenntnis nicht täuscht, passt du zu uns, und den Rest kriegen wir schon hin.“

      Sie hebt die Hand. „Mamili, wir haben Ersatz für Robin“, brüllt sie so laut durch den Raum, dass alle Gäste aufsehen. Augenblicklich möchte Sina im Boden versinken.

      Jeanette schlendert heran und rümpft die Nase. „Nenn mich nicht so, du Biest.“

      Hanna feixt. „Sei froh, dass sie dich noch nicht zur Omili gemacht hat.“

      „Vielleicht sollte ich das tun, ein Baby von Nick wäre bestimmt zum Knutschen hübsch“, überlegt Helen laut.

      Jeanette verdreht die Augen. „Ich denke, das ist nichts Festes.“

      Helen grinst nur vielsagend. „Sina fängt bei uns an.“

      Jeanette nickt ihr zu. „Schön. Herzlich willkommen.“

      „Äh … so einfach?“ Perplex starrt Sina zu der Frau auf, deren Lebensart ihr so vollkommen fremd ist.

      Die zuckt unbeeindruckt mit den Schultern. „Hast du vor, in meine Kasse zu greifen?“

      „Natürlich nicht.“

      „Kannst


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