DARK ISLAND. Matt James

DARK ISLAND - Matt James


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berechnend. Sein Äußeres wirkte hart und abweisend. Die meisten Bewohner der Stadt, die er inzwischen sein Zuhause nannte, betrachteten ihn als Störenfried.

      Die Kleinstadt Ambalavao lag neunundzwanzig Meilen nördlich des Andringitra-Nationalparks und war ruhig und friedlich. Die etwa 30.000 Menschen, die hier lebten, blieben größtenteils unter sich. Dabei kannte im Grunde jeder jeden, besonders zur Ortsmitte hin, wo die Bevölkerungsdichte zunahm. Zudem befand sich dort der Großteil der Geschäfte, während die meisten Wohnhäuser von Ambalavao in den Außenbereichen lagen.

      Der Umstand, dass die meisten Bewohner der Stadt einander kannten, war für Ian gleichermaßen Fluch wie Segen. Einerseits half es ihm, Vertrauen innerhalb der Gemeinschaft aufzubauen, insbesondere in den eher zwielichtigen Bezirken. Andererseits war es ein Fluch, weil auch der Teil der Bevölkerung, mit dem man lieber nichts zu tun hatte, genau wusste, wer er war, und keine Schwierigkeiten hatte, ihn aufzuspüren, falls es nötig sein sollte.

       Das ist der Preis dafür, in einem Kaff wie diesem Geschäfte zu machen.

       »Masina.«

      Ian riss den Blick von seinem Glas von Fossas Selbstgebrautem und entdeckte seine Nummer zwei, den einzigen Einheimischen, mit dem er regelmäßig zusammenarbeitete. Babos Englisch war recht anständig; jedenfalls gut genug, um über die Runden zu kommen. Und obwohl Babo Ians Vornamen kannte, zog er es vor, ihn mit einem anderen Namen anzusprechen.

      Masina, dachte Ian kopfschüttelnd. Geist.

      Das war zugegebenermaßen keine allzu liebenswerte Bezeichnung. Das mit dem »Geist« bezog sich auf seine weiße Haut, nicht auf seine Fähigkeit, so gut wie unsichtbar auf dem Schlachtfeld zu agieren. Nur sehr wenige in der Stadt wussten um seinen militärischen Hintergrund, obgleich es diesbezüglich jede Menge Spekulationen gab. Dem Mann, der ihn gerade Geist genannt hatte, ließ er die Sache allein aus dem Grund durchgehen, weil er Ians einziger, na ja, »Freund« war.

      Babotin Ulaadowe kam dem Inbegriff eines Riesen näher als jeder andere Mensch, dem Ian je begegnet war. Mit seinen zwei Metern und sechs war Babo fast dreißig Zentimeter größer als Ian und brachte mühelos fünfzig Kilo mehr auf die Waage. Manchmal war es Ian ein bisschen peinlich, dass sein Untergebener so viel kräftiger war als er selbst. Babos mächtige Statur ließ ihn gefährlicher wirken, als er in Wirklichkeit war. Für gewöhnlich hielt sich der Einheimische aus Konflikten heraus; er zog ein friedliches Leben vor. Doch in dieser Gegend war es nicht leicht, Geld zu verdienen, deshalb tat er dasselbe, was Ian machte, nur um Essen auf den Tisch zu bringen.

      Doch obwohl Ian Babo nicht wirklich für seine Geschäfte brauchte, war Babo in gewisser Weise trotz allem unverzichtbar für Ians und Fossas Unternehmungen, weil er vier verschiedene einheimische Dialekte beherrschte.

      Im Grunde seines Herzens war »Bob« kein Krieger, bloß jemand, der versuchte, für seine Familie zu sorgen. Wie unzählige andere lieferte auch seine Farm seit dem »Großen Beben« nicht mehr die Erträge wie zuvor. Babo und die übrigen Bauern suchten die Schuld dafür bei den bösen Göttern, die unter der Erde lebten, wie dem fanahin´ny haizina, dem »Geist der Dunkelheit«.

      Das war Dritte-Welt-Aberglaube vom Feinsten.

      Die vorherrschende Sprache auf Madagaskar war Malagassi. Ian hatte nicht lange gebraucht, um sie zu lernen. Die Sprache zu beherrschen, war hilfreich, um mit den anderen Krawallbrüdern Geschäfte zu machen, die dieses Land ihr Zuhause nannten. Selbst sein Auftraggeber, Fossa, sprach kaum eine Silbe Englisch. Er kannte vor allem Schimpfwörter und übertriebene Songtexte.

      »Was gibt‘s, Bob?«, entgegnete Ian auf Malagassi.

      »Da sein Frau«, sagte Babo, der keine Möglichkeit ungenutzt ließ, um sein Englisch zu verbessern. »Blasser Geist, wie du. Sie nach dir fragen.« Ians Blick schoss hinüber zur Tür und dann zurück zu Babo. Der große Mann hob eine Augenbraue. »Soll ich sie bringen rein?«

      Ian dachte einen Moment lang nach. »Will sie meine Hilfe oder sucht sie nach Ärger?«, fragte er, diesmal auf Englisch.

      Babo zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, aber sie sein süß.« Er lächelte. »Wenn man mögen Frauen ohne Fleisch, das sein.« Bei dem Wort Fleisch tätschelte er seine eigene Hüfte. »Ich mögen Fleisch.«

      Ian verdrehte die Augen. »Das hängt ganz von der Frau ab, Bob.« Er grinste. »Hol sie rein, mein Freund.«

      Babo verließ die Bar und verschwand für einige Minuten draußen. In der Zwischenzeit wandte sich Ian wieder seinem Bier zu. Zu trinken war seine Art der Therapie. Trinken war das Einzige, das die quälenden Albträume auf Abstand hielt. Wenn er nicht ein paar Bierchen intus hatte, wenn er sich abends hinlegte, geriet er allein schon beim Gedanken daran in Panik, Abigails Tod im Schlaf von Neuem miterleben zu müssen.

      Die Erinnerung an den Vorfall war so frisch wie an dem Tag, als es passiert war. Sein Gehirn konnte einfach nicht davon ablassen. Anfangs hatte er versucht, sich einzureden, dass es besser werden würde, wenn er den Mord an ihr aufklärte, doch bedauerlicherweise für seine Psyche war ihm das bislang nicht gelungen. Am schlimmsten war es gewesen, als er im Gefängnis saß, wo es für ihn keinerlei Möglichkeit der »Therapie« gegeben hatte. Er hatte mehr als fünfhundert Tage im Knast verbracht. Jede Nacht hatte er zitternd in der Ecke seiner Zelle gekauert, ehe er sich schließlich in den Schlaf geweint hatte. Selbst jetzt, allein beim Gedanken daran, ging sein Atem schneller.

      Nach seiner Freilassung gelang es Ian nicht, den Mut aufzubringen, den neu freigelegten Tunnel näher in Augenschein zu nehmen. Stattdessen suchte er jeden Quadratzentimeter Boden rings um das gewaltige Gebirge ab, doch wann immer er sich anschickte, seinen Aufstieg zum Gipfel zu beginnen – zum Schlund des Satans −, erstarrte er. Zudem hatten andere berichtet, dass mehrere der neueren Höhleneingänge aufgrund sporadisch auftretender Beben bereits wieder eingestürzt waren.

      Einmal hatte er sogar Babo mitgenommen.

      Dennoch ohne Erfolg. Er konnte diese mentale Barriere einfach nicht durchbrechen.

      Anstatt sich seinen Dämonen zu stellen, zog er es stattdessen mittlerweile vor, sich vor ihnen in den Alkohol und in willkürliche Schmuggelunternehmungen zu flüchten. Das Geld, das er dabei verdiente, ging vornehmlich für Nachforschungen und für das Zusammentragen der Ausrüstung drauf, die er für seine letzte Jagd benötigte. Sein schäbiges Apartment war vollgestopft mit genug Zeug, um eine ganze Expedition auszustatten.

      Darunter eine Wagenladung Waffen.

      »Lass mich los, du Mistkerl!«

       Ich schätze, Babo ist ein bisschen zu euphorisch zu Werke gegangen.

      Einen Herzschlag später wurde eine Frau durch die Tür der Schenke gestoßen. Babo folgte ihr allerdings nicht herein. Ian wusste, dass er draußen bleiben und die Augen nach irgendwelchen Typen aufhalten würde, die ein allzu großes Interesse an dem zeigten, was hier gerade vonstattenging. Die Neue wirkte besorgt, aber nicht verängstigt, was ihn angesichts des Umstands, dass sie technisch betrachtet gerade in einem fremden Land mitten auf der Straße entführt worden war, durchaus beeindruckte. Gleichwohl, ihre entschlossene Miene verriet, dass sie in ihrem Leben bereits das eine oder andere erlebt hatte.

      »Wie ich höre, suchen Sie nach mir?«

      Er stand nicht auf. Tatsächlich würdigte er sie beim Sprechen kaum eines Blickes. Ian interessierte sich durchaus dafür, was sie von ihm wollte – nur eben nicht übermäßig. Er hatte in den nächsten Tagen schon einige andere Dinge auf dem Zettel, die ihn auf Trab halten würden.

      Sie erstarrte und schaute in seine Richtung. Anstatt angsterfüllt die Flucht zu ergreifen, marschierte sie vorwärts und donnerte ihren Rucksack auf den Tisch. Sein Drink hüpfte in die Höhe, schwappte über und besudelte seinen Schoß. Er reagierte nicht.

      Das übernahm sie an seiner statt.

      »Mal ganz unter uns, Mr. Hunt, von einem amerikanischen Kriegsveteranen wie Ihnen hätte ich eigentlich erwartet, dass Sie sich mit besserer Gesellschaft umgeben!«

      Er


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