Das purpurne Hemdchen. Sara-Maria Lukas

Das purpurne Hemdchen - Sara-Maria Lukas


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Sie nickt zufrieden. „Dann probieren wir es aus. Wir machen um elf auf, montags ist Ruhetag. Du kommst erst mal nur tagsüber. Da ist weniger los als abends. Wenn du eingearbeitet bist, teilen wir drei uns nach Absprache ganz flexibel die Arbeitszeiten ein. Okay?“

      Sina schluckt und nickt. „Okay, dann morgen um elf.“

      „Darauf trinken wir noch eine Runde.“ Helen grinst. „Ich liebe schnelle Problemlösungen.“

      Nachdem Jeanette gegangen ist, kommt Sina zur Besinnung. Ihr Herz hämmert ganz oben im Hals und ihre Finger zittern. Meine Güte. Was hat sie getan? Wie soll sie das schaffen? Was für eine dämliche Idee.

      Sie will gerade den Mund öffnen und alles rückgängig machen, da passiert es. Aus den Augenwinkeln nimmt sie wahr, dass sich die Eingangstür öffnet. Eine hochgewachsene Person mit dunklen, kurzen Haaren tritt ein. Ihr Kopf zuckt zur Seite. Samuel. Sie weiß sofort, dass er es ist. Sie hat ihn so oft in Gedanken vor sich gesehen, dass kein Irrtum möglich ist, obwohl sein Körper in der Realität noch beeindruckender erscheint als in ihrer Erinnerung. Ein Tsunami tobt durch ihre Adern und ihre Wangen werden glühend heiß. Wenn er hier vor allen Leuten erzählt, wie peinlich und dämlich sie sich bei ihrem Zusammentreffen benommen hat, oder Hanna und Helen merken, wie sehr er sie aus der Fassung bringt …

      Eilig legt sie unauffällig eine Hand an die Schläfe, um ihr Gesicht vor ihm zu verstecken, und greift mit der anderen nach ihrem Glas. Am besten tut sie so, als hätte sie ihn nicht gesehen. Er wird sich irgendwo hinsetzen und sie nicht beachten. Von Weitem erkennt er sie auf keinen Fall. Es ist drei Wochen her, es war dunkel und überhaupt, was bildet sie sich ein? Er wird sich nicht erinnern, er wird ihre Begegnung längst vergessen haben.

      „Hi Sam.“

      Helens Stimme animiert sie, unter den Tisch krabbeln zu wollen. Sie starrt stattdessen konzentriert auf den Bierdeckel vor ihrer Nase und knibbelt mit dem Zeigefinger die oberste Pappschicht ab.

      „Hi.“

      Oh Gott, dieses Timbre, tief, männlich und rau, genauso wie sie es in Erinnerung hatte. Augenblicklich vibriert es in ihrem Bauch, und sie könnte schwören, dass ihr sein Duft in die Nase steigt, während er heranschlendert. Wie von einem Marionettenfaden gezogen, guckt sie für eine Millionstelsekunde zu ihm hoch und sofort wieder in die andere Richtung. Flatternde Schmetterlinge in ihrem Magen kreisen mit summenden Hummeln um die Wette. Unter tausenden Männern würde sie ihn mit verbundenen Augen an seiner Stimme und diesem einmaligen Duft erkennen.

      „Die Hula Hoops mal wieder nebeneinander. Ein seltener Anblick in letzter Zeit. Wie geht’s euch beiden?“, fragt er entspannt.

      Hanna lächelt. „Bestens. Setz dich zu uns. Das ist Sina, meine neue Nachbarin. Sie arbeitet ab morgen hier.“

      Sina hört den Stuhl gegenüber hart auf dem Fliesenboden rutschen. Er setzt sich. „’n Abend.“

      „Sina, das ist der Fotograf, an dessen Atelier wir vorbeigelaufen sind.“ Hanna kichert albern. „Jetzt kannst du ihn gleich wegen der Bilder fragen.“

      WAS!? NEIN!!!

      Sina schluckt. Sie muss ihn ansehen, wenn den anderen nichts auffallen soll. Und sie will dabei auf keinen Fall wie ein verschrecktes Kaninchen wirken.

      Sie hebt den Kopf und starrt prompt direkt in seine braunen Augen. Es ist, als ob seine Pupillen Blitze in ihre Brust schießen. Sie reißt ihren Blick von seinem Gesicht los und mustert betont beiläufig das hübsch gestrickte Zopfmuster des grauen Rollkragenpullovers, in dem sein imposanter Körper steckt, da beugt er sich schon vor und sein Gesicht drängt sich wieder in ihr Blickfeld. Seine Augenbrauen heben sich und signalisieren unübersehbar Erstaunen. Sinas Herz setzt einen Schlag lang aus. Er erinnert sich. Kein Zweifel. Muss das Schicksal so gemein sein?

      „Hey, dich habe ich schon mal gesehen. Reeperbahn, oder? Das bist du doch. Meine Retterin mit der Currywurst“, fragt er ungläubig grinsend.

      Sina muss ihn ansehen. Alles andere wäre mehr als seltsam, aber diese blitzenden Augen, in die kann sie unmöglich hineinsehen, ohne sich zu verraten. Sie fixiert seinen Adamsapfel und zwingt sich zu einem gelangweilten Augenbrauenhochziehen. „Was?“

      „Sag nicht, du hast es vergessen.“

      Sie runzelt die Stirn. „Ich …“

      „Ihr kennt euch?“ Hanna beugt sich neugierig vor. „Woher das denn?“

      „Sie hat mich von der Straße gezerrt und dabei ihre Currywurst“, der Arsch zwinkert vergnügt, „auf meinem besten Stück zerquetscht.“

      Sina verdreht die Augen. „Danke.“

      Die Hula Hoops gackern wie Hühner und Samuel nickt zufrieden. „Na also, du erinnerst dich doch! Alles andere hätte mein männliches Ego auch massiv belastet.“

      Helen und Hanna glucksen immer noch, inzwischen nähern sie sich dem Geräuschpegel aufgeregter Gänse. Sina schüttelt den Kopf. „Braucht ihr einen Arzt?“

      „Sofort erzählen! Wir wollen alles wissen!“ Helens Stimme überschlägt sich vor Vergnügen.

      „Ich dachte, er wird überfahren, hab ihn von der Straße gezogen und dabei vergessen, dass ich eine Currywurst in der Hand halte.“ Sie zuckt ergeben mit den Schultern. „Die Sauerei war völlig überflüssig, weil da eine Absperrung stand, die ich Trottel nicht gesehen habe.“ Sie runzelt die Stirn und wirft ihm einen eisigen Blick zu. „Ein netter Mensch hätte das Ereignis taktvoll für sich behalten.“

      Er grinst frech. „Nette Menschen sind langweilig.“

      Verflixt, dieser Blick. Und diese Nase, die ist tatsächlich erotisch. Oh nein!

      In ihrer Klit pocht es und Sina wird feucht. Wenn er was merkt, ist sie geliefert. Gespielt dramatisch-verzweifelt lehnt sie sich zurück. „Sucht euch jemand anderen für den Job hier, Helen, ich bin wirklich nicht gerade praktisch veranlagt.“

      „Du bist perfekt!“

      Jetzt weiß sie, warum die Hula Hoops diesen Spitznamen haben. Wäre nicht der Tisch im Weg, würden sie sich um den Hals fallen und vor lauter Vergnügen im Kreis tanzen. Garantiert.

      Es ist zum Verrücktwerden. Sobald sie den Kopf hebt, sind da seine Augen. Kann er denn nicht mal woanders hinsehen? Zum Beispiel zu den beiden irren Frauen, die schließlich auch mit am Tisch sitzen?

      „Sina“, sagt er leise, wie zu sich selbst, „so heißt du also.“ Er lächelt. „Ich hab auf Anna getippt, aber Sina passt genauso gut zu dir.“

      Ihr Mund ist staubtrocken. Verflixte Gefühlsduselei! Nicht anstarren! Ruckartig richtet sie sich auf und schüttelt unwillig den Kopf. „Woher willst du das wissen, du kennst mich doch überhaupt nicht.“

      „Wie ich sehe, ändert sich das jetzt. Das gefällt mir.“

      Sie schluckt. Meint er das ernst? Seine Mundwinkel zucken. Flirtet er mit ihr oder verarscht er sie?

      „Zur Probe“, stößt sie eilig hervor. „Ich arbeite hier nur zur Probe.“

      Er nickt und mustert sie ungeniert, bis es Sina zu viel wird. „Hab ich einen Fleck im Gesicht?“, fragt sie aggressiv.

      „Nein, heute nicht.“ Er zwinkert und lächelt unbeirrt direkt in ihren Unterleib hinein. „Sorry. Ich bin Fotograf und fahre voll auf interessante Menschen ab. Das ist wie eine Sucht. Ich kann das nicht bremsen.“

      „Wie war’s auf dem Schiff, Sam?“

      Dankbar atmet Sina aus und sieht zu, wie Jeanette ein alkoholfreies Bier vor ihm auf den Tisch stellt, freundschaftlich ihren Arm um seine Schultern legt und ihn ungeniert an sich zieht.

      „Du hast eine Seereise gemacht?“, fragt Hanna.

      Er


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