Das purpurne Hemdchen. Sara-Maria Lukas

Das purpurne Hemdchen - Sara-Maria Lukas


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neuer Mensch und das Leben ist fantastisch!

      Das Bild vor ihren Augen und ihre Reaktion kommen wie ein plötzlicher gleißender Blitz, im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Nichts.

      Da ist dieser Typ, der, halb auf der Straße stehend, gebeugt fotografiert, und das Auto, das sich von hinten nähert und direkt auf ihn zurast.

      „Vorsicht!“ Sina greift mit der freien Hand zu, ohne zu überlegen. Sie erwischt ihn am Oberarm und sein Ellenbogen schleudert seitlich gegen ihre Rippen. Sie verliert das Gleichgewicht und fällt rückwärts. Unmittelbar darauf folgt ein leichter Rempler eines Passanten von der anderen Seite, wodurch sie halb gedreht nach vorn gestoßen wird. Sie landet mit der Brust auf einem muskulösen, flachen Bauch und mit der Hand direkt auf einer warmen, ausgeprägten Ausbuchtung einer Jeans. Alles geht so schnell, dass ihre Reflexe nicht reagieren, sie stößt nicht mal einen Schrei aus. Um sie herum duftet es plötzlich unglaublich maskulin, sehr herb, vielleicht nach Holz und Moos, gemixt mit einer süßlich- bitteren Nuance. Sie saugt die aromatisierte Luft ein, dreht irritiert den Kopf und starrt gegen einen Männerarm in einer dicken Jeansjacke, der wie ein Pfahl gerade in Richtung Himmel aufragt. Ihr Blick folgt ihm hinauf, und sie erkennt in seiner Hand eine dieser teuren Spiegelreflexkameras, wie Fotografen und Journalisten sie benutzen.

      „Fuck“, stößt eine raue, tiefe Stimme nah an ihrem Ohr aus. Schlagartig kapiert Sina, dass sie auf dem Brustkorb des Mannes liegt, den sie gerade von der Straße gezerrt und der den Arm hochgerissen hat, um die Kamera vor einem Aufprall zu schützen. Zu allem Überfluss fasst ihre Hand in etwas Warmes, Klebriges, Dickes auf rauem, feuchtem Jeansstoff über einem Ding zwischen seinen Beinen, was ist … wieso … WAS?! Jeder Muskel in ihrem Körper spannt sich augenblicklich an, und sie strampelt planlos hektisch herum, bis der Typ seinen Oberkörper aufrichtet und sie dabei mit anhebt. Ihre Füße finden Halt und sie rappelt sich ungelenk auf. Eine Sekunde später steht er auch und sie weicht erschrocken einen Schritt zurück. Er ist mindestens zehn, nein, gefühlte zwanzig Zentimeter größer als sie und seine Statur wirkt beeindruckend kräftig. Er ist schlank und seine langen, muskulösen Beine stecken in einer ausgeblichenen Jeans.

      „Kannst du nicht aufpassen?“, donnert seine Stimme über ihr und ihr Blick zuckt hoch. Sie sieht im Strahl der Laterne nur die Hälfte seines Gesichtes. Der Rest liegt im Schatten. Zu erkennen sind schwarze, militärisch kurze Haare, dichte Augenbrauen und eine missmutig gekrauste Stirn. In seinen dunklen, bedrohlich zusammengezogenen Augen glitzert das gespiegelte Licht der Leuchtreklamen. Schmale Wangen und geschwungenen Lippen betonen den kräftigen Unterkiefer und das ausgeprägte Kinn. Ein Dreitagebart und die groben Schatten durch den Lichteinfall geben dem Gesicht einen herben, bedrohlichen Ausdruck. Seine Gestalt wirkt auf Sina beängstigend dominant und gleichzeitig verwirrend anziehend. Anscheinend erwartet er keine Antwort, denn er schenkt seine volle Aufmerksamkeit seiner Kamera. Nachdem er sie von allen Seiten begutachtet und ein paar Knöpfe gedrückt hat, knurrt er ein kaum verständliches „Funktioniert. Glück gehabt“.

      Ihre Wahrnehmung wird abgelenkt. Sie hat wohl in einer unbewussten Schreckbewegung die Hand an den Mund gelegt, aber was klebt da so? Sie dreht die Handfläche und starrt auf glibberige, rötliche Soße.

      „So eine Scheiße!“, flucht der Typ, der in diesem Moment anscheinend auch bemerkt, dass etwas Widerliches zwischen seinen Lenden pappt.

      „Keine Scheiße, nur Soße“, rutscht es Sina trocken heraus, die soeben Curry auf ihren Lippen schmeckt und begreift, dass ihre Hand im Sturz die Currywurst auf seinem Schwanz zerquetscht hat. Oh je. Blamage in Perfektion.

      „Nach vorn gucken soll helfen“, knurrt er genervt, und erst, als Sina auffällt, dass er deutlich angepisst in ihre Richtung starrt, wird ihr klar, dass er sie angesprochen hat.

      „Wie bitte?“

      „Augen auf beim Gehen, Mädel, hat deine Mutti dir das nicht beigebracht?“

      „Ich?“ Perplex starrt sie zu ihm auf.

      „Nein, die zehntausend anderen hier.“ Er schnaubt trocken. „Ja! Du! Wer sonst wollte mich gerade über den Haufen rennen?“

      „Ich habe dir das Leben gerettet, du Spinner! Und das da“, sie zeigt auf seinen Penis, „war mein Abendessen!“ Ihre Stimme bebt vor Entrüstung.

      „Willst du es abschlecken?“, fragt er süffisant grinsend.

      Augenblicklich glüht ihr Gesicht. Der Mistkerl grinst immer noch so frech. Er verarscht sie! Was bildet dieser arrogante Schnösel sich eigentlich ein?

      „Statt mich hier blöd anzumachen, wäre eine Entschuldigung angebracht! Wenn ich dich nicht zurückgezogen hätte, säßest du jetzt im Fahrstuhl auf dem Weg in die ewigen Jagdgründe“, faucht sie, ohne über die Worte nachzudenken, bevor sie sie aus ihrem Mund flutschen lässt.

      Er stutzt. „Wieso das denn?“

      „Weil ein Auto dich fast erwischt hätte, Ar… äh … Blödmann.“

      Irritiert dreht er sich halb und betrachtet den Platz, auf dem er gestanden hat, als sie ihn wegzog. Dann schüttelt er den Kopf. „Du spinnst. Da kann kein Auto kommen.“

      „Natürlich! Ich hab’s doch gesehen! Meinst du, ich fasse Affen wie dich zum Spaß an?“, keift sie und umklammert ganz automatisch mit der rechten Hand die linke Faust, vermutlich weil ihr Unterbewusstsein sie davon abhalten will, auf ihn einzuschlagen. Vielleicht ist sie aber auch einfach nur furchtbar nervös. Das Ketchup quillt zwischen den Fingern heraus und verursacht ein leises Schmatzen.

      Er verdreht die Augen, hängt die Kamera über die Schulter, greift mit beiden Händen an ihre Oberarme und dreht sie ruppig um. „Da! Siehst du das? Das nennt man Absperrung. Hier fährt keiner.“

      Ach du Scheiße. Tatsächlich. Aus ihrem Blickwinkel waren die zwei Pfähle und das Baustellengitter wohl nicht zu sehen gewesen. Er hat recht. Er war nicht in Gefahr gewesen. Das Auto hätte in jedem Fall einen Bogen gemacht.

      „Oh.“

      „Ja, oh“, ahmt er sie ironisch nach. „Fuck!“

      „Das ist noch lange kein Grund, mich so anzumotzen. Schließlich habe ich es nur gut gemeint!“

      „Du hast fast meine teuerste Kamera zerstört und …“, er sieht genervt stöhnend an sich hinab, „ganz eindeutig meine Hose versaut.“

      Sina presst vor lauter Zorn und Scham die Lippen fest aufeinander. Sie hat sich gerade blamiert, okay, ja. Kann passieren, oder? Deswegen muss dieser Typ sich nicht wie das arroganteste Arschloch des Jahrhunderts aufführen.

      Sein Blick scheint ihr Gesicht zu sezieren und ihr Wutpegel steigt. Der soll sie nicht so anstarren!

      Als könnte er ihre Gedanken lesen und würde sich darüber amüsieren, verzieht sich sein Mund zu einem frechen Jungsgrinsen, während er neckisch den Kopf zur Seite neigt.

      Von einer Sekunde zur anderen ist alle Bedrohlichkeit aus seiner Miene verschwunden, und ohne irgendeine Vorwarnung jagt ein glühend heißer Schauer durch Sinas Körper, direkt in ihre Geschlechtsorgane. Sehnsüchtiges Summen setzt in ihnen ein. Wie hypnotisiert starrt sie in dieses völlig verwandelte Gesicht, das plötzlich eine magische Anziehungskraft ausstrahlt.

      „Du wolltest mich echt retten?“, holt seine Stimme sie in die Wirklichkeit zurück.

      „Garantiert zum letzten Mal“, grummelt sie unsicher.

      Er zwinkert. „Bevor du mich erwürgst, nachdem ich deine Rettung überlebt habe, schlage ich vor, wir schließen einen Waffenstillstand, okay?“ Er zieht ein Päckchen Taschentücher aus der Jacke. „Bitte, bedien dich.“

      Sina schluckt. Das völlig unerwartete Schmetterlingsflattern in ihrem Bauch bringt sie aus dem Konzept. Seine weich geschwungenen Lippen unter der unwiderstehlich erotischen Nase ziehen ihren Blick an wie eine Schokoladensahnetorte im Schaufenster einer Konditorei. Erotische Nase? Oh


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