WASTELAND - Schuld und Sühne. Russell Blake

WASTELAND - Schuld und Sühne - Russell Blake


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zu hoffen, jedenfalls nicht in seiner Lebensspanne. Eigenständigkeit und Selbsterhaltung waren das Gebot der Stunde. Radiomeldungen rund um den Globus zeigten, dass kein Land ungeschoren geblieben war: Europa lag in Ruinen, Russland war ein Friedhof, Asien und der Mittlere Osten waren Katastrophengebiete. China hatte in einem halbherzigen Versuch gewagt, in den ersten Tagen nach dem Kollaps in Japan einzumarschieren, war jedoch eingeknickt, als die USA mit dem Einsatz von Kernwaffen gedroht hatten. Innerhalb von Wochen hatte das alles keine Rolle mehr gespielt – mittlerweile lag jeder im Sterben oder war zu krank, um noch zu kämpfen.

      Hungersnöte wüteten in Indien und Pakistan, die Sterblichkeitsrate in China kletterte auf fast 60 Prozent, weil es nicht genügend Krankenhäuser gab, und bald wusste man nicht mehr, wie man die Leichenberge entsorgen sollte. Von der Einhaltung von Recht und Ordnung ganz zu schweigen.

      Deshalb war der Gedanke, dass diese Idioten in Washington sich endlich zusammengerissen und wirklich etwas auf die Reihe bekommen hatten, nur ein Wunschtraum. Lucas konnte über solchen Schwachsinn nur mit den Augen rollen. Jeder, der sich an diesen Strohhalm klammerte, dass exakt die Bürokraten, die die Katastrophe nicht kommen sahen, wirklich mehr auf die Reihe bekamen, als ihre eigene Inkompetenz zu beweisen, musste komplett weltfremd sein. Besonders deshalb, weil die gesamte Infrastruktur längst zusammengebrochen war.

      Es war besser, sich zusammenzureißen und selbst das Nötige zu tun, um am Leben zu bleiben, statt an solche Märchen zu glauben. Wenn der Kollaps eines bewiesen hatte, dann war es Folgendes: Der größte Teil der Menschheit war unfähig gewesen, sich der harten Realität zu stellen. Sie waren abhängig von dem, was sich Zivilisation schimpfte und doch nur eine Art Sozialstaat war, der sich scheinbar um alle Probleme kümmerte.

      Als der Staat es dann nicht mehr hinbekam, wie schon zuvor bei regionalen Naturkatastrophen – zum Beispiel bei dem Hurrikan, der New Orleans von der Landkarte gefegt hatte – konnte sich Lucas nur noch über die große Anzahl an Menschen wundern, die es komplett unvorbereitet traf.

      Duke rückte die Lampe zurecht, bis das Licht auf die Frau fiel, und begann die Wunde zu begutachten. Er sah sich den Verband an und rief Aaron zu. »Bring mir das OP-Besteck. Alkohol, Gaze und das Brenneisen.«

      »Bin sofort zurück«, antwortete Aaron und verschwand in einem der Hinterzimmer.

      »Was ist ihre Geschichte?«, fragte Duke, während sie warteten.

      Lucas zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Habe sie in der Wüste gefunden, neben ihren toten Freunden.«

      »Sieht ziemlich heiß aus, oder?«

      Lucas grunzte etwas Unverständliches. »Wie laufen die Geschäfte?«

      »Kann nicht klagen.«

      Duke hatte den Handelsposten aufgebaut, nachdem das größte Chaos vorüber gewesen war, und war seitdem ganz gut damit gefahren. Dukes Regeln waren eigentlich ganz einfach: Er war ziemlich ehrlich, aber er fragte nicht, woher die Ware kam und sprach auch nicht darüber, woher er sie hatte. Seine Verschwiegenheit wurde geschätzt, allerdings nahm er sich dafür auch das Recht heraus, gewisse Deals abzulehnen.

      Der Kurzwellenempfänger in der Ecke rauschte und verstummte dann wieder. Lucas sah zu ihm hinüber. »Irgendwas neues da draußen in der Welt?«

      Duke lachte humorlos. Es klang wie ein raues Bellen. »Schwarze Helis. Die Russen kommen. Das Stromnetz wird bald in Ordnung gebracht. Ein Atomkraftwerk in Kalifornien hatte eine Kernschmelze und wir sind alle so gut wie tot. Such dir was aus.«

      »Also der übliche alte Scheiß.«

      »Genau.« Duke sammelte Gerüchte wie ein altes Fischweib und verbrachte Stunden damit, alle Funkfrequenzen abzusuchen, um mit anderen Überlebenden Informationen auszutauschen. Es war so etwas wie sein Hobby, aber er war tatsächlich auch einer der Ersten gewesen, die die Gefahr erkannt hatten, als der Kollaps begann. Die Medien hatten gern und oft gelogen, das Internet war im Namen der nationalen Sicherheit immer stärker zensiert worden und ehrliche Antworten waren rar. Man fand sie nur zwischen den Zeilen. Duke aber hatte Nachrichten aus dem ganzen Land von unabhängigen, gleichgesinnten Bürgern gesammelt, die sich schon Jahre im Voraus auf eine solche Katastrophe vorbereitet hatten und sich zu schützen wussten.

      Als die ersten Opfer der Supergrippe in Asien und dem Nahen Osten zu beklagen waren, hörte er die Geschichten darüber von dem heimkehrenden Militärpersonal, das zu seinem Netzwerk gehörte. Und die Geschichten unterschieden sich erheblich von dem, was online oder in den Nachrichten zu finden war. Anders als frühere Grippepandemien hatte diese einen langsamen Infektionsverlauf mit zunächst milden, kaum erkennbaren Symptomen. Das erlaubte dem Virus, sich wie ein Lauffeuer zu verbreiten, bevor jemand die Gefahr erkannte. Zu dem Zeitpunkt, an dem die heimischen Medien und das CDC schließlich bereit waren zuzugeben, dass die Sterblichkeitsrate des hochinfektiösen, durch die Luft übertragbaren Virus bei fast 40 Prozent lag, war es schon zu spät. Zwar überlebten letztendlich 60 Prozent der Erkrankten, aber selbst diese Glücklichen waren für zehn Tage bis zwei Wochen ans Bett gefesselt. Die Übertragungsrate lag bei fast 96 Prozent und nur eine verschwindende Minderheit entkam der Erkrankung dank einer angeborenen Immunität.

      In den frühen Tagen der Seuche grassierten diverse Verschwörungstheorien: über ein Laborvirus, einen Angriff auf die Vereinigten Staaten als Teil eines Plans zur Reduzierung der Weltbevölkerung, den Versuch einer Übernahme der Welt durch eine Gruppe von Eingeweihten. Besonnenere Stimmen erinnerten daran, dass so ziemlich alle einhundert Jahre irgendein Virus auftauchte, der dann einen Großteil der Weltbevölkerung auslöschte. Die letzte große Pandemie war die Spanische Grippe gewesen, die quasi den Ersten Weltkrieg beendet hatte, weil beide Seiten zu krank zum Kämpfen gewesen waren. Sie hatte in dieser Zeit, noch vor Erfindung der zivilen Luftfahrt, zehn bis zwanzig Prozent der Bevölkerung getötet.

      Doch so schlimm die Supergrippe auch gewesen war, es war letztendlich der Zusammenbruch des Finanzsystems und des Rechtsstaats gewesen, das weltweit alles zum Einsturz brachte. Anders als im Jahre 1918 war das globale Finanzsystem wegen unregulierter Derivatgeschäfte viel zu stark vernetzt. Die riesigen US-Banken hielten Papiere von europäischen und asiatischen Banken im mehrstelligen Billionenbereich – und umgekehrt. Das bedeutete: Wenn auch nur ein Dominostein in der Reihe fiel, würde er alle anderen mitnehmen. Da die führenden Industrienationen von der Grippe außer Gefecht gesetzt waren, wurden Kredite in Höhe von hunderten Billionen Dollar fällig und wie in einer Kaskade war plötzlich jede Firma und jede Bank auf dem Planeten zahlungsunfähig, weil sie überschuldet war. Nachdem das Vertrauen erst einmal erschüttert war, brach der nächste Pfeiler der modernen Finanzsysteme in sich zusammen: Der Staat wurde zahlungsunfähig, nachdem die US-Pfandanleihen über Nacht wertlos geworden waren. Die Zentralbanken warfen die Druckerpressen an, in dem hoffnungslosen Versuch, dem Verfall noch entgegenzuwirken, doch das führte nur zu einem Vertrauensverlust in die eigene Währung. Die folgende Hyperinflation ließ selbst Zimbabwe wie einen Musterschüler in guter Haushaltsführung aussehen.

      Als die Banken geschlossen blieben, die Kreditkarten nicht mehr funktionierten und niemand mehr Bargeld annehmen wollte, funktionierte gar nichts mehr, nicht einmal das Militär. Niemand war mehr bereit, für wertloses Papier zu arbeiten, das nur auf den leeren Versprechungen eines bankrotten Staates basierte.

      Als der Preis für eine Gallone Benzin innerhalb von zwei Wochen von drei über dreißig auf dreihundert Dollar kletterte, brach der Glaube an die Fiat-Währungen und an die hochverschuldeten Staaten endgültig zusammen. Dieser Glaube aber war das Einzige, was das System über Generationen am Leben erhalten hatte.

      Die Amerikaner mussten schnell feststellen, dass ihr sogenannter Reichtum ein recht fragiles Konstrukt war, das sich binnen weniger Tage in Luft auflösen konnte. Entsetzt sahen sie dabei zu, wie sich ihre Ersparnisse als Trugbild entpuppten. Und das geschah auch in jedem der anderen Länder der Welt, die alle vom selben Kartell vernetzter, privater Banken abhängig waren und die ihren Bürgern eingeredet hatten, dass wertloses Papier ein guter Gegenwert für ihre Arbeitskraft und ihren Landbesitz wäre. Als in den Städten Proteste aufflammten, was an der West- und an der Ostküste begann und sich ins Inland ausbreitete, waren die Behörden schon nicht mehr in der Lage, die Kontrolle aufrechtzuerhalten. Was zunächst nur kleine Aufstände in Baltimore,


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