Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг

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Tarvin der Ehrenwerte Nikolas Tarvin und Mitglied eines gesetzgebenden Körpers in den Vereinigten Staaten war.

      Die Regierung, der die ununterdrückbare Rasse bekannt genug war, die in Reiterstiefeln in den Rat des Königs tritt und von Arracan bis zum Peschin das Recht zu Oelbohrungen fordert, wandte nichts dagegen ein, wiederholte aber, daß sie von Zeit zu Zeit ausführlichen Bericht über den Fortgang der Arbeiten erwarte. Als Tarvin davon erfuhr, stieg die kaiserlich indische Regierung in seiner Achtung. Er konnte ihr vollständig nachfühlen, daß sie wissen wollte, was vorging, er hätte ja auch so gern wissen mögen, wo sich das Halsband befand, hätte wissen mögen, wann die Zeit kommen würde, wo Käte einsehen mußte, daß sie ihn nötiger hatte, als das Elend der Welt sie!

      Mindestens zweimal in der Woche faßte er den Vorsatz, das Naulahka zu lassen, wo es war, nach Topaz zurückzukehren und den Beruf eines Bodenspekulanten und Versicherungsagenten wieder aufzunehmen. So oft er zu diesem Entschluß gelangt war, atmete er erleichtert auf und erinnerte sich mit Befriedigung, daß auf der Erdoberfläche wenigstens ein Ort sei, wo ein Mann ohne Winkelzüge ans Ziel gelangen konnte, vorausgesetzt natürlich, daß er die Ellbogen zu brauchen verstand, wo er auf geradem Wege seinen Ehrgeiz befriedigen konnte und nicht mit Vorliebe um fünf Ecken ging, um an die andre Seite eines Vierecks zu kommen.

      Manchmal, wenn er unter den blendenden Strahlen indischer Sonne geduldig in dem Flußbett schmorte, konnte Tarvin im stillen das Naulahka verfluchen, ja in der Ketzerei so weit gehen, daß er sich selbst vorredete, das ganze Halsband sei überhaupt nicht vorhanden, sei eine Mythe, wie des Königs Staatsweisheit und Dhunpat Rajs ärztliche Kunst. Und doch wieder – aus hundert Quellen flossen die Nachrichten über seine Existenz, seinen Wert, nur auf eine offene Frage erhielt man keine Antwort.

      Dhunpat Raj besonders, der einmal die Schwäche gehabt hatte, bei Tarvin über der neuen Doktordame »übertriebenen Eifer und ganz verschwenderische Verwaltung« zu klagen, hatte ihm mit seiner Beschreibung des Halsbands den Mund wässerig gemacht. Aber gesehen hatte es auch Dhunpat Raj nur einmal, und das war vor fünfzehn Jahren gewesen bei der Krönung des jetzigen Maharadscha, seither nicht wieder. Sogar die Sträflinge schwatzten darüber, und wenn sie über das ihnen zugeteilte Essen haderten, hieß es, die Hirse scheine hier so kostbar zu sein wie das Naulahka. Zweimal hatte der Maharadscha Kunwar ruhmredige Reden über alles, was er thun werde, wenn er König sei, mit der vertraulichen Mitteilung geschlossen: »Und das Naulahka werde ich alle Tage auf meinem Turban tragen.«

      Als ihn aber der große Freund, dem er seine Zukunftspläne auseinandersetzte, eifrig gefragt hatte, wo es denn sei, das Naulahka, das Staatsglück, hatte er ganz bescheiden geantwortet: »Ja, das weiß ich nicht.«

      Das höllische Ding schien ein Wort, ein Begriff, eine Mythe, ein Bild zu sein – alles eher, als das schönste Schmuckstück der Erde. In den Pausen zwischen Sprengungen und Ausgrabungen machte Tarvin immer wieder fruchtlose Versuche, auf seine Spur zu kommen. Er durchforschte die Stadt Bezirk um Bezirk und jeden einzelnen Tempel darin; unter dem Vorwand, archäologische Studien zu treiben, ritt er nach den Außenforts und nach zerstörten Palästen, die, weit von der Stadt, zerstreut in der Wüste lagen. Rastlos besuchte er alle Gruftkammern, wo die Asche der verstorbenen Könige von Gokral Sitarun ruhte. Er sagte sich selbst hundertmal, daß alles Suchen und Fragen umsonst sei, aber er bedurfte des Trosts der Spannung und Erwartung, so oft sie auch getäuscht wurden.

      Wenn er mit dem Maharadscha ins Land hinausritt, wußte er seine Ungeduld und Verstimmung zu bekämpfen. Im Palast, den er täglich mindestens einmal besuchte, angeblich, um über die Arbeit am Fluß zu berichten, widmete er sich hingebender als je dem Pachisispiel. Es gefiel dem Maharadscha in diesen Tagen, statt in dem weißen Marmorpavillon des Orangengartens, den er sonst zur Frühlingszeit bevorzugte, im Hof zu sitzen, unmittelbar vor Sitabhais Flügel des roten Palastes, und zum Zeitvertreib abgerichteten Papageien zuzusehen, die kleine Spielzeugkanonen abfeuerten, oder den hitzigen Kämpfen von Wachtelhähnchen, oder große graue Affen in englischen Offiziersuniformen exerzieren zu lassen. Kam der Oberst Nolan, so wurde letztere Kurzweil jäh unterbrochen, und die Affen mußten verschwinden, aber Tarvin durfte auch an diesem Genuß teilnehmen, wenn ihm der Damm Muße dazu ließ. Sein ganzes Wesen bäumte sich auf gegen die erzwungene Unthätigkeit, die Unmöglichkeit, dem Naulahka näher zu rücken, während er diesen kindischen Spielen zusah. Nur daß er den Maharadscha Kunwar bei dieser Gelegenheit fest im Auge behalten konnte, war ein Trost; dabei fand sein Scharfsinn doch einige Verwendung.

      Der Maharadscha hatte strengen Befehl erteilt, daß der Prinz allen Anordnungen der Doktordame zu gehorchen habe. Sogar sein schwerfälliger, trüber Blick nahm eine Besserung im Befinden des Kleinen wahr, und Tarvin trug Sorge, daß das Verdienst einzig und allein Käte zugeschrieben wurde. Allein der Knabe, der bisher nie im Leben Befehle erhalten und gehorchen gelernt hatte, fand plötzlich eine koboldmäßige Lust an Widerspruch und Ungehorsam und wandte all seinen Witz daran, samt Gefolge in dem von Sitabhai bewohnten Teil des Palasts herumzutollen. Dort fand er grauhaarige Schmeichler die Fülle, die sich vor ihm erniedrigten und ihm ohne Ende vorleierten, was für ein Herrscher er seiner Zeit sein werde, dort fand er auch hübsche Tänzerinnen, die ihm ihre Lieder vorsangen und ihn im Grund der Seele verderbt haben würden, wenn er nicht zu sehr Kind gewesen wäre für ihre Künste. Außerdem gab es dort Assen und Pfauen und Gaukler, die jeden Tag andre Kunststücke machten, Seiltänzer und ungeheuere Kisten, die aus Kalkutta kamen, und aus denen er sich allerlei Herrlichkeiten auswählen durfte: zierliche Pistolen, mit Elfenbein eingelegt, kleine Säbel in goldener Scheide, die in der Mitte eine Rinne hatte, worin Perlen hin und her liefen, die melodisch klingelten, wenn er den Säbel über seinem Haupte schwang. Daß er in einem Tempel, der ganz aus Elfenbein und Opalen bestand und sich im Innersten des Frauenreichs befand, den Opfertod einer Ziege mit ansehen dürfe, war ein Versprechen, das ihn mit unwiderstehlicher Gewalt fesselte.

      Diesen Wonnen gegenüber hatte ihm die ernste, schwermütige Käte, die immer zerstreut war und deren Augen häufig voll Thränen standen, Thränen des Mitleids und der Hilflosigkeit, im Missionshaus nichts zu bieten als die harmlosesten kindlichen Spiele. Der mutmaßliche Thronerbe machte sich gar nichts aus »Froschhüpfen«, das er sogar höchst würdelos fand, »Kämmerchenvermieten« war auch kein sonderlicher Genuß, für seinen Geschmack zu lärmend und unruhig. Vom Tennis wußte er zwar, daß die europäischen Prinzen es mit Vorliebe spielten, aber daß es zur Erziehung eines Radschputen gehöre, vermochte er nicht einzusehen. Mitunter, wenn er gerade sehr müde war – er kam manchmal auffallend erschöpft von einem der verbotenen Ausflüge in Sitabhais Gebiet zurück – konnte er lange stillsitzen und mit Spannung den Geschichten von Krieg, Schlachten und Siegen lauschen, die ihm Käte vorlas, aber wenn er dann am Schluß mit leuchtenden Augen in die Worte ausbrach: »Wenn ich König bin, müssen meine Soldaten alle diese Greuel verrichten,« so war seine Freundin wenig erbaut von der Wirkung ihres Vortrags.

      Es lag nicht in Kätes Natur, ja sie würde es für ein Unrecht gehalten haben, leise Versuche religiöser Unterweisung zu unterlassen. Aber dem gegenüber kehrte der Knabe sofort die ganze Unzugänglichkeit des Orientalen heraus und sagte einfach: »Dein Gott ist ganz gut für dich, Käte, aber meine Götter sind gut für mich, und wenn mein Vater wüßte, daß du mir von dem Christengotte erzählst, würde er sehr böse werden.«

      »Und was betest du denn an?« fragte Käte, im Grund ihres Herzens den kleinen Heiden bemitleidend.

      »Meinen Säbel und mein Roß,« lautete die entschiedene Antwort, und der Maharadscha Kunwar zog den juwelenbesetzten Säbel, der sein unzertrennlicher Begleiter war, halb aus der Scheide, in die er ihn mit einem lauten Knacks zurückschob, der weitere Erörterungen ausschloß.

      Der Maharadscha Kunwar mußte indes bald die Entdeckung machen, daß es wohl einigermaßen möglich war, Käte auszuweichen, aber nicht seinem langen Freund Tarvin. Er hatte ihm zu verstehen gegeben, daß die Anrede »Jüngelchen« oder »kleiner Mann« seinem Geschmack nicht besonders zusage, Tarvin hatte aber eine Art, das Wort Prinz mit ruhiger Unterwürfigkeit in die Länge zu ziehen, die dem jungen Radschputen öfter Zweifel aufdrängte, ob er sich nicht über ihn lustig mache. Daneben behandelte ihn aber Tarvin Sahib wieder ganz als Mann und erlaubte ihm, mit der nötigen Vorsicht natürlich, sein eigenes wirkliches »Gewehr« zu handhaben, das zwar kein Gewehr, sondern ein Revolver war.


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