Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг

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beschloß die Rede. Selbst der Priester fühlte sich ergriffen, und der Älteste fürchtete einen bösen Zauber. Aber keiner konnte lange in des Lamas ernstes, sanftes Gesicht blicken und an ihm zweifeln.

      »Siehst Du meinen Chela?« sprach er, mit einem tiefen Griff in sein Schnupftabaks-Gefäß. Es war Pflicht, Höflichkeit mit Höflichkeit zu vergelten.

      »Ich sehe – und höre.« Der Älteste wandte die Augen nach Kim, der mit einem blaugekleideten Mädchen schwatzte, das knisternde Dornen auf ein Feuer warf.

      »Er auch,« sprach der Lama, den Blicken des Ältesten folgend, »sucht etwas für sich selbst. Keinen Strom, aber einen Stier. Ja, ein roter Stier auf grünem Felde wird ihn eines Tages zu Ehren bringen. Er ist, so glaube ich, nicht ganz von dieser Welt. Er ward mir plötzlich gesendet, mir bei meinem Suchen zu helfen, und sein Name ist: Freund der ganzen Welt.«

      Der Priester lächelte. »He da, Freund der ganzen Welt« rief er durch den scharf riechenden Rauch, »was bist Du denn?«

      »Der Schüler dieses Heiligen,« entgegnete Kim.

      »Er sagt, Du bist ein »but« (ein Geist).«

      »Können buts essen?« fragte Kim blinzelnd, »denn ich bin hungrig.«

      »Es ist kein Scherz,« rief der Lama. »Ein gewisser Astrologe in der Stadt, deren Namen ich vergessen –«

      »Das ist nur die Stadt Umballa, wo wir die letzte Nacht schliefen,« flüsterte Kim dem Priester zu.

      »Ah, Umballa war es? Er stellte ein Horoskop und erklärte, mein Chela würde seinen Wunsch innerhalb zweier Tage erfüllt sehen. Aber was sagte er von der Bedeutung der Sterne, Freund aller Welt?«

      Kim räusperte sich und sah sich um nach dem Graubärtigen des Dorfes.

      »Die Bedeutung meines Sternes ist Krieg,« erwiderte er promphaft.

      Irgend jemand lachte über die kleine zerlumpte Gestalt, die da auf der steinernen Sockelplatte unter dem großen Baum umherstolzierte. Bei Gelegenheiten, wo Eingeborene sich niederzulegen pflegen, brachte sein weißes Blut Kim meist auf die Füße.

      »Ja, Krieg,« rief er.

      »Das ist eine sichere Prophezeiung,« polterte eine tiefe Stimme heraus, »denn Krieg ist immer an den Grenzen entlang, so viel ich weiß.«

      Es war ein alter, verwitterter Mann, der so sprach. In den Tagen der Meuterei hatte er, als eingeborener Offizier, dem Gouvernement gedient, in einem neu gebildeten Kavallerie-Regiment. Die Regierung hatte ihm einen guten Besitz in dem Dorfe überwiesen, und obwohl seine Söhne, nun auch graubärtige Offiziere, ihn für ihre eigenen Bedürfnisse genommen hatten, war er doch immer noch eine Person von Bedeutung. Englische Unterbeamte, Vizekommissare selbst, wichen von der Hauptstraße ab, um ihn zu besuchen. Bei solchen Gelegenheiten trug er die Uniform vergangener Tage und stand steif wie ein Ladestock.

      »Aber dies soll ein großer Krieg sein – ein Krieg von acht Tausend.« Kims Stimme schrillte so über den sich schnell ansammelnden Haufen, daß es ihn selbst befremdete.

      »Rotröcke oder von unseren eigenen Regimentern?« fragte eifrig der alte Mann, als spräche er mit einem Gleichgestellten. Der Ton flößte den Leuten Respekt vor Kim ein.

      »Rotröcke,« sagte Kim auf gut Glück. »Rotröcke und Kanonen.«

      »Aber – der Astrologe sagte kein Wort davon,« rief der Lama, in seiner Aufregung erstaunlich schnupfend.

      »Aber ich weiß es. Das Wort ist mir zugekommen, der ich der Schüler dieses Heiligen bin. Es wird ein Krieg erstehen – ein Krieg von acht Tausend Rotröcken. Von Pindi und Peshawur werden sie herbei gezogen. Dies ist sicher.«

      »Der Knabe hat Bazar-Geschwätz gehört,« sagte der Priester.

      »Aber er war stets an meiner Seite,« sprach der Lama. »Wie sollte er es wissen? Ich wußte es nicht.«

      »Das wird ein geschickter Gaukler, wenn der alte Mann tot ist,« flüsterte der Priester dem Ortsältesten zu. »Welch ein neuer Streich ist dies?«

      »Einen Beweis, gieb mir einen Beweis,« polterte plötzlich der alte Soldat. »Wenn Krieg wäre, würden meine Söhne es mir gesagt haben.«

      »Wenn alles bereit ist, zweifle nicht, werden Deine Söhne es erfahren. Aber es ist ein weiter Weg von Deinen Söhnen bis zu dem Mann, in dessen Händen dies alles liegt.« Kim wurde warm bei dem Spiel. Es erinnerte ihn an seine Briefbesteller-Karriere, wo er für ein paar Kupfermünzen heuchelte, mehr zu wissen als er wußte. Jetzt aber spielte er um größeren Preis – um den Reiz der Intrigue und das Gefühl der Macht. Er holte tief Atem und fuhr fort:

      »Alter Mann, gieb Du mir einen Beweis. Geben Untergeordnete Befehl, daß achttausend Rotröcke marschieren sollen – mit Kanonen?«

      »Nein.« Wieder antwortete der alte Mann, als ob Kim seines Gleichen wäre.

      »Weißt Du denn, wer Er ist, der den Befehl gibt?«

      »Ich habe ihn gesehen.«

      »Und erkanntest Ihn!«

      »Ich kenne Ihn, seit er Leutnant in der Top-Khana (Artillerie) war.«

      »Ein großer Mann. Ein großer Mann mit schwarzem Haar, der so geht?« Kim tat ein paar Schritte in steifer, hölzerner Haltung.

      »Ja; aber das kann jeder gesehen haben.« Unter den Zuhörern herrschte atemlose Stille während dieser Unterhaltung.

      »Das ist wahr,« rief Kim. »Aber ich werde mehr sagen. Schau! Erstens geht der große Mann so. Zweitens, wenn er nachdenkt, tut er’s so:» (Kim strich mit dem Zeigefinger über seine Stirn und abwärts bis zum Mundwinkel.) »Gleich darauf zuckt er mit den Fingern, so. Darauf drückt er den Hut unter die linke Achselhöhle.« Kim illustrierte die Bewegung und stand da wie ein Storch.

      Der alte Mann stöhnte, stumm vor Erstaunen; die Leute schauderten.

      »So – so – so. Aber was tut er, wenn Er einen Befehl erteilen will?«

      »Er reibt die Haut im Nacken – so. Dann klopft er mit einem Finger auf den Tisch und macht ein kleines schnüffelndes Geräusch mit der Nase. Alsdann spricht er: »Macht so und so ein Regiment mobil. Zieht diese Kanonen heraus!«

      Der alte Mann stellte sich steif auf und salutierte.

      »Denn« – Kim übersetzte die scharfen Sätze, die er vor dem Ankleidezimmer in Umballa erlauscht und gut behalten hatte, in die Landessprache – »Denn,« sagte Er, »wir haben viel zu lange gezögert. Es ist nicht Krieg – es ist Bestrafung. Snff!«

      »Genug. Ich glaube Dir. Ich habe ihn so gesehen im Rauch der Schlachten. Gesehen und gehört. Er ist es.«

      »Ich sah keinen Rauch« – Kims Stimme schraubte sich hinauf zu dem verzückten Singsang der Wahrsager von der Landstraße – »ich sah dies in der Dunkelheit. Erst kam ein Mann, den Platz klar zu machen. Dann kamen Reiter. Dann kam Er und stand in einem Kreis von Licht. Das Übrige folgte, wie ich gefügt habe. Alter Mann, habe ich Wahrheit gesprochen?«

      »Das ist Er. Ohne jeden Zweifel, Er ist es.« Die Menge tat einen langen, zitternden Atemzug und starrte abwechselnd die Gestalt des noch immer erstaunten alten Mannes und des zerlumpten Kim an, die sich gegen das purpurne Zwielicht abhob.

      »Sagte ich nicht – sagte ich nicht, daß er von einer anderen Welt stammt?« rief stolz der Lama. »Er ist der Freund der ganzen Welt. Er ist der Freund der Sterne!«

      »Wenigstens,« rief ein Mann, »betrifft es uns nicht. He! Du kleiner Wahrsager, wenn die Gabe Dir jederzeit treu bleibt – ich habe eine rotgefleckte Kuh – vielleicht ist sie die Schwester Deines Ochsen – was weiß ich –«

      »Oder was kümmert’s mich,« sprach Kim, »meine Sterne befassen sich nicht mit Deinem Rindvieh.«

      »Aber,« fiel eine Frau ein, »sie ist so krank. Mein Mann ist ein Büffel, oder er hätte seine Worte besser gewählt. Sage


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