BLACK STILETTO. Raymond Benson

BLACK STILETTO - Raymond  Benson


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ihn begleitete und ein paar Meter entfernt von uns stehenblieb.

      »Wo genau liegt das Problem, Sir?«, fragte Mr. Zappelaugust.

      »Es gibt kein Problem. Ich hätte nur gern Zugang zu meinem Bankschließfach. Aber es ist zweiundfünfzig Jahre her, seit ich dies das letzte Mal probiert habe.« Ich reichte ihm meinen alten Führerschein, den Schlüssel – mit dem sich die alte Kiste öffnen ließ – und die Visitenkarte mit meiner Kontonummer.

      »Und was sollte diese Sache mit dem Gefängnis?«

      »Was für eine Rolle spielt das?«, fragte ich. Ich wurde ein wenig gereizter und spürte, wie mein Herz wieder zu hämmern begann. »Ja, ich war im Knast und wurde gerade entlassen. Ich bin hier, um mein Eigentum aus meinem Bankschließfach abzuholen. Das haben Sie doch noch, oder? Nicht umsonst nennt man die Dinger Safe. Dafür sind sie da, oder?«

      Der Bursche schürzte die Lippen. »Lassen Sie mich Ihr Konto überprüfen.« Er hämmerte auf die Tasten an dem Computer ein und überprüfte dann die Informationen auf meinem Führerschein. »Dieser Führerschein ist abgelaufen.«

      »Was Sie nicht sagen. Ich hatte noch keine Zeit, mir einen Neuen zu besorgen.«

      Schließlich warf der Typ dem Wachmann einen Blick zu und nickte. Alles war in Ordnung. Der Wachmann schlenderte davon, trieb sich aber in unsere Nähe herum, nur für den Fall. Dann kam der Clou. »Es tut mir leid, aber alle Bankschließfächer, die sich früher in auf der 48 Wall Street befanden, lagern jetzt in der Chase Bank Filiale auf der 25 Wall Street.«

      »Was?«

      Er wiederholte seinen Satz noch einmal.

      »Sie wollen mich wohl verarschen?«

      »Haben Sie keine Benachrichtigung mit der Post bekommen? Über den Umzug?«

      »Nein. Ich glaube nicht.« Ich wusste es nicht mehr. Außerdem hätten die Anwälte die Post bekommen. Vielleicht hatten sie mich nicht benachrichtigt.

      »Es tut mir leid, Sir. Sie müssen sich an die Chase Filiale wenden.«

      Herr. Im. Himmel.

      »Na schön. Danke für Ihre Mühen«, sagte ich zu ihm und der weiblichen Angestellten. Sie lächelte mich an, was wie ein Blitz in meine Eier fuhr. Ich hätte nicht gedacht, dass ich da unten noch etwas spüren würde, aber das tat ich. Musste der Italiener in mir sein. Wie auch immer, ich war zu angepisst, um darauf irgendwie zu reagieren. Am Liebsten hätte ich etwas zertrümmert.

      Stattdessen atmete ich tief durch und lief langsam aus dem Gebäude, latschte zurück zur 45 Wall Street. Ich erinnerte mich nicht mehr, was hier in den Fünfzigern gestanden hatte – tatsächlich war mir, als wurde das Gebäude gerade erst erbaut, als ich das letzte Mal hier war – aber jetzt stand da ein großer Hochhaus-Wohnkomplex mit Läden und solchen Dingen im Erdgeschoss. Und einer Chase Bank. Also ging ich hinein, sagte wieder meinen Spruch auf – dieses Mal zu einem Mann, den ich gedanklich Vierauge nannte, wegen den dicken Brillengläsern, die er trug – und nach ein paar Minuten Ausweis-Überprüfung und Formulare-Ausfüllens schien ich meinem Ziel endlich näher zu sein.

      Ich folgte Vierauge durch eine Tür und einen Korridor hinab. Er erklärte mir den Ablauf und führte mich in einen Tresorraum, der scheinbar eine Fantastilliarde Schließfächer enthielt. Der Typ hatte einen Schlüssel, den er in ein Schloss steckte.

      »Ihr Schlüssel gehört da hinein«, sagte er und deutete auf ein weiteres Schlüsselloch. Das war anders, als ich es in Erinnerung hatte. Damals, in der guten alten Zeit, hatte ein Schlüssel genügt, um die schmale Tür zu öffnen. Jetzt brauchte es zwei – meinen und seinen. Es war ein Wunder, dass mein Schlüssel überhaupt noch funktionierte.

      »Wollen Sie sich damit kurz zurückziehen, Sir?«, fragte er.

      »Ja.«

      Ich trug meine Kiste zu einer Reihe von Kabinen mit Türen. Der Banker führte mich in eine hinein und zeigte mir einen Knopf an der Wand. »Wenn Sie die Kiste zurückgeben wollen, drücken Sie da drauf.«

      »Danke.«

      Er ließ mich allein, und ich schloss die Tür. Ich setzte mich an den kleinen Tisch und öffnete ungeduldig die Kiste.

      Es war alles noch da.

      Unglaublich. Ich seufzte erleichtert.

      Zuerst stopfte ich das Geld in meine Jackentaschen – und was da nicht mehr hineinpasste, in meine Hosentaschen und sogar in meine Unterhose. Als ich damit fertig war, trug ich ein ganz nettes Polster. Vierundachtzigtausend Dollar. 1957 war das verdammt viel Geld gewesen. Ein Vermögen. Heute wahrscheinlich nicht mehr so viel. Aber immerhin genug, um erst einmal wieder auf die Beine zu kommen.

      Da waren mein heiß geliebter bulliger Colt Detective Special und eine Schachtel mit 38er Spezialmunition, also lud ich sechs davon in die Trommel, drehte sie einmal – sie musste geölt werden, das stand fest – und ließ sie zuschnappen. Den Rest der Patronen ließ ich in eine der Taschen mit dem Geld gleiten.

      Dann stand ich auf und versuchte, nicht allzu seltsam auszusehen. Sicher, es beulte meine Taschen aus, aber es wirkte nicht sonderlich verdächtig. Ich würde direkt in ein Hotel gehen und umschichten. Mit meinem Geld und meinem Revolver fühlte ich mich wie der König der Welt. So gut hatte ich mich nicht mehr seit – na ja, lange vor der Silvesternacht von 1957 gefühlt, so viel stand mal fest.

      Ich drückte den Knopf, um Vierauge zu rufen.

      Als Nächstes auf der Agenda: Ein Hotel, ein anständiges Essen und Kontakt mit ein paar der Jungs aufnehmen, sofern ich sie finden konnte. Dann musste ich mir was überlegen, wie ich diese Schlampe ausfindig machen konnte. Diese Black Stiletto. Zweiundfünfzig Jahre habe ich warten müssen, um den Tod meines Bruders zu rächen. Und bei Gott, ich würde diese Frau erwischen. Ich fragte mich, wo sie jetzt leben mochte. War sie noch am Leben? Ich hoffte es. War sie noch in New York? Wenn sie noch hier lebte, würde ich sie finden. Wenn nicht, würde ich jede gottverdammte Stadt in diesem Land abklappern, bis ich sie gefunden hatte.

      Wenigstens kannte ich ihren richtigen Namen. Das würde helfen.

      Judy Cooper.

      5| Judys Tagebuch

      1958

      Liebes Tagebuch, New York City hatte ich mir anders vorgestellt. Obwohl, so ganz stimmt das nicht. Sagen wir einfach, dass ich mir naiverweise dachte, es wäre leichter, sein Zuhause zu verlassen und in einer anderen Stadt neu anzufangen. New York war so gänzlich anders als Odessa, in jeder Hinsicht. New York – und alles, was ich da erlebte – erschien mir überaus fremd und wie ein anderer Planet. Überall waren Menschen, alle Sorten von Menschen, jede nur vorstellbare Nationalität. Autos und Busse und Lastwagen und Fahrräder und jede Menge Menschen. Und die Gebäude – wie Götter ragten sie riesengroß und überall um mich herum empor. Das war zu Anfang einfach überwältigend. Als ich am Port Authority aus dem Bus stieg, hatte ich nicht die leiseste Idee, was ich tun sollte.

      Ich war vierzehn, allein und besaß nur wenig Geld. Was zur Hölle machte ich in dieser Stadt eigentlich?

      Es ist wohl unnötig zu erwähnen, dass ich schnell und frühzeitig erwachsen werden musste. Ich weiß noch, dass ich in einer dieser Touristeninformationen an der Bushaltestelle stand und nach einem Hotel fragte. Für etwa eine Woche übernachtete ich in einer Absteige an der 42nd Street, erkundete die Stadt, und versuchte, das wenige Geld zusammenzuhalten, das ich besaß. Schließlich wagte ich mich weiter in die Innenstadt vor und trieb mich im östlichen Teil von Greenwich Village herum. Die unkonventionelle Art dieser Gegend gefiel mir. Ich gab mich als obdachlos aus, bekam eine Bleibe im YWCA am Broadway, dem Christlichen Verein für Junge Frauen, und machte mich auf die Suche nach einem Job. Da war ich bereits drei Wochen in New York und so gut wie blank. Dann sah ich eines Tages ein Schild im Fenster eines Restaurants an der Ecke der Second Avenue und East 4th Street, auf dem ›Aushilfe gesucht‹ stand. Der Laden hieß ›East Side Diner‹ und war eines jener Restaurants, die Frühstück, Mittag- und Abendessen anboten,


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