Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг
Tiefen seines Samtsattels auf seinen eigenen Sattelknopf gesetzt und hatte ihm in einer Wolke von Staub gezeigt, wie der Cowboy seiner Heimat die Zügel auf diese oder jene Seite des Pferdehalses lege, um ihm die Richtung anzugeben, in der ein der Herde entflohener Stier eingeholt werden müsse.
Mit freier Hand von einem Sattel auf den andern gehoben zu werden, war ein Erlebnis, das die auch in einer morgenländischen Knabenseele schlummernde Lust an Zirkuskniffen wachrief und den Prinzen derart ergötzte, daß er sich in den Kopf setzte, das müsse vor Kätes Augen wiederholt werden, und da Tarvin der durchaus unentbehrliche handelnde Teil bei dieser Vorstellung war, lockte er ihn eines Tags vor das Missionshaus. Herr und Frau Estes traten mit Käte auf die Veranda. Der Missionar kargte nicht mit Beifall für dieses Schauspiel, ja er verlangte sogar mehrfache Wiederholungen, und als auch diese erfolgt waren, machte Frau Estes Tarvin den Vorschlag, da er nun doch einmal da sei, auch zu Tisch zu bleiben. Tarvin warf einen fragenden Blick auf Käte, der sich ihre Erlaubnis zur Annahme der Einladung erbitten wollte, und mit jener Logik, die Liebenden geläufig ist, nahm er ihren gesenkten Blick und das abgewandte Gesicht für Zustimmung.
Als man sich nach Tisch im Sternenlicht auf die Veranda setzte und die Gäste eine Weile allein blieben, fragte er: »Ist es dir wirklich unlieb?«
»Was?« fragte sie dagegen, ihm mit klarem, kühlem Blick voll ins Gesicht sehend.
»Daß ich dich mitunter treffe. Ich weiß ja, daß es dir nicht recht ist, aber wie soll ich dich sonst beaufsichtigen? Das wirst du ja mittlerweile einsehen gelernt haben, daß du einige Beaufsichtigung nötig hast.«
»O nein.«
»Ich danke dir,« sagte Tarvin beinah demütig. Er bezog offenbar die Verneinung auf seine erste Frage.
»Ich meine, daß ich keine Beaufsichtigung brauche!«
»Aber sie ist dir auch nicht unangenehm?«
»Jedenfalls ist sie ja gut gemeint,« versetzte sie, die Frage umgehend.
»Dann wäre es unrecht von dir, wenn du sie unangenehm fändest.«
Jetzt war es an Käte, zu lächeln.
»Nein, nein, ich finde sie nicht unangenehm.«
»Dann erlaubst du also, daß ich zuweilen hier vorspreche? Du machst dir keinen Begriff, wie öde solch ein Rasthaus ist, und diese Handlungsreisenden bringen mich noch um. Die Sträflinge am Damm sind auch nicht ganz mein Fall.«
»Da du nun einmal hier bist, sehe ich das ja ein, die Sache ist nur, daß du nicht hier sein solltest. Wenn du mir wirklich Güte erzeigen willst, Nick, so reise ab!«
»Wenn du mir nur eine leichtere Aufgabe stellen wolltest!«
»Aber sage mir nur, weshalb du hier bist. Du kannst wirklich keinen verständigen Grund dafür vorbringen.«
»Das findet die kaiserlich indische Regierung auch, aber mir genügen meine Gründe vollkommen.«
Tarvin gestand aber, daß er nach einem Tag in dieser tollen heidnischen Sonne oft eine brennende Sehnsucht nach etwas Heimatlichem, Natürlichem, Amerikanischem verspüre, und sobald er seine Gefühle in dieses Licht rückte, war Käte voll Verständnis und Teilnahme. Sie war mit dem Begriff aufgewachsen, daß Frauen eine Verantwortlichkeit dafür hätten, jungen Männern das Haus behaglich zu machen, und Tarvin fühlte sich mehr als behaglich, als sie ihm ein paar Abende darauf eine Nummer der Topazer Zeitung geben konnte, die ihr der Vater geschickt hatte. Tarvin fuhr darauf los wie ein Stoßvogel, kehrte die ärmlichen zwei Blatt um und um und dann in umgekehrter Richtung.
»Famos, famos!« murmelte er in seliger Verzückung, mit der Zunge schnalzend. »Nimmt sich der Anzeigenteil nicht sehr anständig aus? Nun, und wie steht’s mit Topaz?« rief er, das Blatt auf Armeslänge von sich haltend und die Spalten mit Liebesblicken überfliegend. »Scheint, die Stadt befindet sich wohl, geht ihr vortrefflich!«
Es klang wie das melodische Liebeswerben irgend eines Vogels, wenn er solche Worte sprach, und war wirklich vergnüglich anzuhören.
»Sag’ einmal, wir kommen voran, meinst du nicht? Wenn wir auch die C. C. C. noch nicht haben, so vertrödeln und verbummeln und vergeuden wir unsre Zeit drum nicht, nein, nein, wir marschieren flott mit im Zug! Haha! Sieh dir doch einmal das ›Vermischte aus Rustler‹ an, just was der Setzer in einen Winkelhaken bringt! Die gute alte wurmstichige Stadt legt sich friedlich aufs Ohr und schläft ein wie eine Greisin – nein, die Idee, dorthin eine neue Eisenbahnlinie zu führen! Nun, hör’ einmal dies: ›Milo C. Lambert, der Eigentümer der Mine »Lamberts letzter Graben« hat eine Wagenladung guten Erzes daliegen, findet aber, wie wir alle, daß der Versand nicht lohnt, wenn die nächste Eisenbahnlinie fünfzehn Meilen weit entfernt sei. Milo sagt, sobald er sein Erz fortgeschafft habe, werde er Colorado verlassen, denn hier sei nichts zu machen!‹
»Ganz richtig, Milo, was Rustler betrifft – komm nach Topaz, Mann, sag’ ich dir – und nun höre dies: ›Wenn die C. C. C. im Herbst hierher kommt, so wird das Gerede über schlechte Zeiten ein Ende haben. Mittlerweile begeht man eine große Ungerechtigkeit gegen die Stadt, eine Ungerechtigkeit, die alle guten Bürger bekämpfen und bestrafen sollten, wenn man behauptet, daß Rustler hinter irgend einer Stadt gleichen Alters zurückstehe. Thatsächlich steht Rustler geradezu auf einem Höhepunkt gedeihlicher Entwickelung. Mit Bergwerken, die im letzten Jahr ein auf eine Million zweihunderttausend Dollars geschätztes Ergebnis lieferten, mit sechs Kirchen verschiedener Bekenntnisse, mit einer noch jungen, aber vielversprechenden, in der Zunahme begriffenen Akademie, die bestimmt ist, dereinst in die vorderste Reihe amerikanischer Schulen zu treten, mit einer Bauthätigkeit, die nach Zahl und Bedeutung der im Vorjahr errichteten Gebäude der jeder andern Bergstadt gleichkommt und viele übertrifft, mit einer Bevölkerung rühriger, tüchtiger, entschlossener Geschäftsleute, kann Rustler im kommenden Jahr jeden Wettbewerb aufnehmen, um seinem Namen Ehre zu machen!‹
»Wer hat denn etwas dagegen? Wir doch nicht, uns kann’s ja einerlei sein, wir zucken nur die Achseln! Aber Heckler hätte das nicht in seine Korrespondenz aufnehmen sollen, dumm von ihm,« erklärte Tarvin mit gefurchter Stirne. »Es könnte doch in Topaz Leute geben, die darauf reinfallen und sich nach Rustler verziehen, um die C. C. C. dort abzuwarten! Im Herbst kommt sie hin, hieß es nicht so? O Gott, O Gott, O Gott! Auf diese Weise vergnügen sich die Leute, sitzen auf ihrem Berg, lassen die Füße baumeln und legen die Hände in den Schoß! Nun, wenn’s ihnen Spaß macht, können sie ja auf die C. C. C. warten bis zum jüngsten Tag! Doch was steht denn da?
»›Unsre Kaufleute zeigen sich der freudigen Stimmung durchaus gewachsen, die in der Stadt herrscht, seit bekannt wurde, daß Präsident Mutrie bei seiner Rückkehr nach Denver ein günstiges Urteil über Rustlers Ansprüche gefällt hat. Robbins zeigt eine sehr hübsch aufgebaute Auslage von Luxusartikeln. Sein Geschäft scheint große Anziehungskraft zu üben auf unsere Jüngsten, die ein paar Nickel ausgeben können!‹
»Da hört sich doch alles auf! Solch ein Mumpitz! Sag’ einmal, liebe Käte, würdest du dich nicht freuen, wenn die C. C. C. eines schönen Morgens angeschnaubt käme in Topaz?« fragte Tarvin plötzlich, indem er sich zu Käte aufs Sofa setzte und die Zeitung so hielt, daß sie mit hineinsehen konnte.
»Würde es dir große Freude machen, Nick?«
»Mir? Und ob! Ist das eine Frage!«
»Dann würde ich mich natürlich auch freuen! Aber ich glaube, daß es für dich zuträglicher wäre, sie käme nicht hin. Du könntest zu reich werden – denk’ an meinen Vater!«
»Ich werde schon den Radschuh einlegen, wenn ich merke, daß ich zu reich würde! Sobald ich über das Stadium anständiger Armut hinaus bin, werde ich Halt machen, das verspreche ich dir! Thut’s einem nicht in der Seele wohl, wieder einmal den alten Zeitungskopf zu sehen – Hecklers Name in lebensgroßen Buchstaben unter dem Untertitel: ›Aelteste Tageszeitung des Distrikts‹ und Hecklers Faust ausgestreckt über einem zündenden Leitartikel über das Wachstum und die Aussichten der Stadt? Meint man nicht, daheim zu sein? Zwei Spalten mehr hat er im Anzeigenteil, das beweist den Aufschwung der Geschäfte! Und sieh