Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel

Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch - Walther Kabel


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Ich saß neben ihm. Er zog jetzt die Spielkarte, die Karo Sieben, aus der Tasche und legte sie vor sich hin.

      Das Kartenblatt war nur wenig zerknüllt, obwohl Mutter Flepp es doch frei in der Tasche getragen hatte.

      „Bitte,“ sagte Harald. – Das hieß, ich sollte es mir ansehen.

      „Du hast es ja selbst kaum erst flüchtig betrachtet,“ meinte ich.

      „Es genügte,“ erklärte er und kniff lächelnd die Augen etwas zusammen. „Mutter Flepp fehlen die Defektivblicke. Du bist ja Detektiv, mein Alter. Also – los!“

      Ich nahm die Karo-Sieben und tat mit ihr alles, was ein Mann vom Fach in solchen Fällen zu tun pflegt. Ich mühte mich zehn Minuten ab. Ich fand nichts.

      „Rückseite!“ half Harald mir da.

      Rückseite?! – Die hatte ein grün und braun gestreiftes Muster. Ich hatte auch dieses Muster sehr genau besichtigt.

      „Halte die Karte schräg gegen das Licht,“ meinte Harst. – Auch das hatte ich getan.

      „Du glaubst, daß die Reihen von Punkten, die sich durch das Muster ziehen, mit dazu gehören,“ fügte Harald hinzu. „Das ist nicht der Fall. Die Punkte sind nachträglich mit einer Feder und brauner und grüner Tusche hergestellt. Ihnen fehlt der Glanz des übrigen Musters. Sie heben sich als matte Pünktchen ab. Schau’ sie nur genau an, und Du merkst, daß sehr oft ein grüner Punkt auf den braunen Streifen und umgekehrt steht. Wenn die Punkte eine Geheimschrift darstellen, so kann es nur eine solche sein, die etwa durch die Morsezeichen zu lösen ist. Probieren wir, ob etwa der grüne Punkt soviel wie Strich und der braune soviel wie „Punkt“ des Morsealphabets bedeutet –“

      Er nahm Papier und Bleistift aus seiner Brieftasche und sah sich nach einer Schreibunterlage um. Links auf dem Schreibtisch lagen mehrere englische Zeitungen, – Morning Post, Standard, Times, und als einzige französische die Gazette de Marseille.

      Er legte die Morning Post unter das Blatt Papier und begann die Geheimschrift zu dechiffrieren. Währenddessen hatte ich die Zeitungen zur Hand genommen. Die Nummern waren recht alt, einige über drei Jahre. Ich blätterte den Standard durch. Mit einem Male stutzte ich. Da war ein Artikel rot angestrichen:

      „Die Hochzeitsfeier Lord Percy Blackmoores mit Lady Shairfield, die gestern auf dem Schlosse des Brautvaters in Schottland stattfand, erlitt eine unangenehme und peinliche Störung dadurch, daß sich eine Dame, die an Lord Blackmoore ältere Rechte zu haben glaubte, in die Schloßkapelle eingeschlichen hatte und während der Trauung plötzlich vom Chor herab dem Bräutigam eine furchtbare Drohung zurief. Fraglos hätte sie diese auch wahr gemacht, wenn nicht ein Zuschauer ihr den Revolver entrissen hätte. Die Dame ist im übrigen in ganz England als die exzentrischte Frau dieses Jahrhunderts geradezu berüchtigt. Ihr nach einigen Dutzend von Millionen zählendes Vermögen erlaubt ihr, jede ihrer tollen Launen –“

      „Ich hab’s!“ rief Harald da. „Ich hab’s! Hör’ zu, was die Karo-Sieben verrät:

      „Braxler will Montag bestimmt morgens zurück.“ Na, mein Alter, was sagst Du nun?“

      „Ich – ich sage gar nichts, denn ich verstehe diese Mitteilung nicht,“ erklärte ich achselzuckend.

      „Mitteilung – sehr richtig! Mutter Flepp wird Bessie sehr scharf überwacht haben. Deshalb hatte das Pärchen einen Briefwechsel mit Hilfe von Spielkarten ersonnen. Steuermann Melkope, der Verehrer Bessies, wird auf diese Idee gekommen sein. Solche Karten kann man irgendwo verstecken, etwa in der Kneipe, und der andere holt sie sich dann. Wird so eine Karte zufällig gefunden, so ahnt niemand, was eigentlich dahinter steckt. Diese Karo-Sieben besagt folgendes. „Braxler will“, das heißt, der Kapitän der Atlanta ist mit irgend etwas einverstanden. „Montag bestimmt“, das heißt, Montag nacht (wie geschehen), handeln wir wie schon verabredet. „Morgens zurück“ kann nur bedeuten, daß die Atlanta ein Stück in See gehen wollte, womit Braxler einverstanden war, und morgens sollte die Atlanta wieder am Kai liegen.“

      Ich schüttelte den Kopf. „Bitte – sie ist aber nicht zurückgekehrt,“ meinte ich zweifelnd.

      „Von dem internationalen Seerecht hast Du wenig Ahnung, mein Alter. Jeder Kapitän eines Handels- oder sonstigen Fahrzeugs darf unter bestimmten Umständen den Standesbeamten spielen. Ich bin überzeugt, daß Thomas Melkope und Bessie Flepp sich auf See haben trauen lassen wollen. Kapitän Braxler mag sich erst gesträubt haben. Dann war er einverstanden. Und der blondbärtige Herr, der Bessie aus dem Gayty-Theater abholte, wird Melkope in einer Verkleidung gewesen sein. Ein blonder Bart ist schnell befestigt, wenn man es versteht.“

      „Nun ja – die Atlanta kehrte doch aber nicht zurück!“ sagte ich hartnäckig.

      „Nein – weil inzwischen etwas geschah, womit weder Braxler noch Melkope rechnen konnten. Mir ist jetzt nur noch ein einziger Punkt unklar: der Grund!“

      „Welcher Grund?“

      „Weißt Du das wirklich nicht?! Ich bitte Dich: Denke doch mal an Brittons Beobachtungen in der verhängnisvollen Nacht und an das, was er durch die Oberlichtfenster erlauschte.“

      Ich sann nach.

      „Ah – die Atlanta wurde entführt, und der Matrose Brigham hat den beiden Wachen auf der Atlanta mit dem Schnaps, den er ihnen spendete, ein Schlafmittel verabreicht –“

      „Sehr richtig. Und dieser weibliche Jachtbesitzer James Goorb ist mit dem Motorboot hinter der Atlanta dreingefahren. Britton sagte ja auch durch Klopfzeichen: „Mohalla Piratenschoner“. – Also auch er nimmt an, daß die Leute der Mohalla nicht harmlos sind.“

      „Ja – aber James Goorb ist jetzt doch wieder hier auf der Mohalla?!“

      „Stimmt. Das hängt eben mit dem Grund zu der Entführung der Atlanta zusammen. Und diesen Grund kenne ich noch nicht. Jedenfalls wissen wir jetzt schon recht viel. Die Schleier lüften sich. Und der ängstlich gewordene Brigham wird –“

       Die Frau mit den goldenen Schuhen

       Inhaltsverzeichnis

      Harst und ich fuhren gleichzeitig empor.

      Ein überlauter Knall und eine starke Erschütterung des Schiffes hatten uns hochgetrieben.

      „Ein Geschützschuß,“ meinte Harald. „Er dürfte dem Meteor Lord Albemarles gegolten haben, als Signal zum Stoppen.“

      „Meteor?“

      „Natürlich, mein Alter.“ Harst setzte sich wieder. Du sahst doch, wie erregt Brigham vorhin im Salon der Jacht mit dem Weibe flüsterte. Man wird den Meteor bemerkt haben, der der Mohalla gefolgt ist. Und weil der Meteor der Jacht folgte, muß Albemarle irgendwie erfahren haben, daß man uns beide gefangen genommen hat.“

      Oben auf Deck liefen eine Menge Leute hin und her. Aber ein zweiter Schuß wurde nicht abgefeuert.

      Und ich nahm wieder Platz. Mir war der Kopf ganz wirr von all den Eindrücken der letzten Stunden. Ich konnte gar nicht daran glauben, daß die Mohalla ein Piratenschiff sein sollte.

      Überhaupt – Piraten?! Gewiß, in den malaiischen und in den chinesischen Gewässern gab es noch hin und wieder farbige Seeräuber. Aber die Mohalla war doch ein elegantes Schiff mit Schonertakelung und Hilfsmotor! –

      Harald hatte die Zeitung jetzt in der Hand, die ich vorhin durchgeblättert hatte.

      Ich sah, wie er nun den Artikel über die gestörte Trauung Lord Blackmoores überflog.

      Er legte das Blatt weg, nahm die anderen Zeitungen vor und vertiefte sich hie und da in eine Notiz.

      Seine Stirn lag in Falten. Seine Augen waren ganz klein geworden. Ich merkte: er las nicht, nein, – nur seine Augen suchten einen beliebigen


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