Damals bei uns daheim. Hans Fallada

Damals bei uns daheim - Hans  Fallada


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einen Prozess zu führen, für den er den Rat meines Vaters wollte. Der Bericht aber, den Onkel Albert erstattete, war etwa folgender:

      War das liebe Weihnachtsfest vorüber, das natürlich auf gut deutsche Art in deutschen Landen gefeiert werden musste, und fing der weiße Winter an, in Nässe und Nebel auszuarten, so wurden alljährlich bei Onkel Albert die Koffer gepackt. Es ging in Gegenden, wo die Sonne schien: an die italienische oder die französische Riviera, nach Cannes oder Mentone, nach Nizza oder San Remo.

      Sorgfältig wurde die hoch an einem Berghang thronende Villa eingemottet und abgeschlossen. Höchstpersönlich stellte mein Onkel die Haupthähne der Gas- und Wasserleitung ab. Die beiden Hausmädchen gingen in einen schönen, langen, von allen Kolleginnen beneideten Urlaub, und die Reise begann.

      So war alles auch in diesem Jahre geschehen, alles hatte sich aufs beste angelassen. Und warum auch nicht? Es waren sichere Zeiten. Die entfernt und hoch über der Straße liegende Villa, durch einen Terrassengarten von ihr getrennt, durch Bäume und Buschwerk fast unsichtbar, schien keiner Gefahr ausgesetzt. Das Leben ging in dem kleinen, hauptsächlich von Pensionären bevölkerten Harzstädtchen behaglich und ein wenig verschlafen weiter, mit und ohne meinen Onkel.

      Natürlich geschah auch dort immer wieder etwas Besonderes. So erfuhren in diesem Winter Onkel und Tante durch einen Brief, dass es in der Nachbarvilla gebrannt habe. Aber die Feuerwehr war pünktlich zur Stelle gewesen, hatte fleißig gespritzt, und so war größerer Schaden nicht entstanden. Einen Tag lang redeten Onkel und Tante davon, was wohl gewesen wäre, wenn statt Gieseckes Villa die eigene gebrannt hätte. Da sie aber eben nicht gebrannt hatte, so trug diese Nachricht nur zur Erhöhung der Behaglichkeit bei.

      Dann kam unausbleiblich die Zeit, wo die beiden Rivierabesucher empfanden, die Sonne meine es etwas zu gut mit ihnen. Es gab übermäßig viel Staub, die Palmen sahen fast besenartig aus, und das internationale Publikum wurde immer langweiliger und gemischter. Nun pfiffen im heimatlichen Garten wohl schon die Stare, die Störche hatten ihre Heimreise aus Ägyptenland angetreten, und die Schwalben rüsteten auch zur Heimfahrt.

      Nicht anders machten es Rosens. Nach so viel Licht und Himmelsbläue sehnten sie sich nach einem deutschen Frühling mit zartem Grün, nach den weichen, wattigen Wolken des nördlicheren Himmels. Ein Brief an die getreue Auguste wurde geschrieben: nun sei es bald soweit. Auguste möge mit ihrer Kollegin die große Frühjahrsreinigung abhalten, die eingemottete Dunkelheit auslüften und aufhellen, den und den Tag kämen Rosens zurück.

      Also hielten Auguste und Kollegin Einzug, um die Villa aus dem Winterschlaf zu erwecken. Als sie von der Straße her durch den in vielen Terrassen liegenden Garten zum Hause emporstiegen, fiel ihnen auf, wie sehr der Winter es in diesem Jahre mit Feuchtigkeit übertrieben hatte: der Weg war ins Grundlose aufgeweicht, Beete waren fortgespült, und noch immer floss es, gurgelte es, plätscherte es, allerorten! Da aber besonders die letzten Tage viel Regen gebracht hatten, schien dies den beiden Guten nicht absonderlich. Man werde bald den Gärtner bestellen müssen, meinten sie und schritten an das große Reinigungswerk.

      In Verfolg dieses Unternehmens wurde es auch nötig, in den Keller zu gehen. Auguste öffnete die Kellertür, stieß geistesgegenwärtig einen schrillen Schrei aus, der ihre Kollegin sofort zur Hilfe rief, und stand dann starr, einer Ohnmacht nahe. Beide Wesen standen und starrten – auf die brodelnde, spülende Wasserwüste zu ihren Füßen. Die hölzerne Kellertreppe war verschwunden, auf einer graufarbigen Wasserflut tanzten Kartoffelkisten, Bretter, Weinflaschen, Einmachhäfen. Die Flut gurgelte und schäumte, es war ein unerschöpflicher Strudel.

      Plötzlich stießen die beiden Weibsen, als hätten sie den Zeitpunkt untereinander verabredet, gemeinsam einen neuen schrillen Schrei aus und verließen, wie sie waren, mit Kopftüchern und Schürzen, das Haus. Rasch breiteten sie sich durch die Stadt aus, die ganze Freundschaft derer von Rosen wurde benachrichtigt, und so starrte bald eine ansehnliche Versammlung durch die Kellertür auf die Wasserfluten, die in der Zwischenzeit unverdrossen weitergegurgelt hatten.

      Gottlob blieb es nicht nur beim Starren. Einige Erfahrene suchten den Haupthahn der Wasserleitung auf der Straße. Sie fanden ihn offen, obwohl mein Onkel ihn bei seiner Abreise geschlossen hatte, machten ihn von neuem zu, und gehorsam hörten die Fluten im Keller zuerst auf zu gurgeln und zu spülen, dann sanken sie. Jetzt erinnerte man sich des Brandes in der Nachbarvilla. Die Erklärung der geheimnisvollen Wassersnot war einfach: die Feuerwehr hatte den Haupthahn auf der Straße geöffnet, durch den starken, von der Spritze entwickelten Druck war ein Hauptrohr in meines Onkels Keller geborsten, und weil die Wehr bei ihrem Abrücken das Schließen des Haupthahns vergessen hatte, so hatten die Fluten gespült und gesprudelt – man rechnete nach – neunzehn Tage lang. Dass dies so lange hatte geschehen können, daran war nur der weitläufige Terrassengarten schuld, in ihm hatte das Wasser sich unbemerkt verlieren können.

      Ja, langsam verloren sich die Fluten, aber je tiefer der Wasserspiegel sank, um so stärkere Verwüstungen zeigten sich: das Wasser hatte den Kellerboden an vielen Stellen fortgespült und hatte sich dann viele Auswege unter den Grundmauern des Hauses fort gesucht. Unterspült waren diese Grundmauern, auf denen ein zweistöckiger, solider Bau ruhte, lange Risse zeigten sie, das Haus schien bedroht.

      Ein Telegramm rief den Onkel vor der Zeit aus der Winterfrische zurück. Ein alter Reiteroffizier trägt alles, und wenn auch nicht alles, so doch vieles mit Fassung. Der Onkel sprach: »Es sieht schlimm aus. Aber ich bin gegen Feuer- wie Wasserschaden versichert. Ich telegraphiere und schreibe sofort meiner Gesellschaft.«

      Unterdes sollte der Baumeister einen vorläufigen Kostenanschlag machen. Gebessert durfte noch nichts werden, denn ein Schaden muss erst vom Schätzer der Gesellschaft taxiert sein, ehe an ihm etwas geändert wird.

      Trotz der Warnungen seiner Freunde schlief der Onkel in der bedrohten Villa, und er schlief ausgezeichnet, nichts geschah. Am nächsten Tage erwartete er den Schadenschätzer seiner Gesellschaft, aber umsonst. Nichts rührte sich in Halle an der Saale, dem Sitz der für ihn zuständigen Bezirksdirektion. Statt dessen kam der Baumeister mit dem Kostenvoranschlag, der auf eine hohe Summe lautete. Er stellte meinem Onkel eindringlich vor, dass sofort mit den Erneuerungsarbeiten begonnen werden müsse. Jede Stunde könne ein Teil der unterspülten Grundmauern einstürzen und das Unheil sich dadurch verzehnfachen.

      Mein Onkel zuckte die Achseln. Die Versicherungsbedingungen seien eben so, dass vor der Taxe nichts geschehen dürfe, der Schätzer werde schon kommen. Sicherheitshalber sandte er noch ein Telegramm und schrieb einen Einschreibebrief, der nicht ganz so höflich gehalten war wie der erste.

      In dieser zweiten Nacht schlief der Onkel schon etwas schlechter. Es knackte im Gebälk, seltsame Laute drangen durch die Nacht zu ihm. Die Treppenstufen knarrten, ohne dass ein menschlicher Fuß sie berührte. Am Morgen stellte es sich heraus, dass ein Stück der Grundmauer in das Loch eines Strudels gestürzt war, eine Ecke des Hauses schwebte nun frei in der Luft. Auguste und das Mädchen wurden bei Nachbarn untergebracht, mein Onkel freilich erklärte, nicht weichen zu wollen.

      Dieser zweite Wartetag verstrich recht unangenehm zwischen beweglichen Klagen des Baumeisters, teilnehmendneugierigen Besuchen der Freundschaft, einem ständigen, schon fast krankhaften Aufhorchen nach ungewohnten Geräuschen und Fragen nach Lebenszeichen aus Halle an der Saale.

      In der Abendstunde sandte mein Onkel ein drittes Telegramm ab. Der Schalterbeamte hatte zuerst Bedenken, es weiterzubefördern, es schien ihm nicht ganz einwandfrei stilisiert. Aber mein Onkel bestand darauf, und mein Onkel war ein stadtbekannter Mann. Auch als Pensionär war er der Reiteroffizier geblieben, schlank, langbeinig, mit braunem Gesicht und schneeweißen Haaren. Im allgemeinen war er von den angenehmsten Umgangsformen, aber ein wahrer Ziethen aus dem Busch, wenn sein Blut in Wallung geriet. Und jetzt war es in Wallung geraten, er ärgerte sich, er giftete sich maßlos. Was dachten sich diese Brüder, diese Zivilisten, eigentlich?! Seit Jahrzehnten hatte er ihnen brav und pünktlich diese horrenden Prämien gezahlt, und jetzt, da er sie zum ersten Male brauchte, rührten sie sich einfach nicht! Sie rührten sich nicht! Und dabei war sein Haus am Einstürzen!

      Dass es dies wirklich war, zeigte ihm sein Baumeister am nächsten Morgen: in der freischwebenden Hausecke ließen sich die Fenster nicht mehr öffnen, die Türen klemmten, eine auf den Fußboden gelegte Kugel fing gespenstisch zu rollen an. Das Haus senkte


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