Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten. Sven Elvestad

Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten - Sven Elvestad


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schlich der Tag dahin. Der Abend begann zu dämmern.

      Gegen neun Uhr wurde Krag aus dem Hotel gemeldet, daß der Schwarze wieder bei Barra gewesen war. Nach Verlauf einer halben Stunde war er fortgegangen.

      Krag fragte, ob etwas passiert sei, während er sich in Barras Zimmer aufhielt.

      »Nein,« antwortete der Portier, »nichts anderes, als daß Barra, sowie der Schwarze gekommen war, dem Kellner läutete und ihm sagte, daß er den Rest des Abends absolut ungestört sein wolle. Er wäre müde nach der vorhergegangenen schlaflosen Nacht. Gleich darauf war der Schwarze fortgegangen.«

      Krag bereute, daß er keine Wache vor dem Hoteleingang aufgestellt hatte, aber jetzt ließ sich ja nichts mehr tun. Um halb elf Uhr rief er das Hotel telephonisch an und fragte, ob Barra noch immer schlafe. Ja, lautete die Antwort, in seinem Zimmer sei alles still, Barra schlafe noch immer.

       Um halb zwölf Uhr klingelte er mit derselben Frage an und bekam dieselbe Antwort.

      Aber plötzlich packte den Detektiv ein furchtbarer Gedanke, der ihn bleich wie der Tod machte.

      Asbjörn Krag griff nach seinem Hute und stürzte zur Türe hinaus.

      Vor der Polizeistation hielt er eine fahrende Droschke auf. Er zeigte seine Polizeikarte und rief den Namen des Hotels.

      »Fahren Sie wie besessen,« rief er.

      Der Kutscher drehte den Wagen, er knallte ein paarmal mit der Peitsche, und dann rollte Asbjörn Krag mit rasender Geschwindigkeit durch die Straßen dahin. Die Leute sahen sich um und riefen dem Wagen Bemerkungen nach, weil er mit so wahnwitziger Hast fuhr.

      Ein paar Minuten später war Krag vor dem Hotel.

      Der Portier empfing ihn im Stiegenhaus. Aus dem Gesicht des Detektivs konnte er entnehmen, daß etwas Ernstes vorgefallen sein mußte.

      »Führen Sie mich sofort in Ingenieur Barras Zimmer,« sagte er.

      »Aber er hat gewünscht, ungestört zu sein.«

      »Das hat gar nichts zu sagen. Führen Sie mich nur in sein Zimmer.«

      Der Detektiv und der Portier sprangen in den Fahrstuhl, der sie rasch in das dritte Stockwerk brachte.

      Der Portier wies auf eine Türe.

      »Nummer 34,« sagte er.

      Krag ging zu der angewiesenen Türe und klopfte an. Niemand antwortete. Er klopfte stärker. Noch immer keine Antwort.

      Der Detektiv rüttelte an der Türe. Sie war von innen versperrt.

      Der Portier begann unruhig zu werden.

      »Die Gäste daneben sind alle zur Ruhe gegangen,« sagte er. »Wenn Sie so lärmen, wecken Sie das ganze Hotel auf.«

      Asbjörn Krag antwortete nicht.

      »Rufen Sie den Direktor,« befahl er.

      Eine Minute später war der Direktor zur Stelle und fragte, was denn um Himmelswillen da vorgehe.

      Asbjörn Krag machte ihn aufmerksam, wer er war, und verlangte dediziert, Ingenieur Barra zu sprechen. Er wies die Arrestorder vor.

      »Gut,« antwortete der Direktor, »da bleibt nichts anderes übrig, als zu öffnen.«

      Er klopfte nun ebenfalls an die Türe und schrie hinein, daß aufgemacht werden müsse. Aber es kam keine Antwort.

      »Sie sind sicher, daß er drinnen ist?« fragte der Direktor.

      »Ganz sicher,« erwiderte der Portier, »ich habe ihn nicht ausgehen sehen.«

      Der Direktor rüttelte an der Klinke und rief noch einmal, aber es kam noch immer keine Antwort.

      »Vielleicht ist er doch zu einem rückwärtigen Ausgang hinausgegangen,« murmelte er, »das sieht ganz mysteriös aus.«

      Aber Asbjörn Krag wies auf das Schlüsselloch.

      »Der Schlüssel steckt doch innen.«

       Der Direktor schien ratlos.

      »Ja, aber was sollen wir tun? Wir können die Türe doch nicht sprengen. Können Sie nicht bis morgen warten? Er kann ja doch nicht heraus.«

      »Nein,« erwiderte Krag ernst. »Jede Sekunde ist kostbar für mich. Holen Sie mir Stemmeisen.«

      Der Inhaber des Hotels versuchte, die Mißhandlung der Türe zu verhindern, aber Krag wies ihn sofort zurück:

      »Hier führe nur ich das Kommando. Holen Sie die Stemmeisen.«

      Der Portier, der wußte, mit wem er es zu tun hatte, lief in das Werkzeugmagazin hinunter, ohne erst den Befehl des Direktors abzuwarten.

      Er kam mit ein paar kräftigen Stemmeisen zurück.

      Krag ergriff das eine und begann die Türe mit der Tüchtigkeit eines Fachmannes zu bearbeiten.

      Aber da hörte er, wie es drinnen im Zimmer lebhaft wurde.

      »Der Ingenieur verbarrikadiert die Türe,« rief der Portier. »Hören Sie nur, wie er die Möbel heranschleppt. Jetzt stapelt er sicherlich die große schwere Kommode auf das Bett und schiebt das Ganze vor die Türe.«

      Der Detektiv setzte ganz unberührt seine Arbeit fort. Plötzlich gab das Schloß einen Krach, und Krag wußte, daß die Türe nun offen war. Aber er machte nicht sofort auf.

      »Treten Sie etwas zurück,« rief er, und im selben Augenblick zog er seinen sechsläufigen Revolver hervor.

       Der Direktor, der Portier und ein paar der Gäste, die bei dem Lärm herbeigeeilt waren, traten jetzt vorsichtig einige Schritte zurück.

      Krag legte seine gewaltige breite Schulter an die Türe und drückte zu.

      Sie öffnete sich langsam.

      Plötzlich stürzten alle Möbel, die dahinter aufgestapelt waren, zusammen.

      Krag sprang mit geschwungenem Revolver hinein.

      Doch plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen.

      Drüben im Bette lag ein Mann und sah ganz ruhig den eindringenden Detektiv an. Aber dieser Mann war nicht Ingenieur Barra.

      Vorsichtig und ängstlich näherten sich der Hoteldirektor, der Portier und die Gäste.

      Der Portier prallte verblüfft zurück.

      »Aber das ist ja der Schwarze!« rief er. »Der hat doch das Hotel vor mehreren Stunden verlassen.«

      Asbjörn Krag war jetzt ganz ruhig geworden, er sah nur sehr blaß aus.

      »Ich ahnte es – zu spät,« murmelte er. »Wieder sind wir hinters Licht geführt, geschickt wie immer. Der Schwarze, der das Hotel verlassen hat, war kein anderer als Ingenieur Barra selbst, und gut verkleidet.«

      Er legte seinem Gefangenen selbst Handschellen an und trug dem Portier auf, genau aufzupassen, daß er nicht davonlief. Krag wollte dann ein paar Polizisten schicken, um ihn abholen zu lassen. Aber das war ihm ein schwacher Trost. Hatte Ingenieur Barra nicht ausdrücklich Donnerstag genannt? War das vielleicht eine Finte und Mittwoch der wirkliche Tag? Alle Zeichen sprachen dafür. Es war über ein Uhr, gute zwei Stunden, seit der Nachtzug abgegangen war! Vermutlich war das schon geschehen, was er erwartete und befürchtete.

      Bevor er das Hotel verließ, rief er den Bahnhof an, und seine schlimmsten Ahnungen wurden durch den Stationsvorstand bekräftigt. Mit dem Elfuhrzehnzuge war eine große Goldsendung südwärts gegangen, eine Ausbezahlung der zwei vornehmsten norwegischen Banken an die Nationalbank in Kopenhagen.

      Die Station hatte erst spät abends Mitteilung davon erhalten. Einer der zuverlässigsten Diener der Bank war mitgefahren, um das Gold zu bewachen. Er war in dem letzten Wagen untergebracht, der gewöhnlich an den Post- und Warenwagen angekoppelt war.

      Als Asbjörn Krag so die Lage in ihrem ganzen furchtbaren Umfange überblickt hatte, versuchte er sich zu fassen,


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