Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг
Himmels – hättest du das für möglich gehalten, Käte? Und doch ist’s so! Macht mich ordentlich fromm und gut. Wenn du viel sagst, lese ich auch noch die innere Seite!«
Käte lächelte. Auch in ihr rief das Zeitungsblatt ein gewisses Heimweh hervor. Sie hatte auch ein Herz für Topaz, aber was aus den Zeilen des geschäftigen Tageblatts vor ihrem inneren Auge aufstieg, war das Bild ihrer Mutter, die lange Nachmittage in ihrer Küche saß – Frau Sheriff hatte in den Zeiten der Armut und des Wanderlebens keinen »Salon« gehabt und bevorzugte auch jetzt noch den Aufenthalt in ihrer Küche – und wehmütig zu den schneegekrönten Berggipfeln aufsah, die bange Frage im Herzen, wie es ihrem Kinde wohl gehen, was es um diese Stunde thun möge. Wie deutlich diese Nachmittagsstunden in der Küche nach gethaner Arbeit vor Käte standen! Aus den Zeiten des Eisenbahnbaus war ihr besonders ein Schaukelstuhl erinnerlich, der einst bessere Tage gesehen und im Salon geglänzt hatte. Die Mutter hatte seine Schäden mit einem alten Fell verhüllt und ihn dem Küchendienst zugewiesen. Mit Thränen in den Augen erinnerte sie sich, wie oft die Mutter gewollt hatte, daß sie drin sitze, und wie gemütlich es gewesen war, von ihrem eigenen Sitz, dem Holzkorb neben dem Herd aus, die kleine Gestalt der Mutter ganz in seinen Tiefen verschwinden zu sehen. Sie hörte die Katze schnurren unter dem Herd und den Wasserkessel singen, ganz deutlich hörte sie wieder die Uhr ticken und fühlte, wie ihr zwischen den schlecht gefügten Brettern des Fußbodens in der eilig erbauten Baracke der kalte Prairiewind um die Beine strich.
Ueber Tarvins Schulter blickte sie auf die zwei rohen Holzschnitte, die jede Nummer des Tageblattes schmückten. Der eine stellte Topaz im Keim, das Topaz des ersten Jahrs seiner Entstehung dar, der andre das glänzende Topaz der Gegenwart, und ihr wurde sehr weh ums Herz.
»Ein Unterschied, nicht?« bemerkte Tarvin, die Richtung ihres Blickes beobachtend. »Erinnerst du dich noch, wo deines Vaters Zelt zu stehen pflegte, und kannst du dir noch denken, wo das alte Sektionshaus stand, da unten ganz dicht am Fluß?«
Er deutete auf das Bildchen, und Käte nickte stumm.
»Das waren eigentlich doch schöne Zeiten damals, meinst du nicht, Käte? Dein Vater war freilich noch kein reicher Mann wie jetzt und ich noch viel weniger, aber seelenvergnügt waren wir doch alle miteinander!«
Auch Kätes Gedanken schweiften in jene Zeit zurück, und die schmächtige Gestalt der Mutter stand wieder vor ihr; sie sah sie nicht nur im Schaukelstuhl ruhen, sondern mit harter Arbeit mancherlei Art beschäftigt. Besonders sah sie eine eigenartige Bewegung greifbar deutlich vor sich; wenn die Mutter am offenen Herdfeuer gekocht oder Krapfen gebacken oder auch die Glut geschürt hatte, war so häufig eine Hand nach der Stirne gefahren, um das junge und von Mühsal doch schon gealterte Gesicht vor der Glut zu schützen. Käte mußte ihre Thränen hinunterwürgen; das einfache Bildchen stand so fabelhaft klar vor ihr bis auf den Feuerschein auf den schmalen Wangen der Mutter und dem rosigen Licht, das durch die dünnen Finger schimmerte.
»Hallo!« rief Tarvin, der sich abermals in die interessante Zeitung vertieft hatte. »Sie haben ja noch ein Gespann anschaffen müssen für die Straßenreinigung! Eins hatten wir ja schon. Das Wetter vergißt Heckler auch nicht, und das ›Mesahaus‹ scheint Gäste genug zu haben, eine ganze Liste. Das ist ein gutes Zeichen. Wenn die neue Linie da ist und wir das richtige Hotel haben, werden sich alle Reisenden in Topaz aufhalten, im Vergleich mit mancher Stadt kann sich ja unser ›Fremdenverkehr‹ jetzt schon sehen lassen! Zu fünfzig haben sie neulich im Mesahaus gespeist – telegraphische Bestellung. Und eine neue Gesellschaft hat sich gebildet zur Verwertung der heißen Quellen! Weißt du, mich würde es gar nicht wunder nehmen, wenn dort eine vollständige zweite Stadt entstünde – Heckler hat ganz recht, das wäre eher förderlich als schädlich für Topaz! Stört uns gar nicht, wenn in solcher Nähe eine entsteht – die wird bald genug zur Vorstadt von Topaz werden.«
Tarvin gab seiner Dankbarkeit für die Zugeständnisse, die ihm Käte gemacht hatte, dadurch Ausdruck, daß er zeitig ging, aber am folgenden Abend legte er sich ein weniger strenges Zeitmaß auf, und da er nicht Miene machte, verbotene Gesprächsgebiete zu berühren, fand es Käte recht angenehm, ihn da zu haben. Er gewöhnte sich infolgedessen an, des Abends, wenn die Familie bei weitoffenen Fenstern und Thüren um die Lampe saß, vorzusprechen und eine gute Weile mitzuplaudern. In der Glückseligkeit über thatsächliche Ergebnisse ihrer Arbeit, die sie allmählich unter ihren Augen entstehen und wachsen sehen durfte, hatte Käte lange nicht mehr soviel gegen seine Anwesenheit in Rhatore einzuwenden als anfangs. Mitunter ließ sie sich auch von ihm auf die Veranda hinauslocken, in die Pracht und Herrlichkeit einer indischen Nacht, wo die »Hitzblitze« gleich feurigen Schwertern am Horizont aufzuckten, das Firmament tief, herabhing auf die in wundersamem Schweigen ruhende Erde. Meist aber saßen sie drinnen bei dem Missionar und seiner Frau, plauderten über Topaz, das Spital in Rhatore, den Maharadscha Kunwar, Tarvins Damm und nicht selten über die Kinder des Ehepaars im fernen Bangor. Meist aber drehte sich das Gespräch, wenn es allgemein wurde, zu Tarvins Mißvergnügen um den kleinlichen Klatsch, der in jedem abgeschlossenen Lebenskreis so wichtig genommen wird.
So oft derartige Dinge aufs Tapet kommen wollten, riß Tarvin gewaltsam das Gespräch an sich und zwang den Missionar, auf Zollgesetze, Silberwährung und andres einzugehen, wobei wenigstens jeder etwas lernen konnte. Tarvin war ein durch ernstes Zeitungslesen vielseitig unterrichteter Mann, die Grundlagen seiner Bildung aber hatten ihm das Leben selbst und die Notwendigkeit, sich den eigenen Weg zu bahnen, beigebracht, und theoretischer Zeitungspolitik wie den Schulsystemen gegenüber brauchte er die haarige Faust des gesunden Menschenverstands.
Müßiges Streiten und leere Wortklaubereien waren indes nicht seine Sache, und am liebsten unterhielt er sich, wenn es sein konnte, mit Käte. Seit sich einige Erfolge feststellen ließen und ihr Mut wuchs, bildete das Spital den Hauptgegenstand der Unterhaltung zwischen den beiden, und Käte gab endlich Tarvins dringender Bitte nach, ihm das Musterinstitut zu zeigen, daß er sich selbst von der Vortrefflichkeit ihrer Neuerungen überzeugen könne.
Seit den Tagen des »unheilbaren Wahnsinns« und der Herrschaft der »in ihrem Dorf hoch geschätzten klugen Frau« hatte sich in der That vieles geändert, doch Käte allein wußte, wieviel noch zu thun übrig war. Jetzt war das Spital wenigstens sauber und die üblen Gerüche waren beseitigt, vorausgesetzt natürlich, daß sie jeden Tag selbst nachsah, und die Kranken waren auf ihre Weise auch dankbar für eine gütigere und zweckmäßigere Behandlung, als sie ihnen je widerfahren war. Nach jeder gelungenen Heilung liefen Gerüchte durchs Land von einer neuen Macht, die in Gokral Sitarun eingezogen sei, und andre Hilfsbedürftige rückten an oder auch eine Geheilte brachte selbst ein Kind, eine Schwester, eine Mutter her, die schon den unverbrüchlichen Glauben an die »weiße Fee«, die alle Schäden heilen konnte, übernommen hatten. Sie konnten ja nicht einmal beurteilen, wieviel Käte mit ihren ruhigen Bewegungen wirklich für sie leistete, aber was sie davon wahrnahmen, dafür waren sie dankbar. Ihre unverbrauchte Thatkraft riß sogar Dhunpat Raj einigermaßen mit sich fort. Er wurde ganz eifrig im Tünchenlassen der Wände, dem Desinfizieren der Räume, dem zweckmäßigen Lüften des Bettzeugs und ließ sogar willig die Betten, worin Blatternkranke gestorben waren, deren Verkauf ihm sonst Nebeneinkünfte geliefert hatte, den Flammen übergeben. Seit er inne geworden war, daß hinter dieser »Doktordame« ein sehr entschlossener weißer Mann stand, arbeitete er entschieden noch williger in ihrem Sinn – er war eben ein Eingeborener. Tarvins Besuch und ein paar scherzhaft hingeworfene Worte, hinter denen er den Ernst witterte, hatten ihn über diesen Umstand aufgeklärt.
Vom Dialekt der Kranken verstand Tarvin wenig, und die Frauenabteilung zu besuchen, wurde ihm nicht gestattet, aber er sah doch genug, um Käte uneingeschränktes Lob spenden zu können, das diese vergnügt lächelnd einstrich. Frau Estes nahm ja wohl Anteil an ihren Bestrebungen, aber Begeisterung hatte sie nicht dafür, und so war es ihr eine wirkliche Genugthuung, von Tarvin gelobt zu werden, der ihren Plan selbst so sehr mißbilligt hatte.
»Es ist sauber hier und die Luft ist rein, kleines Mädchen,« erklärte er, nachdem er sich umgesehen und herumgeschnüffelt hatte, »und du hast mit diesen Quallenmenschen wahre Wunder vollbracht. Wenn du mein Gegner bei der Wahl gewesen wärest, statt deines Vaters, so wäre ich jetzt kein Gesetzgeber!«
Von jenem Teil ihrer Thätigkeit, der im Frauenpalast des Maharadscha lag, sprach Käte nie