Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel

Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch - Walther Kabel


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Brigham holte ihn vor anderthalb Stunden aus der Kneipe unten weg. Sie hatten’s mächtig eilig, die beiden. Seitdem ist Malcolm noch nicht zurückgekehrt.“

      „Mutter Flepp, hast Du Bessies Zimmer ordentlich durchsucht? Vielleicht könnte man dort etwas finden, das Aufschluß über den Herrn gibt, mit dem sie das Gayty-Theater verließ.“

      „Dort findest auch Du nichts, Jung’. Ich hab’ alles um und um gekehrt. – Hm, nur etwas möchte ich Dir zeigen. Es lag auf Bessies Schreibtisch unter dem Marmorschreibzeug.“

      Sie faßte in die Tasche und reichte Harst eine Spielkarte, und zwar eine Karo-Sieben.

      „Es fiel mir auf,“ erklärte Mutter Flepp weiter, „daß Bessie diese Karte dort versteckt hatte. Sonst hätte ich das Ding gar nicht beachtet. Ich habe die Karte auch Inspektor Davis schon gezeigt. Der lachte aber und wollte sie zerreißen.“

      Harald erhob sich und trat unter die elektrische Hängelampe, besichtigte die Karte und schob sie dann ebenfalls in die Tasche.

      „Du hast doch nichts dagegen, Mutter Flepp?“ meinte er.

      „Ne, Jung’, – wenn Du nur die Bessie wiederbringst. Ich hab’ doch nicht deshalb jeden Pfennig gespart, daß sie nun womöglich irgend einen hergelaufenen Kerl heiratet! Ich hab’ ihr immer gesagt: Bessie, ich bin reich, Du kannst ’ne feine Partie machen!“

      „Du hattest wohl schon einen Schwiegersohn in Aussicht, Mutter Flepp?“

      „Und ob, Harst, und ob! Schon seit vier Jahren. Ein feiner Mann, ein Lord!“

      „Was Du sagst – ein Lord!“

      Sie lächelte geschmeichelt. „Ja, Lord Albemarle, früher Oberst in der Kolonialarmee.“

      „Wohnt er hier in Madras?“

      „Ja, seit fünf Jahren. Er ist in Bessie sehr verliebt. Sie könnte längst seine Frau sein. Schon bevor ich sie nach England in das Pensionat schickte, hätte sie sich mit dem Lord verloben können. Er ist sehr reich. Freilich, mit dem Alter paßt das nicht ganz. Er ist um die Fünfzig herum.“

      Harald hatte sich eine Zigarette angezündet.

      „Wo war Bessie in Pension, Mutter Flepp?“

      „In Liverpool bei Miß Allins. Das vornehmste Töchterpensionat in Liverpool.“

      „Gut, Mutter Flepp. Vorläufig weiß ich genug. Wir werden jetzt noch ausgehen. Gibt es eine Möglichkeit, unbemerkt ins Haus zu gelangen?“

      „Ja, folgt mir nur.“

      Wir schlossen das Zimmer ab. Wir ahnten nicht, daß wir es nicht wieder betreten sollten.

      Mutter Flepp brachte uns über eine Seitentreppe auf den Hof und von hier durch einen überdachten Gang zwischen Grenzmauer und Haus an eine kleine Eisentür, die durch die Mauer auf eine Seitengasse führte. Sie gab uns den Schlüssel zu der Eisentür und zeigte uns, wo wir ihn draußen verbergen sollten. – Wir verabschiedeten uns von ihr mit kräftigem Händedruck. Sie rief uns noch leise nach: „Auf Geld kommt’s nicht an, Jung’s! Bringt mir nur die Bessie wieder!“

      Die Hafengasse hier war völlig finster. Wir tappten nach dem Kai hinab.

      „Ich fürchte, die Bessie wird nicht zurückkehren und erst recht nicht den Lord heiraten,“ meinte Harst. „In Liverpool war sie in Pension. Da kann sie so leicht einen schmucken Seemann kennengelernt haben! – Mutter Flepp ist nicht so harmlos, wie sie scheint. Sie hat Bessie offenbar zu diesem Schritt gezwungen. Sie will, daß das junge Mädchen den Lord um jeden Preis heiratet –“

      Er schwieg plötzlich. Er hatte noch mehr sagen wollen. Seine Hand krallte sich um meinen Arm.

      „Da – da – der Mann mit den Ohrringen,“ flüsterte er. „Und – neben ihm –“

      „Ja – was gibt’s denn? So sprich doch!“

      Ich sah die beiden Gestalten, die dort an einem Haufen Fässer im Lichtschein einer der Bogenlampen standen. Gewiß – einer der beiden Leute war der Matrose Brigham, war der Spion, der uns auf dem Bahnhof beobachtet hatte.

      Den anderen kannte ich nicht. Es war ein Herr mit grauem Spitzbart, der einen weißen Flanellanzug von etwas sehr jugendlichem Schnitt trug, dazu Lackschuhe mit weißen Gamaschen, einen Panamahut und – einen Kragen von beängstigender Höhe. – Kurz – es war der Typ des Lebegreises, der unbedingt noch jugendlich wirken will.

      Die beiden waren keine zwanzig Schritt von uns entfernt. Wir befanden uns im Schatten. Sie standen in strahlender Helle.

      „Lord Albemarle,“ flüsterte Harst. „Kein Zweifel, es ist Albemarle. Ich besinne mich jetzt genau auf sein Gesicht. Sehr genau. Man findet ihn jede Woche in indischen Sportzeitungen abgebildet. Der Mann macht alles. Es gibt keinen vielseitigeren Menschen wie Albemarle.“

      Nun erinnerte auch ich mich an den Namen Albemarle.

      Robert Albemarle, der Pferdezüchter, der Rennstallbesitzer und Autofex, – ich weiß Bescheid!“ meinte ich.

      „Da – er zieht sein Portefeuille,“ flüsterte Harald wieder.

      „Brigham lehnt das Geld ab –“

      „Sie treten in den Schatten des Fässerstapels. Warte hier auf mich –“

      Im selben Moment begann Harst auch schon ein bekanntes Matrosenlied zu gröhlen und torkelte, scheinbar schwer trunken, um die Ecke und den Weg an den Häusern entlang.

      Sein Gesang wurde bald schwächer, verstummte ganz.

      Ich ahnte, was er vorhatte. Er wollte die beiden belauschen.

      Zehn Minuten verstrichen. Albemarle und Brigham standen noch immer dort hinter den Fässern. Ich war aufs höchste gespannt, was Harald ausrichten würde. Ich konnte mir gar nicht denken, daß es ihm gelingen sollte, so nahe an die beiden heranzukommen, um auch ganze Sätze ihres doch fraglos sehr leise geführten Gesprächs mit anhören zu können.

      Jetzt löste sich dort aus dem Dunkel die helle Gestalt des Lords heraus. Er ging sehr eilig davon. Brigham entfernte sich nach der anderen Seite – dorthin, wo die Jacht Mohalla am Kai lag.

      Gleich darauf taumelte Harald leise singend auf mich zu.

      „Ihm nach – aber einzeln!“ rief er halblaut. „Jetzt wird die Sache interessant –“

      Er schritt weiter, torkelte immer weniger, setzte sich in Trab.

      An der Ecke der Bond-Street hielt ein Auto. Lord Albemarle wollte gerade einsteigen, als Harst neben ihm auftauchte. Ich war nur drei Schritte zurück.

      „Mylord, ein armer Seemann bittet um eine milde Gabe,“ grunzte Harald, noch ganz atemlos.

      Der Lord musterte ihn, griff in die Tasche und gab ihm eine Münze.

      „Schicken Sie das Auto weg,“ flüsterte Harst. „Wir wissen, wo Bessie Flepp ist –“

      Der Chauffeur, ein Inder, konnte nicht verstehen, was sein Herr und der Seemann verhandelten.

      „Wer sind Sie?“ fragte Albemarle ebenso leise.

      „Harald Harst –“

      Der Lord fuhr zusammen.

      „Harald Harst?! – Ach – Sie sind der Atlanta wegen hier –“

      Dann befahl er dem Chauffeur, ihn vor dem Hotel Imperial zu erwarten. Das Auto schoß davon.

      Wir drei bogen in die Anlagen ein.

      „Setzen wir uns,“ meinte Harald und wies auf eine Bank, die von einer der Laternen nur halb beleuchtet wurde.

      Albemarle hatte die rechte Hand in der Jackentasche.

      „Beweisen Sie mir, daß Sie Harst sind,“ sagte er kurz. Er war mißtrauisch.


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