Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг

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der blau beturbante Gatte. »Nimm das Kind auf den Schoß. Er ist ein heiliger Mann, siehst Du?«

      »Und mein Schoß ist voll mit sieben mal siebzig Bündeln. Willst Du vielleicht, daß er auf meinem Knie sitzt? Schamloser! Aber so sind die Männer immer!« Sie sah sich nach Beifall um. Eine am Fenster sitzende Courtisane von Amritzar kicherte hinter ihren Kopftüchern.

      »Steig ein, steig ein!« rief ein beleibter hindostanischer Geldverleiher, der sein Kontobuch, in ein Tuch gewickelt, unter dem Arm trug. Und mit einem fettigen Schmunzeln: »Es ist recht, gegen Arme gütig zu sein.«

      »Aha! mit sieben Prozent monatlich und einem Pfandbrief auf das ungeborene Kalb,« sagte ein junger Dogra-Soldat, der auf Urlaub nach dem Süden war; und alles lachte.

      »Wird er nach Benares fahren?« fragte der Lama. »Gewiß, weshalb sonst wären wir hier? Steig ein, sonst werden wir zurückgelassen,« rief Kim.

      »Seht!« kreischte das Amritzar-Mädchen. »Er hat noch keinen Zug bestiegen. O, seht!«

      »Nein, helft,« sagte der Farmer, eine große, braune Hand ausstreckend und den Lama hereinziehend. »So wird es gemacht, Vater.«

      »Aber – aber – ich muß auf dem Boden sitzen. Es ist gegen die Vorschrift, auf der Bank zu sitzen. Und dann – es macht mir Krämpfe.«

      »Ich sage,« begann der Geldverleiher, mit gekräuselten Lippen, »es gibt keine Regel gerechten Lebens, die diese Züge uns nicht zu brechen zwingen.« Wir sitzen, zum Beispiel, Seite an Seite mit allen Kasten und allem Volk.«

      »Ja, und mit höchst Schamlosen,« sprach die Frau höhnisch nach dem Amritzar-Mädchen schielend, die einem jungen Sepoy verliebte Augen zuwarf.

      »Ich sagte gleich,« meinte der Gatte, »wir sollen den Weg zu Wagen machen. Wir hätten noch Geld dabei gespart.«

      »Ja, und das Gesparte doppelt für Essen ausgegeben auf dem Wege. Das ist doch zehntausendmal besprochen worden.«

      »Ja,« murrte er, »und von zehntausend Zungen.«

      »Die Götter mögen uns armen Weibern beistehen, wenn wir nicht sprechen dürfen. Der ist von der Sorte, die eine Frau nicht ansehen, noch mit ihr sprechen dürfen.« Der Lama hatte, seiner Regel gemäß, nicht die geringste Notiz von ihr genommen. »Und ist sein Schüler ebenso?«

      »Nein, Mutter. Nicht wenn die Frau hübsch und barmherzig gegen die Hungrigen ist,« war Kims schlagfertige Antwort.

      »Eine Bettler-Antwort,« sprach lachend der Sikh. »Du hast sie Dir selbst zugezogen, Schwester!« Kim hatte bittend die Hände gefaltet. »Und wohin gehst Du?« fragte die Frau, ihm aus einem fettigen Paket einen halben Kuchen reichend.

      »Geradeaus nach Benares.«

      »Gaukler vermutlich,« meinte der junge Soldat. »Könnt Ihr uns einige Kunststücke vormachen, um uns Zeit zu vertreiben? Warum antwortet der gelbe Mann nicht?«

      Weil,« antwortete Kim hochmütig, »er heilig ist und an Dinge denkt, die Dir verborgen sind.«

      »Das kann möglich sein. Wir,« sprach er rollend und volltönend, »wir von den Loodhiana Sikhs plagen unsere Köpfe nicht mit heiligen Lehren – wir fechten!«

      »Meiner Schwester Brudersohn,« sprach gemessen der Sikh-Handwerker, ist Naik (Korporal) in dem Regiment. Es sind auch einige Dogra-Kompanien dabei.«

      Der Soldat wurde still: denn ein Dogra ist von niederer Kaste, als ein Sikh; und der Geldmann kicherte.

      »Mir sind die alle gleich wert,« sagte das Amritzar-Mädchen.

      »Das glauben wir,« schnaubte boshaft des Farmers Weib.

      »Nein, aber alle, die dem Sirkar (Regiment) mit Waffen in der Hand dienen, sind eine Brüderschaft. Da ist eine Brüderschaft von der Kaste – aber über dieser wieder –« sie blickte schüchtern um sich – »das Band des Pulton – das Regiment – nicht?«

      »Mein Bruder ist in einem Jat-Regiment,« sagte der Farmer. »Dogras sind tüchtige Männer.«

      »Deine Sikhs wenigstens dachten so,« sprach der Soldat mit einem Grinsen nach dem stillen, alten Mann in der Ecke. »Deine Shiks dachten so, als unsere beiden Kompanien ihnen vor noch nicht drei Monaten bei Pirzai Kotal auf dem Bergpaß, angesichts von acht Alfridi-Fahnen zu Hilfe kamen.«

      Er erzählte die Geschichte einer Grenz-Aktion, bei der die Dogra-Kompanien von den Loodhiana-Sikhs sich tapfer gehalten halten. Das Amritzar-Mädchen lächelte: sie wußte, daß die Geschichte erzählt wurde, um ihren Beifall zu gewinnen.

      »O weh!« sagte die Frau des Farmers. »So wurden ihre Dörfer verbrannt und ihre kleinen Kinder heimatlos?«

      »Sie hatten unsere Toten gebrandmarkt. Sie hatten eine große Summe zu zahlen, nachdem wir von den Sikhs ihnen eine gute Lehre gegeben. So war es. Ist dies Amritzar?«

      »Ja, und hier müssen wir die Fahrkarten vorzeigen,« sagte der Bankier, an seinem Gürtel herumtastend.

      Die Lampen glommen fahl in der Dämmerung, als der Halbblutschaffner die Runde machte. Fahrkarten-Einsammeln ist im Osten ein langsames Geschäft, weil die Leute sie an allen möglichen sonderbaren Orten verstecken. Kim zeigte die seinige vor und wurde hinaus gewiesen.

      »Aber,« protestierte er, »ich muß nach Umballa. Ich reise mit diesem heiligen Mann.«

      »Du kannst meinetwegen nach Jehannum (Hölle) gehen. Dies Billet ist nur bis Amritzar. Hinaus!«

      Kim brach in eine Flut von Tränen aus, beteuerte, der Lama sei sein Vater und seine Mutter, er sei die Stütze der alten Tage des Lama und dieser würde ohne seinen Beistand sicherlich sterben. Der ganze Wagen bat den Schaffner, Mitleid zu haben – der Geldmann besonders war sehr bereit – der Schaffner aber packte Kim und warf ihn auf den Bahnsteig.

      Der Lama blinzelte mit den Augen; er begriff den Vorgang nicht; Kim erhob die Stimme und weinte draußen vor den Wagenfenstern.

      »Ich bin so arm. Mein Vater ist tot. Meine Mutter ist tot. O, Barmherzige, wer soll für den alten Mann sorgen, wenn ich hier bleibe?«

      »Was – was ist dies?« fragte der Lama. »Er muß nach Benares. Er muß mit mir fahren. Er ist mein Chela. Wenn Geld bezahlt werden muß –«

      »O, schweige,« flüsterte Kim; »sind wir Rajahs, daß wir gutes Silber wegwerfen, wo die Welt so barmherzig ist?«

      Das Amritzar-Mädchen stieg mit ihren Bündeln aus. Auf sie richtete sich Kims schlauer Blick. Damen von dem Bekenntnis, wußte er, sind großmütig.

      »Ein Billet – ein kleines Billetchen nach Umballa – o, Herzenbrecherin!« Sie lachte. »Hast Du kein Erbarmen?«

      »Kommt der heilige Mann vom Norden her?«

      »Von weit, weit aus dem Norden her kommt er,« antwortete Kim. »Aus den Bergen her.«

      »Schnee ist zwischen den Fichtenbäumen im Norden – auf den Bergen ist Schnee. Meine Mutter war aus Kulu. Hol’ Dir ein Billet. Bitte ihn um einen Segen.«

      »Zehntausend Segen.« kreischte Kim. »O, Heiliger, eine Frau hat uns barmherzig gegeben, so daß ich mit Dir kommen kann – eine Frau mit einem goldenen Herzen. Ich renne, das Billet zu holen.«

      Das Mädchen blickte zu dem Lama auf, der Kim mechanisch auf den Bahnsteig nachgefolgt war. Er senkte das Haupt, um sie nicht anzusehen, und murmelte etwas in Tibetanisch, als sie in der Menge sich verlor.

      »Leicht bekommen – leicht gegeben,« sprach höhnisch die Farmerfrau.

      »Sie hat Verdienst erworben,« erwiderte der Lama, »gewiß ist sie eine Nonne.«

      »Solcher Nonnen gibt’s in Amritzar allein zehntausend. Komm zurück, alter Mann, sonst geht der Zug ohne Dich ab,« rief der Bankier.

      »Nicht nur für das Billet war’s genug,« sagte Kim auf seinen Platz springend, »auch für etwas zu essen. Nun iß, Heiliger. Sieh, der


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