BLACK STILETTO. Raymond Benson

BLACK STILETTO - Raymond  Benson


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der Decke hingen und an denen man Schläge trainierte und der Double-End-Sack, der so rund wie ein Basketball war und sowohl an der Decke als auch am Boden befestigt wurde.

      Und dann, manchmal nach Ladenschluss, gab Freddie mir etwas Unterricht. Zuerst nur sporadisch, aber nachdem ich im November fünfzehn geworden war, machten wir daraus eine regelmäßige Sache. Er bezahlte mir nicht viel für meine Arbeit – wir hatten ausgemacht, dass der Großteil meiner Bezahlung als Trainingsstunden abgegolten wurde.

      Bis Weihnachten arbeitete ich weiter im Diner. Freddie und ich waren inzwischen gute Freunde geworden. Er mochte mich – nicht auf sexuelle Art, da bin ich sicher. Es war mehr so ein Vater-Tochter-Ding. Freddie erzählte mir, dass er sich wünschte, er hätte geheiratet, aber das hatte er nicht. Vielleicht war ich für ihn so etwas wie der Sohn, den er nie hatte, haha. Jedenfalls gab er mir eine Gehaltserhöhung und ich kündigte den Job im Diner. Mit Lucy blieb ich gut befreundet und schaute weiterhin zu den Mahlzeiten dort vorbei.

      Dann, kurz nachdem das Jahr 1953 begonnen hatte, jammerte ich Freddie die Ohren über mein Appartement voll, und wie widerlich und laut meine Nachbarn waren. Er sagte nur: »Komm mal mit.« Und so folgte ich ihm zu der Stahltür, die zu seinem Wohnbereich führte. Ich wusste, dass Freddie in einem Appartement über dem Gym wohnte, aber ich war noch nie bei ihm oben gewesen. Hinter der Tür befand sich eine Treppe mit zwei Absätzen, um die Höhe des Klubs auszugleichen, und führte dann in die eigentlich dritte Etage. Freddie führte mich zu einer Tür, die er öffnete. Da war ein großes, geräumiges Zimmer mit einem Doppelbett, einem Tisch, einer Kommode und einem angrenzenden Badezimmer.

      »Willst du hier wohnen?«, fragte er. »Das Schlafzimmer ist noch übrig, und ich habe keine Verwendung dafür.«

      Ich quietschte vor Freude und klatschte wie ein Schulmädchen in die Hände. Dann gab ich ihm eine dicke Umarmung.

      Und so, liebes Tagebuch, kam es, dass ich über dem Second Avenue Gym wohnte und stellvertretende Leiterin des Ladens wurde.

      Das Jahr 1953 verging wie im Flug. Ich war fünfzehn und seit mehr als einem Jahr aus Texas fort. Liebes Tagebuch, ich würde an dieser Stelle gern etwas festhalten wollen. Ich schreibe diese Zeilen 1958, und bin nun schon über fünf Jahre von zuhause weg. Du wirst denken, dass es furchtbar gewesen war, einfach so wegzulaufen, ohne jemanden etwas davon zu erzählen. Ich denke oft an meine Mom und meine Brüder, und ich träume von ihnen. Hin und wieder plagen mich Schuldgefühle, weil ich meiner Mutter nichts von meinem Plan, wegzulaufen, erzählt hatte. Wahrscheinlich war sie krank vor Sorge um mich. Ich wette, dass sie die Polizei nach mir suchen ließ. Wahrscheinlich hatten sie mich für tot erklärt. Aber darüber darf ich nicht allzu sehr nachdenken. Ich hoffe, dass es meiner Mom gut geht, und dass sie vielleicht von Douglas weggekommen ist. Dieser Mistkerl geht mir nicht aus dem Sinn. Der Schwur, den ich gab, als ich Odessa hinter mir ließ, hat für mich immer noch Bedeutung. Ich weiß, eines Tages werde ich zurückkehren, und er wird seine Strafe erhalten.

      Tut mir leid, liebes Tagebuch, aber ich musste ein paar Tränen verdrücken.

      Okay, zurück ins Jahr 1953. Ich trainierte das Boxen. Freddie war großartig. Er nahm mich hart ran, nachdem ich ihm sagte, dass er mich nicht wie ein Mädchen behandeln soll. Schnell wurde ihm klar, dass ich ziemlich zäh war, ganz gut einstecken und mindestens so gut austeilen konnte. Er brachte mir alles über Körperhaltung, die verschiedenen Schlagarten, Gegenangriffe und Deckung bei. Meine langen Beine waren beim »Tanz« im Ring von Vorteil. Schließlich entwickelte ich meinen ganz eigenen Box-Stil, und Freddie meinte, ich sei ein klassischer Distanzboxer.

      Das bedeutete, dass ich einen ordentlichen Abstand zu meinem Gegner halten und mit schnelleren Schlägen aus der Distanz angreifen konnte. Freddie erklärte mir, dass Gene Tunney, Billy Conn und Willie Prep ebenfalls Distanzboxer waren. Willie Prep war damals ein bekannter Profiboxer gewesen. Egal, wenn ich »meine Gegner« schreibe, dann war das zumeist Freddie selbst, haha. Es gab sonst niemanden, mit dem ich hätte kämpfen können. Er ließ mich nicht gegen andere Boxer im Studio antreten. Tatsächlich hielt er es geheim, dass er mich trainierte. Wahrscheinlich wollte er es sich ersparen, zum Gespött zu werden.

      Ich trainierte tagsüber, wenn ich nicht arbeitete. Hauptsächlich an dem Speed Bag, und kam an einen Punkt, wo ich verdammt gut war. Manchmal versammelte sich ein Publikum aus Kerlen, die um mich herum standen und mir für eine halbe Stunde oder so dabei zusahen. Sie pfiffen oder buhten mich aus. Für gewöhnlich ignorierte ich sie, aber ein Teil von mir genoss die Aufmerksamkeit. Hin und wieder trainierte ich an der Rudermaschine oder an den Krafttrainern, aber die meiste Zeit verbrachte ich mit Seilspringen. Ich war ziemlich gut darin, trotz meiner langen Beine.

      Die Männer zogen mich auf, und manchmal wurden sie direkt beleidigend, nur weil ich als Frau ihnen ihr Gebiet streitig machte. Aber als sie schließlich sahen, wie gut ich tatsächlich war, ließen sie mich in Ruhe. Hin und wieder beobachtete mich einer von ihnen, wenn ich am Sandsack trainierte. Wenn ich zusammen mit den Männern trainierte, trug ich lange Herrenhosen, ein Poloshirt und Tennisschuhe. Meine Haare band ich zu einem Pferdeschwanz zusammen. Wenn ich abends allein im Studio war, trug ich eng anliegende Sachen wie Strumpfhosen, um mich einfach besser bewegen zu können. Aber damit konnte ich unmöglich vor den Männern herumturnen, das wäre zu viel für sie gewesen, haha!

      Gelegentlich gab es Annäherungsversuche. Denn es wusste ja kaum jemand, wie alt ich wirklich war. Einige fragten mich, ob ich mit ihnen ausgehen würde, aber ich lehnte immer ab. Und dann war da Mack, der Teenager, dem ich die Nase gebrochen hatte. Von jenem Tag an war er so nett zu mir, wie man nur sein konnte. Er versuchte, mit mir ins Gespräch zu kommen, und nicht selten lud er mich zu einem Kaffee ein. Mack hatte sich als Boxer verbessert und war nun einer von Freddies vielversprechendsten Schützlingen. Ich hatte ihn einige Kämpfe gewinnen sehen.

      Am 4. November 1953, dem Tag, an dem ich Sechzehn wurde, nahm ich sein Angebot endlich an. Wir gingen auf einen Kaffee ins East Side Diner. Er spielte sogar ein Lied für mich auf der Jukebox, »I'm Walking Behind You« von Eddie Fisher. Das war noch bevor das mit Rock'n Roll richtig losging, und ich mich für Musik interessierte. Lucy arbeitete an dem Tag und winkte mir zu, so als hätte ich eine Art Eroberung gemacht. Es war ziemlich offensichtlich, dass Mack auf mich stand. Schon witzig, dass ich ihm erst die Nase brechen musste, damit er mich respektierte.

      Von da an waren wir zusammen. Er war in Manhattan geboren und aufgewachsen und – wie ich schätzte – neunzehn Jahre alt. Ich verriet ihm mein wirkliches Alter nicht. Mack wollte natürlich Boxer werden. Wie ich schon sagte, er war wirklich gut im Ring geworden, nachdem ich ihm die Nase zertrümmert hatte. Und, um ehrlich zu sein – die gebrochene Nase ließ ihn besser aussehen. Zum ersten Mal in meinem Leben begann ich, mich für jemanden des anderen Geschlechts zu interessieren. Auf gewisse Weise war ich erleichtert – die Erfahrung mit Douglas hatte mich also nicht komplett ruiniert.

      An Thanksgiving durfte er mich das erste Mal küssen. Freddie kochte ein großes Abendessen und ich half ihm dabei. Freddie war ein ziemlich guter Koch, aber ich war noch besser. Schätze, dass ein paar Eigenschaften meiner Mutter auf mich abgefärbt haben. Jedenfalls luden wir ein paar enge Freunde aus dem Studio ein, darunter auch Mack, sowie Lucy und Sam.

      Es war ein großartiger Tag, und wir stopften uns alle bis oben hin voll. Als schließlich alle satt und zufrieden herumsaßen, half mir Mack, die Küche aufzuräumen. Ich wollte gerade einen Topf abstellen, drehte mich um, und da war er. Er schlang seine Arme um mich, beugte sich vor und küsste mich. Ich hielt noch den Topf in der Hand! Tja, aber es war schön, also stellte ich den Topf ab und legte meine Arme um ihn. Ich hatte noch nie jemand auf diese Art geküsst, auf den Mund und … na du weißt schon … mit Zunge und so, und genoss es sehr. Den Rest des Abends taten wir dann nichts anderes als herumzuknutschen.

      Ich schätze, von da an waren wir ein Liebespaar. Ein paar Mal gingen wir zusammen mit Lucy und Sam aus. Ich mochte Sam noch immer nicht. Er war ein Prolet. Er flirtete hinter Lucys Rücken mit mir. Einmal fragte ich ihn: »Ist Lucy nicht deine Freundin?« Er antwortete: »Ja, na klar, aber das heißt ja nicht, dass ich nicht noch andere Gerichte auf der Speisekarte haben kann.« Zu gern hätte ich auch ihm die Nase gebrochen. Ich war drauf und dran, Lucy zu erzählen, was er so trieb, aber das hätte sie nur verletzt. Dafür liebte sie ihn zu


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