Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг
amerikanischen Heimat, während der indische Punkah über ihren Köpfen rauschte.
Selbstverständlich hatte Tarvin eine Landkarte von Colorado in der Tasche, und als das Gespräch über die Vereinigten Staaten sich mehr und mehr vertiefte und westwärts zog, breitete er sie auf dem Frühstückstisch zwischen Waffeln und Schnitzeln aus, um den neuen Freunden die Lage von Topaz klar zu machen. Er machte dem Missionar begreiflich, was eine Eisenbahnlinie von Norden und Süden aus dem »Platz« machen würde, und mußte dann natürlich auch zärtlich beschreiben, was für eine wunderbare Stadt sein Topaz heute schon war, mußte alle Gebäude aufzählen, die im letzten Jahre aus der Erde gewachsen waren, und genau schildern, wie man sich nach dem großen Brand aufgerafft und gleich am andern Morgen neu zu bauen angefangen hatte. Das Feuer hatte die Versicherungssumme von baren hunderttausend Dollars in die Stadt gebracht. In unbewußter Abwehr gegen die Ungeheuerlichkeit der leeren Landschaft vor den Fenstern übertrieb er noch mehr als sonst – dieser ungeheure Osten durfte weder ihn, noch Topaz verschlingen!
»Wir erwarten eine junge Dame, und ich glaube, sie kommt aus ihrem Staat,« bemerkte Frau Estes, der bisher alle Städte des Westens gleich wesenlose Begriffe gewesen waren. »Hieß der Ort nicht Topaz, Lucien? Ich meine, das stand in dem Brief …«
Sie stand auf und kramte in ihrem Nähkörbchen, um sich Gewißheit zu holen.
»Jawohl, Topaz … ein Fräulein Sheriff. Sie wird uns von der Zenana-Mission zugeschickt – Sie kennen die junge Dame vielleicht?«
Tarvin steckte den Kopf in seine Landkarte, die er dann umständlich zusammenfaltete.
»Ja, ich kenne sie,« sagte er dann kurz. »Wann wird sie denn erwartet?«
»Sie kann jetzt täglich eintreffen,« erwiderte Frau Estes.
»Kommt mir traurig vor, ein junges Mädchen da herüber zu schicken,« bemerkte Tarvin, »so weit weg von den Ihrigen und allen Freunden … obwohl Sie ja gewiß freundlich gegen sie sein werden,« setzte er mit einem raschen Blick in Frau Estes’ Augen hinzu.
»Wir werden uns alle Mühe geben, ihr das Heimweh fern zu halten,« versetzte die Missionarsfrau in ihrem mütterlichen Ton, »Wir brauchen ja nur an unsre eigenen Kinder zu denken – an Laura und Fred in Bangor.« »Das ist sehr freundlich von Ihnen!« rief Tarvin mit Wärme – er nahm offenbar großen Anteil an der Zenana-Mission! »Darf ich mir die Frage erlauben, was für Geschäfte Sie hierher führen?« fragte der Missionar, indem er seiner Frau die leere Kaffeetasse zum Füllen hinhielt.
Estes drückte sich ein wenig förmlich und steif aus und die Stimme drang dumpf aus der dichten Wildnis eines ungewöhnlich langen und dichten eisengrauen Barts hervor. Er hatte ein etwas bärbeißiges aber wohlwollendes Gesicht, eine stramme und dabei herzliche Art und einen guten treuherzigen Blick, dem Tarvin gern begegnete. Sein Urteil war klar und bestimmt und schien namentlich über die verschiedenen Rassen der Eingeborenen ganz fest zu stehen.
»Nun, ich beabsichtige zu schürfen,« erwiderte Tarvin in gleichmütigem Ton, dabei durchs Fenster starrend, als ob er jeden Augenblick Käte mitten in der Wüste auftauchen zu sehen erwarte.
»Aha! Wohl Gold?«
»Hm – nun ja, Gold so gut wie andres.«
Estes führte seinen Gast auf die Veranda hinaus, um eine Zigarre mit ihm zu rauchen, die Frau kam mit ihrer Näharbeit nach und setzte sich zu ihnen. Nun lenkte Tarvin das Gespräch auf das Naulahka und fragte geradezu, was und wo es sei. Aber es stellte sich heraus, daß der Missionar, obwohl er ein Amerikaner war, durchaus nicht mehr davon wußte, als die faulen Geschäftsreisenden in dem Rasthaus. Er wußte von seinem Vorhandensein, kannte aber außer dem Maharadscha niemand, der es je gesehen hätte. Tarvin mußte recht viel Gleichgültiges anhören, um immer wieder auf diesen Punkt zu gelangen, und da der Missionar hartnäckig an der Vorstellung festhielt, daß er Gold suchen wolle, fand er es schließlich rätlich, darauf einzugehen.
»Sie denken natürlich an das Auswaschen des Erzes?« warf Estes hin.
»Versteht sich,« pflichtete Tarvin bei.
»Im Ametfluß werden Sie schwerlich viel finden! Dort haben die Eingeborenen seit Jahrhunderten krampfhaft Gold gewaschen, und nun findet sich höchstens noch, was der Triebsand vom Quarzgestein der Gungrahügel heranführt. Aber Sie werden Ihr Unternehmen wohl in großem Stil betreiben wollen?« setzte der Missionar mit einem forschenden Blick hinzu.
»Selbstverständlich, in ganz großem Maßstab.«
Estes setzte voraus, daß Tarvin die Schwierigkeiten wohl erwogen haben werde. Er müsse die Bewilligung des Oberst Nolan und durch diesen die der englischen Regierung erlangen, wenn er irgend dran denke, etwas Ernstliches ausrichten zu wollen. Des Obersten Erlaubnis müsse überhaupt schon eingeholt werden, um in Rhatore bleiben zu dürfen.
»Sie meinen, ich müsse es der Regierung lohnend erscheinen lassen, daß sie mich gewähren läßt?«
»Ja, das meine ich.«
»Gut, das soll geschehen.«
Frau Estes warf einen raschen Blick zu ihrem Mann hinüber. Nach Frauenart machte sie sich ihre Gedanken.
Achtes Kapitel.
Tarvin hatte in den nächsten acht Tagen viel zu lernen, und nachdem er sein Anpassungsvermögen zuerst äußerlich durch einen schneeweißen Leinenanzug bewiesen hatte, begann die Einweihung in ein völlig neues System von Manieren, Gebräuchen und Anschauungen. Nicht alles, was er zu beachten lernte, sagte ihm zu, aber er hatte seinen Zweck fest im Auge und wußte, warum er sich fügte, auch ließ er seine neue Lebensweisheit keinen Tag ungenützt, sondern verwendete sie gleich dazu, sich dem einzigen Mann vorstellen zu lassen, von dem er mit Sicherheit wußte, daß er den Gegenstand seiner Sehnsucht mit Augen gesehen hatte. Estes war gerne bereit, ihn beim Maharadscha einzuführen, und so ritten sie denn eines Morgens den steilen Felsabhang hinauf, worauf der selbst aus dem Felsen gehauene Palast stand.
Durch einen breiten, dunkeln Thorweg gelangte man in einen mit Marmor gepflasterten Hof, wo der Maharadscha in Begleitung eines einzigen zerlumpten und zerschlissenen Dieners einen Foxterrier besichtigte, der in der Sonne ausgestreckt auf den Fliesen lag.
Tarvin, der sich über Könige im allgemeinen nur sehr mangelhafte Vorstellungen machen konnte, hätte von einem solchen, der seine Rechnungen nicht bezahlte, immerhin eine gewisse Würde und billigerweise ein zurückhaltendes Benehmen erwartet; auf die Schlampigkeit eines Herrschers im Hausrock, der sich, von dem ihm sonst durch die Gegenwart des englischen Statthalters auferlegten Zwang befreit, behaglich gehen ließ, war er dagegen ebensowenig gefaßt gewesen, als auf die malerische Mischung von Schmutz und Schmuck an diesem Hofe. Dieser braune Maharadscha mit dem buschigen Bart, der einen mit Gold gesprenkelten Schlafrock aus grünem Sammet trug, schien entschieden ein liebenswürdiger Despot zu sein, dem es sichtlich das größte Vergnügen machte, einen Mann kennen zu lernen, der nichts mit der englischen Regierung zu schaffen hatte und das Wort Geld nicht in den Mund nahm.
Die ganz unverhältnismäßige Zierlichkeit der Hände und Füße des hochgewachsenen Beherrschers von Gokral Sitarun verriet jedem Eingeweihten, daß er das älteste Blut von Radschputana in seinen Adern hatte. Seine Vorfahren hatten blutig gekämpft und waren weit geritten mit Schwertgriffen und Steigbügeln, die man in England für Kinderspielzeug angesehen haben würde! Sein Gesicht war fleckig und aufgedunsen, die trüben Augen starrten schläfrig aus tiefen faltigen Höhlen. Tarvin, der gewöhnt war, seinen Landsleuten ihr Wollen und Denken vom Gesicht abzulesen, konnte in diesen Augen weder Furcht noch Willen entdecken, sie drückten nur eine unsägliche schlaffe Müdigkeit und Ueberdruß aus. Es war, als ob man in einen erloschenen Vulkan geblickt hätte, einen Vulkan der in geläufigem Englisch rumpelte.
Tarvin hatte sowohl wirkliches Verständnis für Hunde, als den heißen Wunsch, sich dem Staatsoberhaupt angenehm zu machen. Als König kam ihm dieser Mann ja etwas gefälscht vor,